Kleiner Nuklearkrieg, große Katastrophe

Simulationen zeigen, dass auch regional begrenzte Kriege mit Kernwaffeneinsatz weltweit Opfer fordern

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Im Kalten Krieg war alles noch schön einfach: Irgendjemand würde aus irgendeinem dummen Grund auf den Roten Knopf drücken, so die allgemein akzeptierte Vorstellung, und der darauf folgende nukleare Schlagabtausch zwischen den Großmächten würde die ganze Welt in die Katastrophe stürzen. Wer nicht im atomaren Feuer stürbe, fiele bald darauf sekundären Effekten zum Opfer - den Auswirkungen des Krieges auf die Ökonomie der betroffenen Länder. Und wer auch das überlebe, müsste sich auf einen weltweiten atomaren Winter einstellen, verursacht durch die Rauchemissionen der Kernexplosionen, die die Sonnenlicht-Einstrahlung auf der Erde drastisch verringerten.

Animation der Rauchverteilung. Der Rauch wird vom Sonnenlicht aufgeheizt, in die obere Stratosphäre verteilt und wird darüber in die südliche Erdhalbkugel geblasen. Bilder: Alan Robock, Luke Oman, Georgi Stenchikov, Owen Toon, Charles Bardeen, Richard Turco

Der Kalte Krieg ist vorüber, den Großmächten sind die Gegner abhanden gekommen, weil parallel auch einige Großmächte abhanden gekommen sind. Die Kernwaffenarsenale dieser Welt hat ein Trend zum Downsizing erfasst - zumindest, was die Größe einzelner Atombomben betrifft. Sollten die strategischen Langstreckenraketen der 70-er noch Sprengköpfe mit einer Zerstörungskraft von 500 Kilotonnen TNT über die Grenzen des Gegners transportieren, stehen nun „kleine“ Atomwaffen ganz oben auf der Wunschliste der Militärs. Diese „Low-Yield“-Waffen verfügen nur über eine Sprengkraft von unter 15 Kilotonnen - das entspricht ungefähr der am 6. August 1945 über Hiroshima von dem B29-Bomber „Enola Gay“ abgeworfenen „Little Boy“, die auf 13 Kilotonnen geschätzt wird. Sie forderte damals sofort bis zu 200.000 Opfer - was allerdings auch daran lag, dass sie in 580 Metern Höhe gezündet wurde.

Ein derartiges Szenario schwebt den heutigen Militärstrategen nicht mehr vor. Sie denken eher daran, kleinformatige Kernwaffen zur gezielten Ausschaltung bestimmter, gut geschützter Anlagen einzusetzen, also so genannte Bunker Busters. Das geht mit einem Wechsel der Ziele einher - die Atomwaffen sollen nun dazu herhalten, die Welt vor dem Terrorismus zu schützen. So jedenfalls die Begründungen der nationalen Atommächte, ihr Arsenal modernisieren zu müssen (vgl. Chirac lässt die atomaren Muskeln spielen).

Was bei derartigen Planspielen nicht bedacht wird: Auch ein regionaler Kernwaffenkrieg hätte weltweite Auswirkungen. Sieben US-Forscher spielen diese in einem Beitrag für das Wissenschaftsmagazin Science durch. Sie simulieren den örtlich begrenzten Einsatz von 100 Sprengköpfen mit unter 15 Kilotonnen Wirkung - das sind rund 0,3 Prozent des weltweiten Kernwaffenarsenals. Sowohl Indien als auch Pakistan verfügen nach Schätzungen über mehr als 100 derartige Sprengköpfe.

Wie sich Temperatur- und Niederschlagsmengen-Durchschnitt weltweit ändern. Zum Vergleich die globalen Auswirkungen des Pinatubo-Ausbruchs von 1991.

Wieviele Menschen sofort an einem derartigen Schlagabtausch sterben, hängt von der Bevölkerungsdichte der betroffenen Staaten ab. Was aber auf jeden Fall weltweite Wirkung hätte, sind die notwendigerweise mit den Explosionen und den dadurch ausgelösten Bränden verbundenen Rauchemissionen. Die Forscher schätzen, dass eine bis fünf Millionen Tonnen kohlenstoffhaltiger Rauchteilchen („Ruß“) in die Atmosphäre gelangen könnten. Das würde Wetter und Klima stärker beeinflussen als etwa die Ausbrüche des Pinatubo-Vulkans.

Globale Temperaturveränderungen ein Jahr nach dem Nuklearkonflikt. Vor allem über Landmassen wird es kälter. Die Erwärmung über der Antarktis ist nicht signifikant.

Zudem ist wahrscheinlich, dass sich die Aerosol-Schichten für längere Zeit stabil in der Atmosphäre halten könnten und „substanzielle Veränderungen des Erdklimas“ provozieren würden. Die Auswirkungen entsprächen zwar nicht dem für einen dritten Weltkrieg vorhergesagten nuklearen Winter, sie genügten aber, die landwirtschaftliche Produktion weltweit derart einzuschränken, dass Hungersnöte wie in Afrika, Indien und Japan nach dem Ausbruch des Vulkans Laki 1783-1784 zu befürchten wären. Das liegt vor allem daran, dass sich Oberflächentemperaturen, Regenfälle und Vegetationszeiten durch die über zehn Jahre und länger andauernde globale Bewölkung ändern würden.

Die Wachstumssaison verkürzt sich in den meisten Gebieten der Erde

Die Wissenschaftler ziehen aus ihrer Arbeit den Schluss, dass das Prinzip der nuklearen Abschreckung nicht mehr funktioniert - Terroristen zum Beispiel stehen außerhalb dieses Systems. Eine konsequente Einschränkung des Kernwaffenarsenals weltweit wäre die logische Konsequenz - nicht dessen Ausbau und Erneuerung. Zudem müsse der Atomwaffensperrvertrag weltweit ratifiziert und die Weiterverbreitung spaltbaren Materials noch stärker kontrolliert werden.