Showdown gegen das Cafta-Freihandelsabkommen

Costa Rica: Ticos ringen für ihren Sozialstaat

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Im mittelamerikanischen Costa Rica nähert sich der Showdown um die Ratifizierung des CAFTA-DR-Vertrages (spanisch TLC, Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten, Costa Rica, der Dominikanischen Republik, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua) durch das Parlament. In der bislang größten Montagsdemo des Landes legten 100.000 Ticos (wie sich die Costaricaner selbst nennen, die Veranstalter sprachen sogar von 200.000) am 26.02. den Verkehr im Zentrum der Haupstadt San José lahm.

Der 100.000-Ticos-Zug aus Vogelperspektive. Foto: Grettel Montero

Aus der ganzen Republik waren sie mit Bussen angereist, zehntausende Landwirte, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Umweltschützer, Frauengruppen, Indígenas, ganze Kirchengemeinden und viele andere. Die Bewegung gegen das Cafta-Freihandelsabkommen mit den USA ist in Costa Rica bunt und vielfältig. Wichtig ist aber allen Vertretern der „Nationalen Front gegen CAFTA“, immer wieder zu betonen, dass ihre Proteste friedlich sind.

Friedlicher Protest

Und es blieb friedlich beim Aktionstag am vergangen Montag. Auch wenn die Stimmung in den Tagen vor der Demonstration spürbar angespannt gewesen ist. So kursierte die Rundmail, abgesendet im Namen eines Mitarbeiters der Fraktion der Regierungspartei PLN (Partido Liberación Nacional, rechte Sozialdemokraten), in der es heißt, dass die sich die Abgeordneten der Oppositionsparteien PAC (Partido Acción Ciudadana, Mitte-Links) und Frente Amplio (linksreformistisch) angeblich darauf verständigt hätten, Waffen in das Parlament zu schmuggeln.

Auch die Sprecher der Alternativen Bewegung der Schüler und Studierenden (MEA) in Costa Rica sehen sich als Opfer "ideologisch-verbaler Gewalt", welche an die schlimmsten Diktaturen in Lateinamerika erinnere. Im Dezember hatte MEA einen gut besuchten Anti-CAFTA-Kongreß organisiert. Aus dem Regierungslager warf man den Organisatoren daraufhin vor, für den anstehenden Protestmarsch den Einsatz von Gewalt zu planen. Eine Liste mit Namen, Adressen und Schulen von vielen Teilnehmenden zirkulierte daraufhin im Internet mit der Aufforderung an Eltern, Lehrer und Priester, sich um deren „richtige“ Erziehung zu kümmern.

Auf dem Protestmarsch am 26.02. stellten die Schüler dann aber ein wichtiges Kontingent.

Auf dieser Demo sehen wir sehr viele Schüler der Sekundarstufe. Das ist wichtig, denn wir wollen den Regierenden deutlich machen, dass wir hier sind, dass wir jemand sind und dass wir auch kämpfen und uns nicht einschüchtern lassen. Wir rufen immer zu friedlichen Aktionen auf, wir stellen uns gegen diesen Mythos, dass die Märsche angeblich gewalttätig sind. Hier sieht man wie es wirklich ist: Die Menschen sind friedlich, sie singen, sie tanzen.

Esteban Camacho, MEA-Sprecher
Foto: Torge Löding

Kritik an Medien

Vor allem wollen sich die CAFTA-Gegner Gehör verschaffen. Seitdem die letzte Regierung den Vertrag vorstellte, gibt es erhebliche Kritik an dem Verhandlungsergebnis. Costaricanische Landwirte fürchten Folgen wie in Mexiko, wo vor 13 Jahren das ähnliche NAFTA-Abkommen in Kraft trat. In Mexiko wurde der Markt zunächst von Billigmais-Importen überschwemmt. Heute, nachdem es kaum noch eine einheimische Agrarproduktion gibt, demonstrieren dort Massen in Hungermärschen gegen die Preisexplosion für Importmais. Nach Ansicht der Kritiker des wird durch CAFTA das Konzept eines Sozialstaates in Costa Rica endgültig abgewickelt. Große Konzerne könnten die Kontrolle über die heute noch öffentlichen Sektoren Telekommunikation, Elektrizität, Wasser und Sozialversicherung bekommen. Und Umweltschützer sehen die Natur bedroht durch das Abkommen.

Auch wenn CAFTA die Privatisierung von Wasser und Naturresourcen nicht vorschreibt, so öffnet es doch die Tür dafür. CAFTA setzt nationale Umweltgesetze außer Kraft, indem er die nationale Naturschutzgesetzgebung der Logik des freien Marktes unterwirft.

Umweltaktivist und Liedermacher Esteban Monge.

Während die Parlamente aller anderen CAFTA-Staaten den Vertrag bereits ratifiziert haben, ist der öffentliche Widerstand in Costa Rica so stark, dass die Abstimmung bislang herausgezögert wurde. Das liegt wohl auch daran, dass die Menschen hierzulande mehr zu verlieren haben. In Nicaragua etwa sind Telekom und Energieversorger bereits seit Jahren privatisiert. Die Menschen dort sind Kummer mit hohen Telefonpreisen und häufigen Stromausfällen gewohnt. Dagegen verfügt Costa Rica über ein vorbildliches Telefonnetz und rühmt sich der weltweit niedrigsten Inlandsgebühren. Ein Handy-Gespräch kostet pro Minute 30 Colones - weniger als einen halben Euro-Cent.

UTica-Kuh wird durch US-Milchimporte arbeitslos. Foto: Torge Löding

Kein Dialog

Enttäuscht sind viele Costaricaner, weil sie ihre Einwände weder in den Massenmedien noch mit der Regierung von Präsident Óscar Arias debattieren können. Der Sozialdemokrat und Friedensnobelpreisträger spricht viel von Dialog, CAFTA will er aber mit einer einfachen Ein-Stimmenmehrheit im Parlament so schnell es geht beschließen lassen. Daran sei nichts mehr zu verhandeln.

Auf der Demonstration am Montag mussten sich Fernsehteams wütende Beschimpfungen anhören, da sie einseitig berichten. Der TV-Sender Teletica positionierte seine Kameraleute dann auch vorsichtshalber nur in Helikoptern und auf der Dachterasse im neunten Stock eines Hotels.

Zu Wort melden kommen die CAFTA-Kritiker eigentlich nur in den Uniradiosendern Radio U und dem TV-Kanal 15. Im Internet ergreifen sie deshalb die Initiative, Anti-Cafta-Blogs schießen wie Pilze aus dem Boden. Kreative Protestfilme gibt es bei YouTube zu sehen und seit vergangener Woche findet man dort auch alternative Videonachrichten genannt "La Otra Cara" das andere Gesicht. Die Montagsdemo wurde begleitet von einem namenlosen, aber professionell gemachten Radioprogramm. Nicht nur im Internet war es zu hören, sondern auch ohne Genehmigung auf einer Kurzwellenfrequenz in ganz San José.

Für Ex-Präsidentschaftsanwärter und Oppositionsführer Ottón Solis von der Mitte-Links-Partei der Bürgeraktion (PAC) spielt die Demonstration eine wichtige Rolle:

Man hat den Menschen die Möglichkeit zum Dialog genommen. Der neue Präsident hat schon während seines Wahlkampfes jede Diskussion über CAFTA abgelehnt. Die Massenmedien weigern sich über die Zweifel, die wir haben, zu berichten und sogar im Parlament wurde die Debatte verhindert. Deshalb nutzen jetzt so viele Menschen diesen Kanal der demokratischen Meinungsäußerung: Die Demonstration. Mich erinnert das an die Märsche für Bürgerrechte von Martin Luther King in den USA.

Ottón Solis (PAC)

Wie weiter?

Doch wie weiter? CAFTA polarisiert sicher auch über vergangene Woche hinaus. Im Februar haben sich auch erstmals katholische Würdenträger öffentlich auf die Seite die Seite der CAFTA-Gegner gestellt. In zwei unterschiedlichen Erklärungen solidarisierten sich die Priester der Diözesen Alajuela und Tilarán mit den Protesten. Diesen folgte eine gegen das Abkommen und Neoliberalismus gerichtete Streitschrift der Ökumenischen Bewegung Mittelamerikas. Der katholische Priester Ronal Vargas Araya aus Guanasta - bereits mehrmals versuchte die Regierung den streitbaren Anhänger der Befreiungstheologie durch juristische Mittel mundtot zu machen - ist mit anderen Katholiken der Meinung, ein Volksentscheid über das 3.500 Seiten starke Vertragswerk CAFTA-DR sei das probate Mittel, um über den künftigen Kurs des Landes zu entscheiden.

Mehr oder weniger radikale Linke und Gewerkschafter setzen indes eher auf einen landesweiten Streik.

In Costa Rica sind Protestaktionen zu einem wichtigen Faktor in der Demokratie geworden ist. Wir nennen es das Referendum der Straße. Nun müssen weitere Aktionen folgen. Eine Möglichkeit ist der Generalstreik. Das müssen wir jetzt diskutieren. Ich weiss, dass die Kollegen von Telekom und Elektrizitätswerken (ICE) sich bereits für so einen Streik entschieden haben.

Albino Vargas, Vorsitzender der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes ANEP

Vorbild ist die Bewegung gegen das als „Combo“ bekannt gewordene Gesetz zur Telekomprivatisierung im Jahr 2000. Nach Massendemos, Blockaden und Straßenschlachten zog die Regierung das bereits beschlossene Gesetz zurück.