Landesweit sprechende Überwachungskameras

Die britische Regierung plant nach einem offenbar gelungenen Testversuch, in vielen Städten Kameras mit Lautsprechern zur verbalen Disziplinierung von Missetätern zu installieren

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Großbritannien ist Vorreiter in vielen Bereichen der Überwachung. Was die Abdeckung mit Überwachungskameras angeht, dürfte das Land wohl weltweit an der Spitze liegen. An kreativen Ideen zur vermeintlichen Herstellung von Sicherheit scheint es nicht zu fehlen. In London wird den Bewohnern in einem Stadtteil mit dem Programm "Fight Crime form your Sofa"angeboten, über ihren digitalen Fernseher die im Bezirk installierten Überwachungskameras (Webcams) kontrollieren zu können (Heute Abend im Fernsehen: Alles).

In Nottingham ist ein Versuch gestartet, bei dem die Geschäftleute in einem Viertel die Möglichkeit erhalten, die Überwachungskameras der Polizei über das Internet mitzubenutzen, um "antisoziales Verhalten und Vandalismus" besser bekämpfen zu können. Die dort tätige Neighbourhood Watch hat auch ein Programm eingerichtet, mit dem sich benachbarte Geschäftsleute gegenseitig helfen können, indem sie wechselseitig Kameras anbringen oder gemeinsam eine Kamera kaufen.

Schon seit letztem Jahr läuft ein Testversuch im Zentrum von Middlesbrough, bei dem für fast 60.000 Euro acht Videokameras zusätzlich mit Lautsprechern ausgestattet wurden. Verhält sich jemand ungebührlich oder wirft nur etwas weg, müssen die Menschen nun damit rechnen, nicht n ur beobachtet, sondern in aller Öffentlichkeit – angeblich höflich – angesprochen zu werden (Überwachen und Befehlen). Die Lautsprecher haben eine Reichweite bis zu 45 Metern. Wer der ersten Aufforderung nicht gehorcht, dem wird mit einem strenger ausgesprochenen Befehl gedroht, dass er etwa das Papier aufheben soll oder ansonsten bestraft werden kann. So kann beispielsweise ein mit der Kamera aufgenommenes Bild in der Lokalzeitung veröffentlicht werden, um den Missetäter dann, wenn er identifiziert wurde, mit einer Strafe zu belegen.

Das britische Innenministerium plant nun, wie die britische Times berichtet die Einführung solcher "sprechender Überwachungskameras" im ganzen Land, beispielsweise in Glasgow, Gloucester oder Plymouth. Offenbar wirken Überwachung und Zurechtweisung aus der Ferne, wenn die Missetäter für alle vor Ort Anwesenden kenntlich direkt angesprochen werden. Nach der Times wurden seit Sommer 2006 die Lautsprecher 156 Mal eingesetzt.

Betreut wird das Programm im Innenministerium von Louise Casey, die offiziell die Stelle der Koordinatorin für Respekt innehat und eine Abteilung zur Bekämpfung des antisozialen Verhaltens leitet, das zu einer innenpolitischen Hauptaufgabe der Blair-Regierung wurde. Middlesbrough wurde von ihr zu einem von 40 "Respektgebieten" erklärt, weil man sich dort verpflichtet, besonderes Augenmerk auf die Bekämpfung des antisozialen Verhaltens zu richten oder störende Nachbarn zur Ruhe zu bringen (Neighbours From Hell). Dafür erhalten die Gemeinden mehr Geld. Von Caseys Behörde erhält jetzt Middlesbrough 30.000 Euro, um weitere 10 Kameras mit Lautsprechern aufzurüsten.

Mit intelligenteren Überwachungskameras wird beispielsweise in den Niederlanden experimentiert. Das von der Firma entwickelte System zur Entdeckung von Aggression über eine automatische Analyse von Stimmen wird schon in einigen Städten getestet. Dabei werden Mikrofone an den Überwachungskameras angebracht. An der University of East Anglia forscht man an einer Technik, mit Videokameras das Gesagte von den Lippen lesen und in Text umsetzen zu können, um auch in lauten Umgebungen wie in Kneipen oder auf Straßen lauschen zu können.

Und selbst zur Einhaltung des Rauchverbots in allen geschlossenen öffentlichen Räumen, das ab 1. Juli in Kraft tritt, hat sich die britische Regierung eine kreative Lösung einfallen lassen. Wie BBC berichtet, haben die Kommunen von der Regierung 45 Millionen Euro erhalten, um Personal für die Kontrolle einzustellen. Die Mitglieder der Antiraucherpolizei können bei Rauchern sofort eine Geldstrafe von über 70 Euro erheben und gegen die Betreiber von Restaurants, Bars, Büros, Geschäften oder Betrieben eine Anzeige erstatten. Um die Rauchsünder besser zu erwischen, dürfen sie zudem "undercover" Räume betreten und dort Fotos oder Filme als Belege machen.