100 Tage und kein Bleiberecht

Duldung ist ein Zustand umfassender Unsicherheit

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Eine so genannte Duldung ist nichts anders als eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung – ein Zustand ständiger Unsicherheit und Angst. 180.000 Menschen leben in Deutschland in dieser Situation. Im Herbst letzten Jahres beschloss die Innenministerkonferenz ein Bleiberecht und die Große Koalition diskutiert seit Wochen über ein neues entsprechendes Gesetz.

Ende Februar machte ein bundesweiter Aktionstag darauf aufmerksam, dass nur sehr wenige Geduldete von dem neuen Bleiberecht profitieren. Eine Duldung ist die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (§60a AufenthG), ein unzumutbarer Zustand für die Betroffenen, die aus unterschiedlichen Gründen faktisch nicht abgeschoben werden können, aber chronisch unter dem Damoklesschwert dieser Bedrohung leben müssen.

Der Staat macht ihnen den Alltag so schwierig wie nur möglich, sie sollen sich hier nicht eingewöhnen, sondern das Land verlassen. Bezeichnenderweise ist die Duldung mit einem roten Querbalken und der klaren Botschaft: „Kein Aufenthaltstitel! Der Inhaber ist ausreisepflichtig!“ versehen. Eigentlich sollte dieser Status immer nur vorübergehend gelten, weswegen Duldungen oft in kurzen Intervallen, maximal alle paar Monate verlängert werden müssen. Und dennoch bietet sie keine Sicherheit, denn auch wer sie gerade erneuert hat, kann plötzlich abgeschoben werden.

In München überreichte eine Delegation von Mitgliedern der Jugendliche ohne Grenzen und der Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten großformatige, leicht umgestaltete Duldungen für die Mitglieder des Bundestags der CSU und SPD. Foto: A.Naica-Loebell

Duldung ist ein Zustand umfassender Unsicherheit. Im ersten Jahr der Duldung ist die Arbeitsaufnahme grundsätzlich verboten, danach kann sie bislang in Einzelfällen normalerweise nur gestattet werden, wenn nachweislich kein Deutscher oder Ausländer mit Niederlassungserlaubnis sie haben will (vgl. Zugang zum Arbeitsmarkt - Ausgrenzung per Gesetz).

Druck erzeugen, um die Geduldeten zur „freiwilligen Ausreise“ zu zwingen

Wer nach Einschätzung der Ausländerbehörde nicht genügend bei der Passbeschaffung mitgewirkt hat, dem wird die Arbeitserlaubnis wieder entzogen. Freie Wohnsitzwahl wird nicht gewährt, für viele gilt sogar die so genannte Residenzpflicht, die bedeutet, dass sie ihr Bundesland, oft sogar ihren Landkreis nicht verlassen dürfen. In Bayern sind Geduldete seit der Einführung des neuen Zuwanderungsgesetzes 2004 generell dazu verpflichtet, in Gemeinschaftsunterkünften, sprich Lagern, zu leben (vgl. Lagerpflicht). Ein Anspruch auf einen Platz in einem Integrationskurs haben sie nicht, nur selten gelingt es ihnen, Deutschstunden zu bekommen.

Es wird durch unmenschliche Lebensumstände von den Behörden Druck erzeugt, um die Geduldeten zur „freiwilligen Ausreise“ zu zwingen – ein Begriff, der kürzlich zum Unwort des Jahres gekürt wurde.

Auf der Pressekonferenz der Bleiberechtsplattform München erklärte der aus Nigeria stammende Flüchtling Uche Akpulu von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten lapidar:

Geduldete Flüchtlinge haben keine Lebensperspektive. Ein Geduldeter hat kein Leben.

Zu Hause hat er als Projektmanager im Umweltbereich gearbeitet – nur allzu gerne würde sich hier um seinen eigenen Lebensunterhalt kümmern, endlich aus dem Lager rauskommen und mehr als 40 Euro Taschengeld im Monat in der Tasche haben. Aber er ist „erst“ seit 2003 in Deutschland und hat somit überhaupt keine Chance, unter das neue Bleiberecht zu fallen.

Fronttransparent der Bleiberechts-Demonstration in München am 24. Februar, Foto: A. Naica-Loebell

Eigentlich sind sich schon länger alle einig, dass die Duldung nur ein kurz befristeter Status sein dürfte, seit Jahren verspricht die Politik, die über Jahre andauernden Kettenduldungen abzuschaffen. Nicht zuletzt, weil immer wieder Fälle von Familien mit langer Aufenthaltsdauer und in Deutschland geborenen Kindern Schlagzeilen produzierten, vor allem diejenigen, die sich ins Kirchenasyl flüchteten .

Stichtagsregelung

Diese Härtefälle und die Anprangerung des unmenschlichen Umgangs mit Geduldeten durch Flüchtlingsverbände und die Kirchen brachten die Innenminister der Länder im Herbst vergangenen Jahres dazu, eine Bleiberechtsregelung zu verabschieden (vgl. Streit ums Bleiberecht). Sie führten die Stichtagsregelung ein: Familien, die am 17.11.2006 bereits seit sechs Jahren, oder Einzelpersonen, die acht oder mehr Jahre in Deutschland lebten, können ein Bleiberecht erhalten, wenn sie Arbeit finden, bzw. ein Einkommen nachweisen, das den Lebensunterhalt dauerhaft sichert. Allerdings gibt es noch eine Fülle von zusätzlichen Bedingungen wie Deutschkenntnisse, ausreichenden Wohnraum, Passpflicht etc. (vgl. Bleiberechtsregelung der IMK.

Die Flüchtlingsinitiativen kritisieren, dass die Stichtagsregelung den langjährig Geduldete keine Chance bietet, ins Bleiberecht hineinzuwachsen. Von den aktuell ca. 180.000 Geduldeten erfüllen überhaupt nur 10 bis 15 Prozent die Voraussetzungen, um einen richtigen Aufenthaltstitel zu bekommen. Tobias Klaus vom Bleiberechtsbüro betont, dass gerade die „besonders Schutzbedürftigen“ aufgrund der Ausschlusskriterien nicht unter das neue Bleiberecht fielen.

Faktisch ausgeschlossen sind unter anderem alte, kranke und behinderte Flüchtlinge. Es handle sich um einen „einmaligen Gnadenakt“ des Staates, der keine humanitären Gesichtspunkte berücksichtige, sondern nur den „Nützlichen“ einen Ausweg aus dem „Angstzustand der Kettenduldung“ in Aussicht stelle. Gerade im Bereich der Ausländerpolitik kämen aus Populismus von den Politikern die absurdesten Vorschläge, die jede Menschlichkeit ausblenden würden, meint Tobias Klaus. Ein Beispiel dafür sei die aktuelle Debatte, ob man 14 bis 17Jährigen ein Bleiberecht gewähren solle, während ihre Eltern auf jeden Fall ausreisen müssten. Sie würden dann allein in der Bundesrepublik zurückbleiben.

Die Politiker müssen begreifen, dass Migration stattfindet. Wer an den Grenzen aufrüstet wird, nimmt in Kauf, dass dann mehr Menschen beim Versuch der Einreise sterben; und wenn die Bedingungen in Deutschland verschärft werden, leben letztlich mehr Menschen illegal im Land.

Politisch gewollte Isolierung

In der Bundesrepublik leben nach Schätzungen bereits zwischen 500.000 und einer Million Illegalisierte. Ein Bleiberecht soll nur bekommen, wer wirtschaftlich und sozial integriert ist. Das Perfide daran ist die Tatsache, dass die Politik seit Jahren alles dafür getan hat, dass Geduldete sich nicht integrieren können. Zugang zum Arbeitsmarkt wurde ihnen weit gehend verweigert, ebenso Deutschkurse und sie sollten möglichst isoliert in Gemeinschaftsunterkünften leben. Ihre Isolierung war politisch gewollt. Deshalb wird es nur einem Bruchteil gelingen, jetzt die Auflagen für das Bleiberecht zu erfüllen. Außerdem gelten selbst geringe Straftaten wie mehrfaches Schwarzfahren, Verstöße gegen die Residenz- oder Passpflicht als Ausschlussgrund. Und wer in der Vergangenheit nicht bereit war, an der eigenen Abschiebung mitzuwirken oder sie sogar aktiv verhindert hat, bleibt auch außen vor.

Besonders unverständlich ist die Regelung, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wie Erwachsene behandelt werden. Sie fallen unter die Regelung für Alleinstehende und müssen seit mindestens acht Jahren in Deutschland sein, um ein Bleiberecht zu erhalten. Sie trifft auch die Auflage eines Arbeitsplatzes besonders hart. Schon jetzt haben sie faktisch keine Chance einen Ausbildungsplatz zu bekommen.

Ein normales Leben zum Geburtstag

Die Brüder Habib sind zusammen mit ihren Eltern vor fünf Jahren aus dem Irak geflohen. Die ganze Familie lebt zu fünft in einem kleinen Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft. Der Vater ist Lehrer, die Mutter Rechtsanwältin, aber das interessiert in Deutschland niemanden. Amar ist gerade 17 Jahre alt geworden, aber er hat den Geburtstag nicht gefeiert – wo sollte er auch mit Freunden feiern? In der engen Unterbringung ist ja schon kein Platz zum Lernen, keine Ruhe, ständig nur Stress, zumal die Lagerleitung auch gerne mitten in der Nacht das Zimmer kontrolliert. In der Schule verrät er genauso wenig wie sein älterer Bruder Sinan, der gerade die Mittlere Reife macht, wo und wie er wohnt. Der Älteste der Brüder ist 20 Jahre alt und bekommt keine Ausbildung, „hängt nur rum“, wie Sinan es formuliert, denn „niemand gibt dir einen Ausbildungsplatz, wenn du in eine paar Wochen vielleicht nicht mehr da bist.“

Zweimal die Woche bekommt die Familie Essenspakete ausgehändigt, außerdem gibt es pro Person 40 Euro Taschengeld, die die Jugendlichen für die Schulmaterialien und die Fahrkarten aufbrauchen. Alles, was sich Amar zum Geburtstag wünscht ist ein normales Leben. Die Vorstellung, dass seine Eltern unter dem Druck ihrer Realität hier zu Lande darüber nachdenken, doch in den Irak zurück zu kehren, macht ihm Angst. Mehrere Verwandte sind bereits ums Leben gekommen. Amar hätte gern „ein eigenes Zimmer, ein Leben wie alle anderen, nichts besonderes, nur ganz wie normale Jungens – und einen Platz für eine Geburtstagsfeier.“

Für eine Mehrheit der Geduldeten wird es kein Aufenthaltsrecht geben, ganz im Gegenteil, es ist geplant, dass die meisten möglichst rasch abgeschoben werden sollen. Und zudem will die Regierung zusammen mit der Festschreibung eines Bleiberechts, das diesen Namen gar nicht verdient, das Ausländerrecht trotz Kritik am Gesetzentwurf drastisch verschärfen. Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit werden sich also fortsetzen, Lagerunterbringung, Abschiebungen, Arbeitsverbote und die Verletzung der Würde von Flüchtligen weiter zum deutschen Alltag gehören.