Wider den Kreationismus

Eine kleine Geschichte der Evolution und des Evolutionsgedankens mit kurzem Blick auf die Gegenwart

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Im August 2006 berichtete das Wissenschaftsmagazin "Science", dass nur 40 Prozent der amerikanischen Bevölkerung an das Konzept der Evolution glaubt. Dass vor allem in den USA der Kreationismus immer mehr Anhänger findet, die sich vor allem zur akademisierten Variante der Evolutionskritik "Intelligent-Design" (ID) bekennen, bezeichnet der Physik-Nobelpreisträger des vergangenen Jahres, George F. Smoot, als "geradezu beängstigend" (siehe Telepolis-Special Kosmologie "Jenseits von Zeit und Raum"). Das Wiedererstarken des Kreationismus ist deshalb so frustrierend und beschämend, weil deren Protagonisten all das mühsam erworbene Wissen jener früherer Forscher, die dereinst so tapfer gegen die Widerstände ihrer Zeitgenossen kämpften, um eine wissenschaftlich fundierte Evolutionstheorie zu etablieren, schlichtweg ignorieren oder als unsinnig hinstellen.

Für den heutigen geistes- und naturwissenschaftlich interessierten Leser mag der Gedanke befremdlich sein, dass viele abendländische Forscher und Philosophen der Aufklärung noch fest mit der theologischen Vorstellung verwurzelt waren, die Welt sei vor 6000 Jahren von Gott erschaffen worden.

Georges Baron de Cuvier (1769-1832). Bild: Musee National d'Histoire Naturelle, Paris

Wer damals wissen wollte, wann die Welt kreiert wurde, sah sich entweder apodiktischen kirchlichen Dogmen gegenüber, wie etwa jenem, das der englische Bischof James Ussher (1581-1656) im 17. Jahrhundert zum Besten gab, der den Schöpfungsakt im Einklang mit der Bibel auf das Jahr 4004 vor Christus zurückdatierte - oder musste mit der von dem Begründer der zoologischen Paläontologie Georges Baron de Cuvier (1769-1832) formulierten Katastrophentheorie vorlieb nehmen, wonach die Erde nur etwa 6000 Jahre alt war und die grundlegenden Veränderungen der Erdkruste allenfalls das Ergebnis großer geologischer Katastrophen waren.

Buffon brachte Lawine ins Rollen

Doch die Beobachtungen und Messungen, die vor allem die Biologen und Geologen dieser Epoche immer häufiger machten, korrespondierten immer weniger mit dem theologischen Datierungsmodell. Langsam, aber stetig setzte sich bei den Naturwissenschaftlern die Erkenntnis durch, dass die biologische, geologische und kosmische Gegenwart, wie sie sich dem zeitgenössischen Beobachter offenbarte, das Resultat einer langen historischen Entwicklung gewesen sein musste. Die Lawine ins Rollen brachte der französische Naturforscher Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon (1707-1788), der in seinem Hauptwerk Histoire naturelle unverblümt erklärte, dass die Planeten bei einem Zusammenstoß der Sonne mit einem Kometen entstanden seien. Nur so lasse sich Buffon zufolge begründen, warum alle Planeten in derselben Richtung und in derselben Ebene um die Sonne kreisen.

Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon (1707-1788)

Gegen die Katastrophentheorie konterte auch der schottische Geologe Sir Charles Lyell (1797-1875). In seinem Aktualismus-Modell explizierte er, dass die natürlichen geologischen Prozesse, die gegenwärtig das Gesicht der Erde verändern, in der Vergangenheit genauso langsam abgelaufen sein mussten. Lyells Schrift Principles of Geology, die er 1830 bis 1872 gleich elfmal überarbeitete, machte vor allem auf Charles Darwin (1809-1882) einen starken Eindruck.

Sir Charles Lyell (1797-1875)

Zu einem Zeitpunkt, da selbst gebildete Kreationisten noch ernsthaft daran glaubten, dass allein die Sintflut und die geringe Frachtkapazität der Arche Noah die biologische Selektion der Arten bedingt hatte, löste Darwin mit seinem 1859 erschienenen Buch "On the Origin of Species my Means of Natural Selection" in der Fachwelt und innerhalb der Kirche eine anders geartete Sintflut aus.

Zu kurze Zeitachse

Denn in seiner Evolutionstheorie, die auf Lyells Hypothese und eigenen Beobachtungen basierte, machte Darwin für den Artenwandel und die Entstehung neuer Arten keineswegs den biblischen Noah, sondern die natürliche Selektion verantwortlich. Angetrieben von dem Katalysator der Mutation konnten gemäß dem Survival-of-the-Fittest-Prinzip nur die an der Umwelt am besten angepassten Tier- und Pflanzenarten den Sprung in die nächste Generation schaffen. Darwins Evolutionstheorie, die bekannterweise heute von Kreationisten immer noch entschieden angefochten wird, gleichwohl aber selbst ohne größere "Mutationen" den Sprung über viele Generationen hinweg bis in die Jetztzeit schaffte, legte schonungslos offen, dass die Zeitachse des theologischen Schöpfungsmodells schlichtweg zu kurz war. Der Planet Erde musste im Gegensatz zur biblischen Version um Äonen älter sein. Alles, was das Alte Testament apodiktisch verkündete, löste Darwins "blasphemische" Deszendenztheorie in Luft auf.

Für Dinosaurier war, so argumentieren einige Kreationisten, auf der Arche Noah kein Platz. Ihr Aussterben war daher unvermeidlich. Bild: Edward Hicks

Von den Ergebnissen, die sich beim Studium der Erdkruste, der neuentdeckten Fossilien sowie der Tier- und Pflanzenarten zeigten, blieb die Astronomie nicht unberührt. Dennoch sollten noch etliche Jahre verstreichen, bis ein 43-jähriger Ex-Musiker, der bis zum 35. Lebensjahr nicht das geringste Interesse an Astronomie hatte, seinen Zeitgenossen die historische Dimension des Universums erstmals deutlich vor Augen führte.

Herschels Erkenntnis

Dabei war der deutsche Forscher Friedrich Wilhelm Herschel (1738-1822), der vor allem durch die Entdeckung des Uranus internationale Berühmtheit erlangte, nicht der Erste, der behauptete, dass die im Okular des Teleskops tanzenden diffusen nebligen Lichtflecken möglicherweise abseits der Milchstraße gelegene kosmische "Welteninseln" waren.

Sir Wilhelm Herschels Kreation aus Holz und Stahl galt mehr als 50 Jahre lang als das größte Spiegelteleskop der Erde

Bereits Denker wie Thomas Wright, Immanuel Kant oder Johann Lambert stellten ähnliche Überlegungen an. Sie gingen davon aus, dass derlei Nebel eigenständige weit außerhalb der Milchstraße im All eingebettete Sternsysteme waren. Herschel war aber derjenige, der zum einen die extragalaktische Astronomie als eigenständigen Zweig innerhalb der Astronomie etablierte und den Beginn der Kosmologie als beobachtende Wissenschaft einleitete. Zum anderen war er der erste Forscher, der unseren Heimatplaneten durch ständige Beobachtung der fernen "milchigen Nebel", zu denen er irrtümlich jedoch alle observierten planetarischen Nebel oder Supernova-Überreste zählte, endlich in die richtige Relation zum Rest-Universum setzte.

Hubble-Aufnahme eines Galaxienclusters. Bild: NASA, ESA, Hubble Heritage Team (STScI/AURA)

Wenngleich Herschels Instrumentarium noch nicht sensibel genug war, um galaktische Strukturen einwandfrei aufzulösen und fremde Galaxien eindeutig zu bestimmen, so hat er doch als Erster erkannt, dass die fremden "Welteninseln" in Form und Größe unserer Galaxis sehr ähnelten und das Weltall daher eine lange Geschichte haben musste. Seine Worte schienen dies zu verraten: "Ich habe weiter ins All geschaut als jemals ein Mensch zuvor. Ich habe Sterne beobachtet, deren Licht, das kann bewiesen werden, zwei Millionen Jahre bis zur Erde unterwegs war."

Bibel als wissenschaftliches Geschichtsbuch

Ungeachtet aller Anstrengungen, die frühere Forscher als Wegbereiter einer wissenschaftlich fundierten Evolutionstheorie gegen etliche Widerstände ihrer Zeitgenossen unternahmen, ignorieren viele "unserer" Zeitgenossen das mühsam erworbene historisch gewachsene Wissen, allen voran jene, die aus der Heimat des Kreationismus stammen: den USA. Abseits des europäischen Festlandes, auf dem die Evolutionsforscher im 18. und 19. Jahrhundert die historische Zäsur markierten, werkeln im 21. Jahrhundert Neokreationisten mittels des Intelligent-Design-Konzepts(ID) daran, bestimmte Merkmale des Universums und Lebens mit einer intelligenten Ursache zu verklären. Jegliche Kenntnisse von Kosmologie, Geologie und Biologie negierend, assoziieren sie mit der Bibel kein spirituelles Opus, sondern ein wissenschaftliches Geschichtsbuch und nehmen die im ersten Buch Mose beschriebene Erschaffung der Welt binnen sechs Erdtagen beim Wort: Der Schöpfer von Himmel und Erde war ein genialer Ingenieur, der seinen Plan bis ins letzte Detail genau umsetzte!

Kreationisten bestreiten nicht die frühere Existenz von Dinosauriern ... nur älter als 6000 Jahre waren diese Reptilien deren Meinung nach nicht. Bild: ESA

Wie konsequent die Kreationisten und ID-Ideologen in den letzten Jahren zumindest ihren Plan umsetzen, beweist der Blick auf die jüngste Geschichte. So wagte der Bundesstaat Alabama im Jahr 1995 einen reaktionären Schritt, indem er anordnete, die US-Schulbücher, in denen die Evolutionstheorie dargelegt wird, mit einem Vermerk zu versehen, wonach die Evolution keineswegs als Tatsache hinzunehmen, sondern vielmehr höchst strittig sei. In Kansas wurde 1999 die Evolutionslehre sogar vom Lehrplan der Schulen gestrichen, um dann 2002 wieder eingeführt zu werden, weil in diesem Jahr die christlichen Konservativen bei den Schulratswahlen die Mehrheit verpassten. Andere Mehrheiten sorgen derweil woanders dafür, dass der Spuk weitergeht. Heute ist es in Kentucky etwa längst gang und gäbe, Buchseiten zum Thema `Urknall zu verkleben oder, so geschehen in Georgia, das komplette Kapitel "Über die Entstehung des Lebens" aus den Grundschulbüchern zu verdammen. Ja, mittlerweile scheuen sich sogar renommierte US- Schulbuchverlage davor, den Namen Charles Darwins überhaupt zu erwähnen.

Erschreckende Bildungsdefizite

Mehr als 80 Jahre nach dem legendären "Monkey trial" ("Affenprozess") in Dayton (Tennessee), als 1925 ein junger Aushilfslehrer wegen der Verbreitung darwinistischen Gedankengutes vor Gericht Rede und Antwort stehen musste, knapp 50 Jahren nach dem Urteil des Supreme Court (Oberste Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten), der 1968 das Anti- Evolutionsgesetz von Arkansas von 1928 für verfassungswidrig erklärte, wagt US-Präsident George W. Bush den Schritt zurück. Er plädierte bereits im Sommer 2005 dafür, in den Schulen die Lehre vom "Intelligent Design" und die Evolutionstheorie als "gleichberechtigt" nebeneinander zu vermitteln . Seinen Standpunkt hat er bis heute noch nicht korrigiert.

Kein Wunder also, dass sich die Wissenslücken der meisten US-Bürger mit der Zeit immer mehr zu Wissensgräben ausweiten - vor allem auf dem Gebiet der Naturwissenschaften. Hierzu passt eine von der National Science Foundation (NSF) der USA im Jahre 2002 initiierte Umfrage, die bei der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung erschreckende Bildungsdefizite aufdeckte. Auf die Frage etwa, wie lange die Erde für eine Umkreisung um die Sonne braucht, fanden nur 54 Prozent der erwachsenen Befragten die passende Antwort. Vielleicht noch schlimmer: Mehr als 50 Prozent aller volljährigen US-Bürger konnten bei der Erhebung nicht datieren, ob die Dinosaurier vor dem Auftauchen des Homo sapiens bereits ausgestorben waren oder zeitgleich mit unseren Urahnen koexistierten.

Dinos und Urmensch lebten zeitgleich

Der starke Einfluss der Neokreationisten und deren rigoroser an allen Fronten ausgetragener "Kulturkampf" manifestiert sich auch im Internet, wo zwei elektronische Lexika namens "Conservapedia" und "CreationWiki" dem "antichristlichen" Wikipedia Paroli bieten wollen. Insbesondere das 2535 Artikel umfassende "CreationWiki" versucht mit pseudowissenschaftlichen Argumenten und vermeintlich akademischen Termini die Richtigkeit der Darwinschen Evolutionstheorie in Frage zu stellen.

Dass den ID-Anhängern dabei jedes Mittel recht ist, beweist das 25 Millionen Dollar teure und privat finanzierte "Creation Museum" in Cincinnati, das seine Pforten im Juni dieses Jahres für interessierte Besucher öffnen wird. Mit seiner 4645 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche zählt es zu dem weltweit größten Museum seiner Art. In ihm steht eine Phalanx von 70 Dinosauriermodellen, die kommenden Besuchern weniger Angst als vielmehr die Erkenntnis einflößen sollen, dass die Dinosaurier - wie alle "Tiere des Feldes" - am sechsten Schöpfungstag geschaffen wurden und zeitgleich mit Adam und Eva in trauter Friedsamkeit die Erde bevölkerten.

Bush um 80 Jahre voraus

"Wir sind im Krieg. Wir rüsten euch mit Raketen aus, damit ihr sie in die Welt hinaustragt und auf das Fundament der Moderne abfeuert, die Evolution", tönte Ken Ham noch vor vier Jahren in Gegenwart von 800 Zuhörern während einer Kreationisten-Konferenz in den Saal. Heute zählt der in den USA lebende 55-jährige Australier, dessen harte Gesichtszüge ein wenig an Abraham Lincoln erinnern, zu den gefragtesten christlichen Konferenzrednern. Wie seine Mitstreiter geht der Wortführer des christlichen Fundamentalismus in den USA davon aus, das die Welt 6000 bis maximal 10.000 Jahre alt ist. Seitdem der Gründer der radikalchristlichen Organisation "Answers in Genesis" voller Missionseifer seine Botschaft verkündet, erlebt der längst verloren geglaubte Kreationismus in den USA eine unerwartete Renaissance, was auch dem gegenwärtig mächtigsten ID- Befürworter zu verdanken ist: dem amtierenden US-Präsidenten. Im Beisein einer Journalistengruppe sagte dieser am 1. August 2005 im Weißen Haus:

Both sides ought to be properly taught [...] so people can understand what the debate is about. Part of education is to expose people to different schools of thought. [...] You're asking me whether or not people ought to be exposed to different ideas, and the answer is yes.

.

Thomas Woodrow Wilson, der 28. Präsident der Vereinigten Staaten, amtierte von 1913-1921.

Hätte George W. Bush sich besser wohl ein Beispiel an dem Pfarrerssohn und Amtsvorgänger Woodrow Wilson (1856- 1924) genommen, der zwar 85 Jahre zuvor im Weißen Haus residierte, dennoch seiner Zeit voraus war - vor allem in puncto Kreationismus. Seine Feststellung, die er bereits 1922 kurz nach seinem Amtsende in einem Brief an Winterton C. Curtis mit Blick auf das Aufkommen kreationistischer Tendenzen zu Papier brachte, spricht für eine Weitsicht, die Bush leider nicht zu Eigen ist: "Of course, like every other man of intelligence and education I do believe in organic evolution. It surprises me that at this late date such questions should be raised."