Die "Rohstoffwende" ist unaufhaltsam

Nachwachsende Rohstoffe: Stoffliche Nutzung

Stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe (NaWaRo)

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Die stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe (NaWaRo) spielt bislang in der öffentlichen Wahrnehmung, verglichen mit der energetischen Nutzung, eine nur geringe Rolle. In der Politik ist es nicht viel anders: Zwar hat die stoffliche Nutzung den Verlautbarungen verschiedener Bundes- und Landesministerien nach "Vorrang" vor der energetischen Nutzung, doch sind solchen Äußerungen bisher nur wenige konkrete Taten gefolgt. Während in den letzten Jahren die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen für die energetische Nutzung optimal gestaltet wurden (Steuerbefreiung bzw. reduzierte Besteuerung, EEG), wurde die stoffliche Nutzung mehr oder weniger übersehen - Konzepte und Instrumente zur Förderung fehlen. Woran liegt dies?

Die nahe liegende und häufige Antwort ist, dass die stoffliche Nutzung gegenüber der energetischen Nutzung klein und eher unbedeutend sei. Zählt man jedoch auch Holz zu den nachwachsenden Rohstoffen, so ist diese Begründung schlichtweg falsch: In Deutschland werden etwa zwei Drittel der nachwachsenden Rohstoffe stofflich genutzt und nur ein Drittel energetisch. Auch weltweit überwiegt die stoffliche Nutzung deutlich.

Eine Untersuchung des nova-Instituts im Jahr 2006 zeigte, dass weltweit 1,4 Mrd. Tonnen nachwachsender Rohstoffe stofflich genutzt werden - das sind mehr als aller Stahl und alle Kunststoffe zusammen genommen! Der Anteil nachwachsender Rohstoffe an der Deckung des (werk-)stofflichen Bedarfs ist deutlich höher als der Anteil nachwachsender Rohstoffe an der Deckung des Energiebedarfs.

Der Hauptgrund für die mangelnde Beachtung dürfte sein, dass sich die stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe in Hunderten oder gar Tausenden unterschiedlichen Produktlinien (je nachdem wie man sie gruppiert und zählt) vollzieht, wohingegen sich die energetische Nutzung übersichtlich strukturiert auf wenige Produktlinien beschränkt. Während die drohende Energiekrise im öffentlichen Bewusstsein angekommen ist, ist die gleichsam drohende Rohstoffkrise kaum präsent.

Aber auch unabhängig von öffentlicher Wahrnehmung und politischer Unterstützung erleben wir weltweit bereits eine "Rohstoffwende". Von dieser wird im Folgenden die Rede sein und auch davon, wie eine Balance zwischen Energie- und Rohstoffwende gefunden bzw. wieder hergestellt werden kann. Welche Möglichkeiten die Politik hat, auch für die Rohstoffwende günstige Rahmenbedingungen zu schaffen?

Rohstoffwende

Die Rohstoffwende - der Übergang von einer Erdöl-basierten auf eine nachwachsende Rohstoffbasis für die Industrie - ist unaufhaltsam. Und nicht nur das: Wir sind bereits mitten drin. Hunderte von Produktlinien sind schon in der Umstellung von Erdöl- auf NaWaRo-basierte Roh- und Werkstoffe.

Nachdem Agrarrohstoffe als Rohstoffbasis für die Industrie seit Jahrzehnten Marktanteile an erdölbasierte Rohstoffe verloren haben, ist nun aufgrund der hohen Erdöl- und Kunststoffpreise bereits eine Trendwende zu verzeichnen: Agrarrohstoffe - Cellulose, Stärke, Zucker, Pflanzenöle, Naturfasern oder auch Naturkautschuk - erobern verlorene Marktanteile zurück. Und dies sowohl in traditionellen Anwendungen (Bau und Möbel, Zellstoff und Papier, Verpackungen, Wasch- und Pflegemittel, Schmiermittel und vieles mehr, siehe Grafik) als auch mit neuen Verfahren, wie der Biotechnologie oder neuen Verbundwerkstoffen, die seit der ersten Ölkrise in den 70er Jahren massiv weiterentwickelt wurden.

Durch die starke Subventionierung der Energiewende wird die Rohstoffwende noch gebremst. Die durch günstige Rahmenbedingungen angeheizte Nachfrage im Energiebereich verteuert aktuell viele Agrarrohstoffe, so dass diese für neue Anwendungen im werkstofflichen Bereich oft noch zu teuer sind. Mittel- bis langfristig wird die rohstoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe aber erheblich an Bedeutung gewinnen - da es hierzu, im Gegensatz zum Energiebereich, keine Alternativen gibt. Während zur Deckung des Energiebedarfs eine Reihe von erneuerbaren Technologien wie Solar- und Windenergie zur Verfügung stehen, wird die stoffliche Nutzung aus den endlichen Quellen mineralischer Rohstoffe (Industrieminerale, Metalle, fossile Energieträger) gespeist. Werden diese knapp und teuer, bleiben nur nachwachsende Rohstoffe.

Besondere Hoffnungen setzen die Industrieländer dabei auf die weiße (industrielle) Biotechnologie und sog. Bioraffinerien. Dabei sollte aber die Weiterentwicklung und Optimierung der traditionellen stofflichen Prozessketten, die aktuell mehr als 95% der stofflichen Nutzung ausmachen und oft mit großer regionaler Wertschöpfung im ländlichen Raum verbunden sind, nicht übersehen werden. So sollte z.B. in Deutschland die starke Holzwerkstoffindustrie, die ganz besonders unter den hohen Rohstoffkosten infolge der energetischen Nutzung von Holz, erhalten und ausgebaut werden.

Für die neuen Biotechnologien gilt es neben der technischen Machbarkeit, frühzeitig grundsätzliche ökonomische Fragen zu beantworten, um Fördermittel nicht in wenig zukunftsträchtige Bahnen zu lenken. In einer Reihe von Anwendungen werden traditionelle Prozessketten immer kostengünstiger bleiben als neue biotechnologische. Dafür können mit Biotechnologie Bereiche erschlossen werden, die traditionellen Prozessketten verschlossen bleiben, oder auch Rohstoffe aus Nebenströmen, die bisher stofflich nicht genutzt werden konnten.

Flächenknappheit & Ressourcenmanagement

Schon jetzt zeichnet sich in Europa und auch weltweit ab, dass die zur Verfügung stehenden Agrar- und Forstflächen nicht ausreichen werden, um im ausreichenden Maße Lebensmittel und Rohstoffe für die Energie- und Rohstoffwende zu produzieren. Analysiert man die Situation genauer, so stellt man fest, dass die Flächen vermutlich für die Lebensmittelproduktion und die stoffliche Nutzung ausreichen - nicht aber für die energetische Nutzung von Biomasse, die sich unserer Ansicht nach nur als eine (wichtige) Übergangstechnologie erweisen wird. Hierfür spricht auch, dass erneuerbare Technologien wie Solar- und Windenergie erheblich flächeneffizienter sind als Biomasse, die den Malus des schlechten Wirkungsgrades der Fotosynthese mit sich trägt. So lässt sich - selbst am Standort Deutschland - auf derselben Fläche mit Solarzellen das 10- bis 20-Fache an Solarenergie gewinnen als über den "Umweg" Biomasse.

Neues Thema im ländlichen Raum ist heute "Ressourcenmanagement": Wie können die regionalen Ressourcen der Agrar- und Forstflächen möglichst effizient und wertschöpfend genutzt werden - für Lebensmittel, Energie und Rohstoffe? Wichtig ist, zukünftig Pflanzen möglichst vollständig zu nutzen. Hier wachsen stoffliche und energetische zum Teil wieder zusammen. Nebenströme der Lebensmittel- und Rohstoffproduktion können oft energetisch genutzt. Ebenso können manche Nebenströme der energetischen Nutzung stofflich genutzt werden: Bei der Biodieselproduktion entsteht als Nebenprodukt Glycerin, Nebenprodukte der Bioethanolproduktion können als Klebstoffe genutzt werden und bei der Biogasproduktion können Cellulosefasern für die werkstoffliche Nutzung abgezweigt werden.

Biotechnologische Verfahren mit den Nebenprodukten der traditionellen Prozessketten aus der stofflichen Nutzung oder Lebensmittelproduktion zu speisen ist eine weitere wichtige Option, zumal diese Agrar-Sekundärrohstoffe oft preisgünstig sind oder sogar zum Teil heute noch kostenpflichtig entsorgt werden müssen.

Konzepte und Instrumente zur Förderung der stofflichen Nutzung

Zunächst müsste die Balance zwischen stofflicher und energetischer Nutzung wiederhergestellt werden. Hier gilt es, das öffentliche, politische und auch industrielle Bewusstsein für die stoffliche Nutzung zu wecken. Neben Öffentlichkeitsarbeit ist dies im Energiebereich durch gezielte Förderungen gelungen. Es ist unter diesem Gesichtspunkt zu begrüßen, dass das BMELV im Jahr 2006 die bisherige Abteilung Nachwachsende Rohstoffe in nunmehr zwei Abteilung aufgespalten hat: Eine zur energetischen und eine zu stofflichen Nutzung.

Zudem sollte kontinuierlich erhoben werden, wie sich Förderungen im Bereich Biomasse-Energie auf die Preise der Agrarrohstoffe auswirken und welche Folgen dies für die Lebensmittelproduktion und die stoffliche Nutzung hat. Sollten diese ungünstig sein, sollte das Förderniveau der energetischen Nutzung überprüft und ggf. korrigiert werden. Alternativ können Stützungs- oder Fördermaßnahmen für die stoffliche Nutzung entwickelt werden, die die Effekte ausgleichen oder überkompensieren.

Fördermaßnahmen für die stoffliche Nutzung müssen zu verschieden und spezifisch sein, wie die Anwendungen. Eine Vielzahl von Richtlinien, Verordnungen und Gesetzen bieten Möglichkeiten die stoffliche Nutzung zu fördern, darunter z.B. die Altauto-Richtlinie/ Altauto-Gesetz, Verpackungsverordnung oder Bioabfallverordnung.

In verschiedenen Entsorgungs-/Wiederverwertungs-Richtlinien wird die erneute stoffliche Nutzung (Recycling) gegenüber der thermischen Nutzung favorisiert, was in der Praxis oft zu Problemen führt. Da nachwachsende Rohstoffe, selbst bei ihrer thermischen Nutzung, eine vergleichsweise günstige CO2-Bilanz aufweisen, könnte man hier Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen bevorzugen, indem man ihre thermische Nutzung der stofflichen gleichstellt.

Die günstige CO2-Bilanz von Werkstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen sollte stärker diskutiert, betont und auch finanziell "belohnt" werden. Dies vor allem auch deshalb, weil in vielen stofflichen Anwendungen das CO2 sogar über Jahre oder Jahrzehnte gespeichert wird. Die stoffliche Nutzung stellt meist eine längerfristige CO2-Senke dar. Wenn die Kraftfahrzeug-Steuern nach den CO2-Emissionen bestimmt werden sollen, dann wird es Zeit, auch Werkstoffen, die eine erheblich bessere CO2-Bilanz als andere aufweisen, finanzielle Vorteile zukommen zu lassen.

Hier betritt die Politik Neuland und es gibt noch jede Menge zu tun, um die geeigneten und effizienten politischen Stellschrauben zu finden und zu nutzen. Dabei kann man auf umfassende Erfahrungen aus den Bereichen der energetischen Nutzung von Biomasse und der erneuerbaren Energien Sonne und Wind zurückgreifen. Hier ist Deutschland tatsächlich eine Energiewende gelungen - warum sollte dies nicht auch im stofflichen Bereich gelingen?

Dipl.-Phys. Michael Carus ist Geschäftsführer des nova-Instituts, Marktforschung & Ökonomie. Zum Thema siehe auch: Rohstoffwende. Die Suche der Industrie nach Erdöl-unabhängigen Rohstoffen. Das 10. Symposium Nachwachsende Rohstoffe für die Chemie findet an der Universität Oldenburg am 28. und 29. März statt.