Die Mutter aller Terror-Datenbanken quillt über

Nach drei Jahren hat sich Terrorist Identities Datamart Environment (TIDE) des National Counterterrorism Center mindestens vervierfacht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In den USA wurden nach dem 11.9. neben dem neuen Ministerium für Innere Sicherheit, dem Department for Homeland Security, zahlreiche Antiterror-Einheiten mitsamt Terrorlisten geschaffen. Im Kern steht das National Counterterrorism Center (NCTC), bei dem alle Informationen über Terrorismus aus dem Inland und dem Ausland zusammenlaufen sollen und das entsprechend Zugriff auf viele Datenbanken besitzt. Das NCTC betreut auch die zentrale Datenbank Terrorist Identities Datamart Environment (TIDE), in der seit 2003 alle geheimen Informationen von allen Quellen wie der CIA, der DIA, dem FBI oder der NSA gesammelt und analysiert werden. Aus der TIDE-Datenbank gehen Informationen etwa zum Terrorist Screening Center (TSC) des FBI, das die unterschiedlichen Beobachtungslisten (watch lists) zusammenstellt, beispielsweise die No-Fly-Liste für die Transportbehörde TSA, die Visa- und Passliste für das Außenministerium oder die Liste für das National Crime and Information Center (NCIC) des FBI.

Einsatzzentrum des NCTC. Bild: NCTC

Das NCTC betreut auch die "geheimste Website der Welt", so sieht es jedenfalls John Scott Redd, der ehemalige Vizeadmiral und jetzige Direktor des NCTC. Auf der Website, kurz NOL genannt, werden Geheimdienstinformationen von 28 Regierungsnetzwerken bzw. 60 Behörden aufbereitet, so dass ein schneller Zugriff weltweit von Mitarbeitern der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden über die Informationen möglich ist, die über Terroristen und Verdächtige vorliegen. 2006 waren hier nach einem NCTC-Bericht bereits 6 Millionen Dokumente zugänglich, die wiederum mit TIDE abgeglichen werden.

Das Problem ist, wie es bei allen Terrorlisten zu erwarten ist, die alles scheinbar Verdächtige sammeln, dass mit dem steigenden Informationsberg auch die Unübersichtlichkeit wächst und die Qualität der Informationen abnimmt. Gesammelt werden vom NCTC nicht nur "Terroristen" im Ausland und verdächtige Ausländer, sondern erstmals auch verdächtige US-Bürger in einer Datenbank. Mittlerweile enthält TIDE Informationen zu 435.000 Namen (mit Aliasnamen) von Terroristen oder Terrorverdächtigen bzw. Dateien von über 300.000 Einzelpersonen.

Russ Travers, der verantwortlich für TIDE ist, zeigt sich gegenüber der Washington Post bereits besorgt über die "langfristige Qualitätskontrolle". Allerdings müsste er nicht in die Zukunft schauen, es gab bereits zahlreiche Fälle, bei denen Menschen aufgrund einer Namensverwechslung oder falschen Informationen in die Maschinerie des Terrorverdachts kamen. 2004 und 2005 lag nach einem Bericht des Government Accountability Office bei der Hälfte der Namen von Reisenden, bei denen eine Überprüfung aufgrund der Liste zum NSC erbeten wurde, ein Irrtum vor. Das betraf auch US-Politiker wie den demokratischen Senator Ted Kennedy oder die Frau des republikanischen Senators Ted Stevens, dessen Frau Catherine Stevens mehrmals bei Flügen einen Warnhinweis ausgelöst hatte, weil man sie offenbar mit Cat Stevens verwechselte. Der ist zwar Muslim geworden, aber auch hier wäre schon die Frage, was er auf der Liste der Verdächtigen zu suchen hat.

Schema von TIDE. Bild: NCTC

Aufgrund der Geheimhaltung und der unregulierten Kompetenz des NCTC ist es kaum möglich, wieder von den Listen gestrichen zu werden, was Travers gegenüber der Washington Post auch einräumt. Offenbar kommt sicherheitshalber vieles in die Datenbank, was nicht wirklich überprüft wurde. Und ganz nach Behördenmaxime behält man lieber alles, weil man ja nie wissen kann. Das ist hier ohne weiteres möglich, weil die Datenbank eine black box ist und niemand das Recht hat, auch wenn er fälschlicherweise hineingeraten ist, die Behörde zu zwingen, die Daten nachweisbar zu löschen.

Tausende von Informationen kommen täglich zu TIDE, berichtet Travers. Vieles sei fragmentarisch, inkonsistent und falsch. Man nehme auf, was als vernünftig verdächtig gelten könne. Verdächtige erhalten Nummern, denen alles zugeordnet wird, was über die Person gesammelt wurde und bekannt ist. Sunnitische und schiitische Muslime stellen die Mehrzahl, angeblich sind nur 5 Prozent US-Bürger dabei, die aufgenommen werden, wenn es irgendeine Verbindung zum internationalen Terrorismus gebe.

Jeden Tag werden die neuen Informationen und Personen in die Datenbank des TSC eingespeist. Dort sind mittlerweile Informationen über 235.000 Menschen gespeichert, nachdem die von Tide kommenden Daten noch einmal überprüft wurden. Angeblich würden nach einer weiteren Überprüfung die Zahl derjenigen, die schließlich auf der No-fly-Liste der TSA, die 30.000 Namen enthalten soll – nach Informationen von CBS sollen es aber schon letztes Jahr 44.000 gewesen sein - , oder den Listen für die Konsulate, der Grenzbehörden oder der Polizei landen, noch geringer sein. Die Liste der Verdächtigen, die genauer überprüft werden müssen, bevor sie in die USA einreisen können, ist allerdings wesentlich größer als die auf der No-fly-Liste. Auch hier bleibt geheim, nach welchen Kriterien selektiert wird.

Sogar 14 der 19 Flugzeugentführer vom 11.9. waren zumindest noch letztes Jahr auf der Liste. Das verteidigte Rick Kopel, der Direktor des NSC noch heute. Terroristen würden nämlich gerne Namen benutzen, von denen sie glauben, sie stünden nicht auf den Terrorlisten: "Bei jedem Namen auf der Liste gibt es einen Grund, warum er sich dort befindet."