Online-Durchsuchungen bereits möglich?

Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums liegen die rechtlichen Grundlagen zur "heimlichen Informationsbeschaffung" für den Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst und den Bundesnachrichtendienst bereits vor

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Auf eine Anfrage von Wolfgang Wieland, des innenpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion, ob die Nachrichtendienste aus der Sicht der Bundesregierung gegenwärtig bereits die Rechtsgrundlage für Online-Durchsuchungen besitzen, hat der parlamentarische Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, Peter Altmaier (CDU) geantwortet. Danach ist offenbar für die Bundesregierung eine "heimliche Informationserhebung mittels Online-Durchsuchung" nicht nur für den Bundesverfassungsschutz, sondern auch für den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärischen Abwehrdienst (MAD) bereits jetzt möglich.

Aus der Antwort, die Telepolis vorliegt, geht zwar nicht hervor, ob bereits Online-Durchsuchungen durchgeführt wurden, die vom Bundesgerichtshof am 31. Januar 2007 aufgrund fehlender Rechtsgrundlage verboten worden sind. Allerdings scheint Altmaier in der Antwort davon auszugehen, dass die vom Bundesgerichtshof monierten fehlenden Rechtsgrundlagen vorhanden seien. Die Bundesregierung, so heißt es, werde im Hinblick auf den Beschluss des BGH prüfen, ob ein "gesetzgeberischer Änderungsbedarf bei der entsprechenden Informationsbeschaffung durch die Nachrichtendienste besteht". Da aber darauf nicht folgt, dass bis zum Abschluss dieser Prüfung bzw. bis zu einer gesetzlichen Änderung keine Online-Durchsuchungen durchgeführt werden, kann man dies wie Wieland in seiner Pressemitteilung so verstehen, dass bereits Online-Durchsuchungen durchgeführt werden oder wurden: "Die Geheimdienste hacken bereits, ungeniert und unkontrolliert", wirft Wieland der Bundesregierung vor.

Wieland fordert die Bundesregierung auf, die Online-Durchsuchungen sofort einzustellen. Für ihn wird damit Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) verletzt, da es sich bei Online-Durchsuchungen auf Festplatten heimischer PCs um ein Eindringen in Wohnungen handelt. Überdies sei mit dem Eindringen in Computer auch nicht der vom Bundesverfassungsgericht geforderte Schutz des "Kernbereichs privater Lebensgestaltung" gewährleistet. Wieland moniert, dass die Online-Durchsuchungen, so sie denn bereits praktiziert werden, unkontrolliert stattfinden würden. Weder liege für sie eine Genehmigung eines Richters vor, noch werde sie von der G-10-Kommission kontrolliert. Das sei ein Skandal.

Altmaier beruft sich als Sprecher des Bundesinnenministeriums auf die bestehenden Gesetze der Nachrichtendienste, die eine "heimliche Informationserhebung mittels Online-Durchsuchung" ermöglichen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz habe die Rechtsgrundlage dafür im Bundesverfassungsschutzgesetz § 8 "Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz" Abs. 2 und § 9 "Besondere Formen der Datenerhebung" Abs. 1:

§ 8 Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz

(2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden. Diese sind in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Bundesministers des Innern, der die Parlamentarische Kontrollgremium unterrichtet.

§ 9 Besondere Formen der Datenerhebung

(1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, mit den Mitteln gemäß § 8 Abs. 2 erheben, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß

1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können oder

2. dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist.

Die Erhebung nach Satz 1 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch eine Auskunft nach § 18 Abs. 3 gewonnen werden kann. Die Anwendung eines Mittels gemäß § 8 Abs. 2 darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes stehen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden. wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann.

Für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) wird auf das Militärische Abschirmdienstgesetz (MADG) § 5 sowie § 4 und zudem auf die bereits erwähnten Paragraphen des Bundesverfassungsschutzgesetzes verwiesen:

§ 4 Befugnisse des Militärischen Abschirmdienstes

(1) Der Militärische Abschirmdienst darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen nach § 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, soweit nicht die anzuwendenden Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. Er ist nicht befugt, personenbezogene Daten zur Erfüllung seiner Aufgaben nach § 1 Abs. 2 zu erheben. § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet Anwendung; die Zustimmung zur Dienstanweisung erteilt das Bundesministerium der Verteidigung.

§ 5 Besondere Formen der Datenerhebung

Der Militärische Abschirmdienst darf Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, nach § 9 des Bundesverfassungsschutzgesetzes erheben, soweit es

1. zur Erfüllung seiner Aufgaben nach § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 sowie zur Erforschung der dazu erforderlichen Quellen oder

2. zum Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Militärischen Abschirmdienstes gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten, auch nach § 2 Abs. 2, erforderlich ist; § 9 Abs. 2 und 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet entsprechende Anwendung.

Beim Bundesnachrichtendienst wird auf das entsprechende BNDG § 3 verwiesen:

§ 3 Besondere Formen der Datenerhebung

Der Bundesnachrichtendienst darf zur heimlichen Beschaffung von Informationen einschließlich personenbezogener Daten die Mittel gemäß § 8 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes anwenden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. § 9 des Bundesverfassungsschutzgesetzes ist entsprechend anzuwenden.

Beim BND hebt Altmaier hervor, dass mit dem Hinweis auf die rechtlichen Grundlagen keine Aussage darüber gemacht werde, "ob der BND von der Befugnis im Inland Gebrauch macht oder nicht". Auch hier weist die uneingeschränkte Verwendung der "Befugnis" darauf hin, dass man im Bundesinnenministerium offenbar eine zusätzliche gesetzliche Grundlage für eigentlich nicht erforderlich hält und damit auch keine Probleme mit dem Grundgesetz sieht. Zu vermuten ist, dass nicht alle Regierungsmitglieder über die Grundannahme des Bundesinnenministeriums informiert sind, wenn weiterhin Politiker der Regierungskoalition davon sprechen, dass Online-Durchsuchungen legalisiert werden sollen ("Das Internet ist eine Welt, in der jede Sauerei stattfindet").

Dem Handelsblatt gegenüber hat eine Sprecherin des Bundesamts für Verfassungsschutz auf die Frage, ob bereits Online-Durchsuchungen stattgefunden hätten, erklärt, dass dies geheim sei. Zudem unterliege auch die Dienstvorschrift, aufgrund derer dies nach & 8 Art. 2 geregelt ist, der Geheimhaltung.