Sehnsucht nach der Hölle

Wir hätten die Hölle verdrängt, erklärt Papst Benedikt XVI., und bringt auch die Märtyerer wieder ins Spiel

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Bald werden wir wieder im Paradies angelangt sein. Allerdings sind die Beschreibungen des ewigen Lebens in der Seligkeit, selbst wenn die Gläubigen mit dem unversehrten und ästhetisch ansprechenden Leib von Christus im besten Alter im Jenseits eintreffen, wie Augustinus den Siechen, Alten und Märtyrern versicherte, irgendwie schal. Besser als mit dem immerwährenden geistigen Glück beim Lobpreis Gottes waren schon immer die Darstellungen des Gegenteils: Mit der Hölle lassen sich einfach die besseren Bilder und überhaupt Beeindruckenderes schildern. Das ist in der Kirche nicht anders als in den Medien.

Papst Benedikt XVI. erinnert an die Hölle. Bild: Vatikan

Bezeichnend mag sein, dass es in der Kathpedia.com, der katholischen Version von Wikipedia, keinen Eintrag vom Paradies gibt. Immerhin findet man das Stichwort Himmel, allerdings scheinen die katholischen Autoren sich hier wirklich schwer zu tun, etwas auch nur einigermaßen Nachvollziehbares zu sagen. Das gelingt ihnen bei der Hölle schon ein wenig besser, aber wenn angegeben wird, dass die Hölle aus der "immerwährenden Trennung von der Liebe Gottes" besteht, mag das Viele wohl nicht allzu sehr beeindrucken. Mit der "Abschaffung der Hölle" will man jedenfalls nicht spielen, man interpretiert sie gut psychoanalytisch als "neue Erscheinungsform überwunden geglaubter Höllenangst". Und dazu würde wohl auch der leibhaftige Böse gehören, der Teufel als Gegenspieler Gottes und der Guten.

Religionen sind Instanzen, die Heilsversprechen über das irdische Leben hinaus vermitteln, sie können aber nur wohl nur wirksam sein, wenn das Versprechen auch mit Drohungen verbunden ist. Wer nichts fürchten muss, ist vermutlich auch nicht willig, auf etwas Verzicht zu leisten oder bestimmte Vorschriften für das irdische Leben einzuhalten, selbst wenn ihm etwas Besseres in Aussicht gestellt wird. Auch wenn alles hier falsch läuft, es wartet das Jüngste Gericht, das die Bösen in die ewige Verdammnis und die Guten in den Himmel schickt – mit dem Kompromiss, dass die nicht ganz so Bösen bloß eine Weile im Fegefeuer, der religiösen Läuterungsanstalt, verbringen müssen, um dann doch noch in den Genuss der Seligkeit zu gelangen.

Dass sich mit der Hölle die Schäflein besser sammeln lassen, hat nun auch Papst Benedikt XVI. am Sonntag wiederentdeckt und den Gläubigen in einer Predigt in der Kirche Santa Felicita in Fidene vor Augen geführt. Für den Beweis der Hölle muss denn auch Jesus Christus und die verschmähte Liebe aufgeboten werden: "Jesus ist gekommen, um uns zu sagen, dass er uns alle im Paradies haben will und dass die Hölle, von der man in unserer Zeit so wenig spricht, existiert und ewig ist für jene, die ihre Augen vor seiner Liebe verschließen.“

Ratzinger scheint das Reden über die Vernunft oder den logos nicht mehr auszureichen. Man habe zu wenig über die Hölle gesprochen, mit der die Heilsbotschaft wieder Dramatik und Kolorit erhält und die Welt wieder schön dichotomisch in die Guten und die Bösen, in die Seligen und die Bösen aufgeteilt werden kann. Allerdings wollte der Papst die Höllenqualen (noch) nicht plastisch schildern, aber doch davor warnen, dass das Böse, das direkt in die Hölle führt, mit dem Festhalten an der Sünde zu tun hat. Man dürfe nicht vergessen, dass auf diejenigen, die vom Glauben abfallen, die ewige Verdammnis, das Inferno, wartet. Gott hat den Menschen die Möglichkeit geschenkt, zwischen Hölle und Erlösung zu wählen. Und wer nicht für die Erlösung ist, so ließe sich Benedikt ganz im Sinne eines anderen Heilsbringers auslegen, ist gegen uns und gehört der Hölle an.

Zum 50. Geburtstag der EU wollte Benedikt auch einen Beitrag leisten und klarstellen, dass Europa ohne die Kirche, insbesondere die katholische, nichts ist. Man dürfe auf die christliche Identität der Völker nicht verzichten. Die Werte des Christentums seien für Europa zentral, daher müsse die "sichere Existenz einer stabilen und dauerhaften menschlichen Natur" gesichert werden, womit wohl das Menschen- und Familienbild der katholischen Kirche und ihrer zölibatären Priester gemeint ist, die vorehelichen Sex, Kondome, Homosexuelle und Gleichberechtigung verdammen ("Mit heimtückischer Propaganda verbreitet sich heute ein absurder Kult Satans").

Ausgerechnet Bischof Romero, der von Rom und Ratzinger nicht unterstützt und wegen seines Einsatzes für die Menschenrechte ermordet wurde (Ratzingers Angst vor der Kirche der Armen), muss nun herhalten, um einen Lobgesang auf die christlichen Märtyrer zu singen. Die Märtyrer seien "die Hoffnung der Welt, weil sie beweisen, dass die Liebe Christi stärker ist als Gewalt und Hass". Damit nähert sich der gegenwärtige Papst dem Kult der Märtyrer an, der von den Islamisten veranstaltet wird. Muss die christliche Kirche mit Märtyrern und der Hölle im Aufgebot den islamistischen Eiferern entgegen treten und so ein religiöses Wettrüsten einleiten?