Wie der Brokkoli die Welt verändert

Internationales Bündnis klagt gegen Patente auf Saatgut und Nutztiere

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Ein bislang einzigartiges Bündnis von Bauernverbänden, Umwelt- und Entwicklungshilfeorganisationen aus Asien Europa, Süd- und Nordamerika fordert zur weltweiten Mobilisierung gegen die Patentierung von Saatgut und Nutztieren auf. Für den u.a. vom italienischen, argentinischen, indischen und spanischen Bauernverband, Greenpeace und Misereor unterstützten Appell wurde am 26. März eigens eine mehrsprachige Website freigeschaltet.

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Der globale Aufruf richtet sich an die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA). In einer Grundsatzentscheidung will nämlich das EPA in nächster Zeit befinden, ob Patente für die Züchtung konventioneller Pflanzen generell zulässig sind. Die Behörde hat bereits Hunderte von Patenten auf gentechnisch veränderte Pflanzen vergeben. So wurde letztes Jahr z. B. Patente auf Salat und Sonnenblumen anerkannt, während das Interesse von Lebensmittelkonzernen und Zuchtunternehmen drastisch zunimmt: Die Anzahl der Anmeldungen hat sich im letzten Jahr von durchschnittlich 20 auf 44 mehr als verdoppelt.

Zwar konnte bislang die Patentierung z.B. von Mais mit erhöhten Ölgehalt aufgrund eines durch Greenpeace und Misereor erwirkten Widerspruchsverfahrens wegen fehlender Neuheit gerade noch verhindert werden, aber mit dem Präzedenzfall für ein bereits 2002 erteiltes Patent des Lebensmittelkonzerns Plant Science auf Brokkoli (EP 1069819) kann zukünftig die Patentierung von Pflanzen und Tieren massiv erschwert oder erleichtert werden. Bei Bestätigung des Brokkoli-Patents könnte es fortan genügen, ein Gen in einem gentechnisch veränderten Organismus ausfindig zu machen, das ebenfalls in Pflanzen oder Tieren aus herkömmlicher Züchtung zu finden ist, um einen Anspruch auf ein Patent zu erwerben. Somit könnten Pflanzen, Tiere und Zuchtverfahren als Erfindungen deklariert werden, auf deren Nachfolgegeneration und ihre Haltung der Patentbesitzer ebenfalls Forderungen geltend machen könnten.

Die Schwierigkeit des Verfahrens liegen in der Unklarheit des Patentrechts begründet:

Die Gen-Patentrichtlinie der EU (...) verbietet zwar Patente auf „im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren“. Die EU-Richtlinie erlaubt aber derartige Patente, wenn das Verfahren nicht „vollständig auf natürliche Phänomenen wie Kreuzung oder Selektion beruht. Kommen also einfache technische Elemente hinzu wie eben eine Gen-Diagnose, können auch ganz normale züchterische Verfahren zum Gegenstand von Patenten werden.

Christoph Then, Greenpeace

Als bizarre Folge dieser juristischen Irritation beansprucht das amerikanische Unternehmen Monsanto bereits heute ein weitreichendes Patent auf das Leptin-Gen von Schweinen aus konventioneller Züchtung, so dass Monsanto im Grunde jedem Schweinehalter seine Lizenzforderung aufdrücken könnte. In Kanada und den USA hat der Konzern hierfür bereits Praxis gesammelt, indem dieser scharenweise Bauern verklagte (Vgl. Haltet den Dieb?).

Bislang wurden diese weitreichenden Konsequenzen aus der zukünftigen Entscheidung des EPA unter einem kleinen Kreis von Experten, Juristen, Lobbyisten und Politikern diskutiert, aber nicht von den direkt Betroffenen, den Konsumenten und Bauern. Für letztere würde eine Bestätigung des Patents eine radikale Enteignung bedeuten, da sie z. B. ihr Saatgut nicht mehr zurückbehalten dürften (bislang verwendet der überwiegende Teil der weltweit 1,5 Milliarden Bauern eigenes Saatgut). Überdies handeln die Konzerne verstärkt mit Saatgut, das nur für ein Jahr verwendbar ist, so dass die Bauern unter eine immer größere Kontrolle und Abhängigkeit der Riesenunternehmen geraten würden. Laut einer Studie der ETC beherrschen derzeit zehn Multis rund die Hälfte des Saatguthandels.

Dies hätte eine fortschreitende Abnahme der Artenvielfalt und sich ausbreitende Monokulturen zur Folge, was nicht nur Pflanzen und Tieren schaden würde, sondern auch deren Züchter in eine Katastrophe stürzen könnte. Denn bislang haben die Bauern, deren Staaten sich entschlossen haben, mit den internationalen Konzernen zu kooperieren, mit dem genmanipulierten Material überwiegend desaströse Erfahrungen gemacht. In Indien wurden Tausende von Bauern in den Selbstmord getrieben, die sich mit den Gebühren auf gentechnisch veränderte Baumwolle ruinierten (Asiatischer Dämpfer für grüne Gentechnologen). Dies dürfte auch der Grund sein, warum es zum ersten Mal gelungen ist Bauernverbände und Umweltschutzorganisationen in ein Bündnis zu zwingen.

Diese außergewöhnliche Allianz hat nun zwei Jahre Zeit, um weitere Unterstützer für ihr Projekt zu finden, denn das EPA wird vermutlich erst nach diesem Zeitraum im Falle Brokkoli zu einem abschließenden Urteil kommen. Die Ausgangssituation ist für Greenpeace und die Bauernverbände nicht gerade günstig: Zum einen wurde der Einspruch gegen das Brokkoli-Patent ebenfalls von einem Zuchtkonzern, nämlich der schweizer Syngenta eingelegt, der selber ähnliche Patente eingereicht hat und mit dem Einspruch – so vermutet Greenpeace - die Rechtslage zu seinen Gunsten klären lassen will. Zum anderen - und damit verbunden - hat sich die Große Beschwerdekammer des EPA bislang den Belangen der Konzerne eher aufgeschlossen gezeigt.

Im Jahr 2000 wurde generell die Patentierung von Pflanzensorten und Tierrassen zugelassen und ein gegenteilig lautendes Urteil zurück genommen (Europäisches Patentamt gibt Patentierung von Pflanzen und Tieren frei). Überdies existieren mannigfach Verflechtungen zwischen Industrie und Patenamt: Laut Aussage des Greenpeace-Sprechers Christoph Then, sind zahlreiche Wissenschaftler, die vormals bei den Konzernen angestellt waren, als “Experten“ in das Patentamt gewechselt: „Nach beiden Seiten sind hier die Türen offen.“