Datenerfassung ohne Identifizierung

Ein Bericht der Royal Academy of Engineering warnt vor der Überwachungsgesellschaft und fordert die Entwicklung von Datenschutztechniken, die in Produkte und Dienste integriert werden müssen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Großbritannien ist das europäische Pionierland, was die Überwachung betrifft. Letztes Jahr warnten Datenschützer, dass Großbritannien allmählich zu einer Überwachungsgesellschaft wird, in der das Leben der Menschen von Geburt bis zum Tod für den Staat und die Privatwirtschaft immer transparenter wird. Ein Bericht der Royal Academy of Engineering warnt, dass mit weiteren technischen Fortschritten die Überwachung immer dichter wird, weswegen es dringend notwendig sei, endlich auch technisch Vorsorge für den Schutz persönlicher Daten zu leisten. Das meint die Möglichkeit, für den Einzelnen, besser seine Daten kontrollieren und auch eine wieder größere Anonymität in Anspruch nehmen zu können, aber auch die Einführung des Prinzips der Datensparsamkeit und den Schutz davor, dass Daten missbräuchlich verwendet werden können.

Rasant schnell entwickeln sich Techniken, mit denen sich immer Daten sammeln, übertragen, zusammenführen und auswerten lassen. Damit ließen sich zwar auch viele Vorgänge etwa bei öffentlichen Verkehrsmitteln, im Gesundheitsbereich oder im Warenfluss beschleunigen und verbessern, die bekannte Kehrseite aber ist, dass die Privatsphäre der einzelnen Menschen kontinuierlich wegschmilzt und deren Leben unerwünscht anderen gegenüber offen steht. Man tauscht also oft seine persönlichen Daten gegen irgendeine Erleichterung ein, oft aber hat man auch persönlich gar nichts davon.

Die technische Entwicklung habe auch die Form der Überwachung erheblich verändert. Man könne digital Daten im Prinzip endlos speichern oder eine immer perfektere Bildsuche, ergänzt durch Gesichts- und Bewegungserkennung, durchführen. Eine der Endpunkte wäre ein Suchprogramm, das beispielsweise "Google spacetime" heißen könnte und mit dem man herausfinden könne, an welchem Ort sich eine bestimmte Person zu welcher Zeit aufgehalten hat. Besonders in den öffentlichen Räumen habe die Menschen keine Möglichkeit, der Überwachung zu entgehen. Das erhöhe den Eindruck, bereits in einer "Big-Brother-Gesellschaft" zu leben. Dabei müssen die Überwacher nicht der Staat oder Konzerne sein, es können auch die Mitmenschen sein, da besonders das Internet "das Potenzial hat, auch die Überwachungstechniken zu dezentralisieren und zu demokratisieren".

Für die Techniker, so der Bericht Dilemmas of Privacy and Surveillance der wichtigsten britischen Technikervereinigung, sei es eine Herausforderung, neue Techniken zu entwickeln, die den Datenschutz integrieren, so dass der Zweck der Datenerhebung erreicht wird, ohne die Privatsphäre zu verletzen. Der Einbau von Sicherheitstechnologien würde routinemäßig in Fahrzeugen geschehen, so ähnlich sollte dies bei allen neuen Techniken und Diensten sein, bei denen Daten erfasst werden. Dazu müsste mehr Geld in die Forschung für den Datenschutz fließen und entsprechende gesetzliche Anforderungen beschlossen werden.

So könne man Mautsysteme entwickeln, die die gefahrenen Strecken erfassen, aber es nicht ermöglichen, die konkreten Fahrstrecken zu ermitteln. Vorgeschlagen wird etwa auch, Videosysteme zu entwickeln, die automatisch normales Verhalten ausfiltern und nicht aufzeichnen. Gleich ob es um digitale Pässe, die Benutzung von Handys oder die von Kunden- oder Kreditkarten geht, so können damit bis ins Einzelne gehende Profile über das Verhalten der Menschen erstellt werden, man könne die Systeme aber auch so gestalten, dass nur so viel Daten erfasst und verarbeitet werden, wie dies unbedingt notwendig ist.

Tatsächlich kommt der politische Datenschutz meist zu spät und wird er durch neue Techniken in aller Regel aufgeweicht. Dabei ist mit Sicherheit zu erwarten, dass Behörden, Unternehmen und Institutionen besonders aufgrund der fortschreitenden Vernetzung und der digitalen Abwicklung von Vorgängen immer mehr Daten erfassen und in Datenbanken eingeben werden. Es wäre also längst an der Zeit, Produkte und Dienste präventiv so zu entwickeln, dass auch vom Benutzer steuerbare Datenschutzmechanismen in ihnen vorhanden sind. Beispielsweise wird zunehmend bargeldlos bezahlt. Das ließe sich auch machen, so der Bericht, ohne belegen zu müssen, wer der Bezahlende ist:

Für viele elektronische Transaktionen wird ein Name oder eine Identität nicht benötigt, erforderlich ist, ob wir alt genug sind oder dass wir das Geld dazu haben. Kurz, nur Autorisierung, nicht Identifizierung sollte verlangt werden. Reiseangebote und Einkaufen können so gestaltet sein, dass die Privatsphäre geschützt wird, indem es den Menschen ermöglicht wird, anonym Waren zu kaufen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Die Autoren weisen darauf hin, dass es im Hinblick darauf auch wichtig wäre, "digitales Bargeld" zu entwickeln. Die Versuche, die es gegeben hatte, haben sich nicht durchsetzen können, aber ein solches "digitales Bargeld" könnte eine relative Anonymität bei gleichzeitiger Zahlungssicherheit garantieren, die es auch beim Einkauf mit Bargeld gibt. Beim Einkauf im Netz muss zwar beispielsweise eine Lieferadresse angegeben werden, aber solche Daten müssten nicht zentralisiert gesammelt, sondern könnten nur einmalig genutzt werden.

Die Kunden sollten ganz allgemein die Möglichkeit besitzen zu entscheiden, welche Daten von ihnen erhoben werden, fordert Nigel Gilbert, der Leiter des Teams, das den Bericht erstellt hat:

Wir haben Supermärkte, die Daten über unsere Einkaufsgewohnheiten sammeln und zudem Lebensversicherungen anbieten. Was werden sie in 20 Jahren machen können, wenn sie wissen, wie viele Donuts wir gekauft haben?

Zu erwarten ist allerdings, dass es nicht die letzte Warnung vor dem Gang in die digitale Überwachungsgesellschaft sein wird, die kaum auf Resonanz stößt und noch weniger politisch aufgegriffen wird. Die Datenschützer haben zu wenig Befugnisse und die Politik setzt eher auf neue Überwachungstechnologien als auf technischen Datenschutz, wie man gerade wieder anhand des in Berlin vorgestellten "Europäischen Sicherheitsforschungsprogramms" sehen konnte (Freiheit durch Sicherheit?).