Wir drehen uns im Kreis

Eine kurze Geschichte des Hinrichtungsfilms in Amerika (und anderswo)

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Das Hängen, lange Zeit als öffentliches Spektakel inszeniert, hatte einen schlechten Ruf. Unsachgemäß ausgeführt, konnte es eine halbe Stunde dauern, bis das Opfer endlich tot war, und manchmal wurde diesem der Kopf abgerissen. In den USA der 1880er galt so etwas als grausam und ungewöhnlich (das „und“ ist wichtig, weil nur beides zusammen staatliche Gewaltausübung verfassungswidrig macht). Also suchte eine Kommission des Staates New York nach einer anderen Methode.

AC vs. DC

Gefunden wurde sie mit Hilfe von Thomas Alva Edison. Der große Erfinder war ein Gegner der Todesstrafe, empfahl aber gleichwohl einen tödlichen Stromstoß – vorausgesetzt, der Strom wurde durch einen Westinghouse-Dynamo erzeugt. Westinghouse hatte bei der Elektrifizierung Amerikas die Nase vorn, weil sein Wechselstrom billiger als Edisons Gleichstrom war. Edison wollte den Konkurrenten vom Markt drängen, indem er dessen Produkt als tödlich brandmarkte. In seinem Labor wurden mit Wechselstrom Hunde, Kälber und Pferde getötet, bis ein Gesetz formuliert war, das zu einer „Humanisierung“ der Todesstrafe führen sollte. Dazu gehörte, dass fortan hinter Gefängnismauern und vor wenigen Zeugen exekutiert wurde.

Die Medien sollten verpflichtet werden, nur den Vollzug zu melden, ohne Details; denn Einzelheiten, so der Gesetzgeber, würden nur die Gewalt fördern. Als dann aber aus der vermurksten ersten Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl, 1890 im Auburn Prison, ein Zu-Tode-Foltern des Delinquenten wurde, ließ sich die Presse nicht den Mund verbieten. Dem Aufschrei der Empörung folgte allerdings nicht die Abschaffung der Todesstrafe, sondern nur die fortan stereotype Versicherung, dass der Getötete nicht gelitten habe.

Edison war auch ein Pionier des Hinrichtungsfilms. 1895 ließ er den Kopf von Maria Stuart rollen (The Execution of Mary, Queen of Scots), 1901 die Hinrichtung des Attentäters von Präsident McKinley auf dem elektrischen Stuhl nachstellen, weil der Direktor des Auburn Prison $ 2000 ausschlug und Dokumentaraufnahmen verweigerte (Execution of Czolgosz). Das Medium sah sich von Anfang an dem Vorwurf ausgesetzt, aus Profitgier Sex und Gewalt zu zeigen. Hinrichtungen waren bei den frühen Filmemachern beliebt, weil hier Gewaltdarstellungen gerechtfertigt werden konnten, indem man sie in einen historischen oder patriotischen Kontext stellte. Wer zusah, wie Czolgosz und andere exekutiert wurden, erlebte mit, wie die Gerechtigkeit ihren Lauf nahm. Das hatte moralischen Anspruch.

Topsy

Ein Höhepunkt an Realismus wurde erreicht, als in einem Vergnügungspark der Elefant Topsy die Contenance verlor und drei Wärter tötete. Im Luna Park wurden Elefanten und Schwarze dazu benutzt, exotische Kulturen in Szene zu setzen. Topsys Wutausbruch war verstörend, weil urplötzlich aus einem gezähmten ein wildes Tier wurde. Das weckte Ängste vor einer Revolte gegen Rassismus. Um dem entgegenzuwirken, war eine Neuinszenierung nötig. Ein Probedurchlauf für King Kong, wo der Affe am Ende ganz klein am Empire State Building hängt und die entfesselte Natur mit überlegener Technik gebändigt wird. Vor 1500 Zuschauern schickten Edisons Leute 6000 Volt durch Topsys Körper und hielten die Tötung auf Film fest. Electrocuting an Elephant (1903) wurde ein Kassenschlager.

Hinrichtungen und Hollywood

Die Elektrizität blieb bei Hinrichtungen vorerst unangefochten. Angels With Dirty Faces (1938) zeigt, wie schnell sich das Staatstragende in Subversion verkehren kann: James Cagney mimt auf dem Weg zum elektrischen Stuhl den Feigling, um im Film nicht zum Helden der Slumjugend zu werden und wird umso mehr das Vorbild der Jugendlichen im Kino. Kurios ist Manhattan Melodrama (1934). Mickey Rooney, in Young Tom Edison (1940) als genialer Erfinder tätig, spielt den jungen Clark Gable, der später auf dem elektrischen Stuhl stirbt. John Dillinger sah den Film und wurde vor dem Kino von der Polizei erschossen. Ärger bekam Fritz Lang, als er sich in Fury (1936) jener spezifisch amerikanischen Form der Hinrichtung widmete, dem Lynchen: das Studio zwang ihn, eine Szene mit Schwarzen, also den häufigsten Lynching-Opfern, herauszuschneiden. James Whale musste das Lynchen im Horrorfilm Bride of Frankenstein (1935) verstecken, und Cy Endfield landete auf Hollywoods Schwarzer Liste, nachdem er den Lynch-Film Try and Get Me! (1951) gedreht hatte.

Oscar-kompatibel sind Hinrichtungsfilme seit I Want to Live (1958; Susan Hayward stirbt unschuldig in der Gaskammer), weil Hollywood so sein „liberales Gewissen“ feiert (Dead Man Walking; Monster’s Ball). Keinen Preis gab es für Fritz Langs Beyond a Reasonable Doubt (1956), der alles auseinander nimmt, was je für die Todesstrafe vorgebracht wurde und dagegen ist, obwohl sein Protagonist schuldig ist. Capote brachte einen Oscar für den Hauptdarsteller, das Ende der Kreativität für die Hauptfigur und das Hängen zurück ins Kino. Und die amerikanische Intervention im Irak hat uns nicht nur die Hinrichtung Saddams und einiger seiner Schergen beschert, sondern auch – im Internet – genau jene Bilder vom Hängen (einen abgerissenen Kopf inklusive), die vor mehr als hundert Jahren durch die Einführung des elektrischen Stuhls ein für allemal verschwinden sollten. Auch das Für und Wider wird mit genau denselben Argumenten ausgetragen wie damals. Wir drehen uns im Kreis.

Von Hans Schmid erscheint im zweiten Halbjahr 2007 das Buch "Operation Frankenstein" im Verlag belleville