Die Frucht vom Baume der Erkenntnis

Apple-User sind überdurchschnittlich oft Anhänger der Intelligent-Design-Schöpfungslehre

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"Think different" lautete bis 2002 der Slogan der Apple-Kampagne. Mac-Nutzer nahmen diese Aufforderung offenbar wörtlicher als erwartet. Rund 53 % fühlen sich zu"Think different" der Neokreationisten hingezogen - so lautet das überraschende Ergebnis einer eben von der S.I.R.E-Stiftung (Foundation for Social Information Research Environment) veröffentlichten Studie.

Eigentlich sollte es nur ein Studentenscherz sein - geboren aus einer langen nächtlichen Diskussion zwischen Marie Hempbush, Studentin der vergleichenden Religionswissenschaften, Vergil Lucas, Doktorand der Sozialwissenschaften und Dr. Eugene Powers, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Psychologie-Bereichs an der S.I.R.E.-Stiftung im kalifornischen Palo Alto. S.I.R.E. ist ein, vor allem Sozialwissentschaftlern bekannter Think Tank, der der Univerität Stanford angegliedert ist. Das Trio redete sich die Köpfe über die Frage heiß, ob es einen Zusammenhang zwischen der Wahl des bevorzugten Computersystems und den religiösen Überzeugungen des Anwenders gäbe. Da sie mangels valider Daten zu keinem Ergebnis kamen, überredeten sie Dr. John Walden, Junior-Professor an der Informatik-Fakultät, einen Online-Fragebogen zu entwerfen. Dieser wurde im Verlauf von nur fünf Monaten von über 112.000 Nutzern aus aller Welt ausgefüllt und bildete schließlich die Grundlage eines umfassenden Forschungsprojekts. Die Ergebnisse der Studie liegen nun vor, und sie bieten ein überraschendes Bild: Apple-Nutzer fühlen sich überdurchschnittlich oft von den Ideen des Neo-Kreationisten angezogen: 27 Prozent halten die Ideen der Intelligent-Design-Bewegung für überzeugend, 12 Prozent sogar für "sehr überzeugend" und elf Prozent stimmen sogar der Aussage zu "Intelligent Design und Darwins Evolutionsthorie sollten in Schulen als gleichwertige Ansätze unterrichtet werden." Drei Prozent unter den Teilnehmern - von denen knapp 42 Prozent aus den USA, 37 Prozent aus Europa, 4 Prozent aus Australien und der Rest aus Afrika, Asien und Südamerika kamen, wollten in Schulen sogar nur den Intelligent-Design-Ansatz unterrichtet sehen.

"Wir waren zunächst von dem Ergebnis überrascht, zumal Nutzer der anderen, unter Endkonsumenten verbreiteten Betriebssysteme Windows und Linux keine derartigen statistischen Auffälligkeiten sichtbar wurden", so Powers, der die Auswertung der Studie leitete.

"Um auszuschließen, dass das Umfrage-Ergebnis lediglich den weltweiten Roll-Back zu religiösen Fundamentalismus abbildet, entschlossen wir uns, rund 5.500 Teilnehmern einen zweiten, psychologisch fundierten Fragebogen zu ihren Grundwerten und Überzeugungen zukommen zu lassen. 1718 Mac-Nutzer haben diesen beantwortet", so Lucas. "Die Mehrzahl der Apple-User bezeichnete sich als mit kreativen Aufgaben betraut. Überraschenderweise scheint bereits die Ähnlichkeit zwischen den beiden Wörtern `Kreativität und `Kreationismus eine zustimmende Haltung hervorzurufen." Das sei umso erstaunlicher, als über 85 Prozent der teilnehmenden Mac-User über einen Universitäts- oder vergleichbaren Abschluss verfügten. "Offensichtlich ist der Gedanke des Platonschen `göttlichen Funken` insbesondere in schöpferisch tätigen Menschen stark verankert, sie sehen sich oftmals als `Original-Genie` in der Tradition der europäischen Sturm und Drang-Epoche, als Individuum, das nur nach eigenen Regeln lebt", so Marie Hempbush. Es scheint, als ob Apple mit der enorm erfolgreichen "Think Different"-Kampagne zur Jahrtausendewende einen Nerv getroffen hatte.

In rund drei Dutzend persönlichen Interviews kam das Forscherteam noch andern Mechanismen auf die Spur. So wird der Mac von der überwiegenden Mehrzahl seiner Nutzer massiv idealisiert. "Sie identifizieren sich in so hohem Maße mit ihren Rechnern, dass sie sich sogar das Firmenlogo als Tattoo stechen oder ins Haar scheren lassen.", wundert sich Hempbush. "Die Psychologie spricht hier auch von einer hochgradige Identifikation, die auch bis zur Inkorporation, der Einverleibung, reichen kann. Derartige archaische Praktiken lassen schon eindeutig masochistische Tendenzen erkennen.", ergänzt Powers.

Die Abgrenzung insbesondere von Windows-Nutzern wird allerdings von Apple seit jeher massiv in der Unternehmenskommunikation eingesetzt, man denke nur an den berühmten "1984"-Werbespot zur Einführung des Macintosh, oder auch an die aktuelle "Ich bin ein Mac/ Ich bin ein PC"-Kampgne. Die Dichotomisierung in Gut und Böse ("PC vs. Mac") bildet das vielfach variierte Grundthema fast aller Apple-Kampagnen. Anwendern, die zur Demonstration ihrer Zugehörigkeit zur "Apple-Gemeinde" von körperlichen Eingriffen zurückschrecken, bietet das Unternehmen mit kostenlos beiliegenden Logo-Aufklebern immerhin die Möglichkeit, Fenster und Autos zu verzieren. "Hier kann man durchaus Parallelen zum Fisch-Aufkleber christlicher Gemeinden ziehen", meint Hempbush. "Sogar eine rudimentäre Liturgie ist erkennbar. Apple-Keynotes werden ähnlich wie Sonntagsandachten herausragender Prediger weltweit übertragen und von den bei dem Ereignis Anwesenden - immerhin in der Mehrzahl der Neutralität verpflichteten Journalisten - mit rituellen Standing Ovations bejubelt."

"Es scheint, als ob unter Apple-Nutzern Bestätigungstendenzen ("confirmation bias"), also die Neigung einmal getroffenen Annahmen stets selbst zu bestätigen, besonders ausgeprägt sind", erläutert Powers. "Typischerweise geschieht dies durch das Ausblenden unpassender Informationen bei gleichzeitiger Suche nach stützenden Befunden." So weigerten sich die meisten Anwender, den geringen Marktanteil des Betriebssystems von kontinuierlich unter zehn Prozent zu akzeptieren und deuteten diesen in Elitenbildung um. "In ähnlicher Weise interpretieren auch Kreationisten Forschungsergebnisse oder Fossilien nur innerhalb ihre vorgeprägten Paradigmas", erklärt er. Doch möglicherweise leben wir bereits wieder in einem neo-magischen Zeitalter, vermutet Vergil Lucas: "Lassen Sie nicht zu, dass der Lärm fremder Meinungen Ihre eigene innere Stimme übertönt. Und vor allem haben Sie Mut, Ihrem Herzen und Ihrer Intuition zu folgen", so Steve Jobs in seiner Stanford Commencement Speech von 2005. Auch wenn das bedeute, dass die Welt wieder in sieben Tagen erschaffen wurde.