Mexiko: Kampf gegen die Privatisierung des Energiesektors

Während in Lateinamerika verstärkt an der Verstaatlichung vom Öl- und Gasreserven gearbeitet wird, will der umstrittene Präsident Calderón sie privatisieren

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Mehr als 200.000 Menschen haben am Sonntag in Mexiko mit einer Demonstration die zweite Nationale Konvention der Opposition abgeschlossen. Die Konvention richtete sich vor allem gegen das Vorhaben der konservativen mexikanischen Regierung, den 1938 verstaatlichten Energiesektor zu privatisieren. Doch Gründe gibt es daneben noch viele, um drei Monate nach der Amtseinführung gegen die Politik des umstrittenen Präsidenten Felipe Calderón auf die Straße zu gehen, der die Vorwürfe, nur durch Wahlbetrug die Macht erlangt zu haben, nie ausräumen ließ. Da sind die hohen Preise für Maistortillas oder die Reform der Pensionsgesetzgebung, mit der er sich mit den Bediensteten im Staatsdienst anlegt. Mit seiner geplanten Besteuerung von Medikamenten und Nahrungsmitteln würden vor allem diejenigen am stärksten getroffen, die ohnehin über wenig Einkommen verfügen. Demonstriert wurde auch für die Freiheit der Gefangenen aus der Unruheprovinz Oaxaca, wo die Proteste der Bevölkerung mit massiver Repression unterdrückt werden.

Demonstration der Opposition am letzten Sonntag auf dem Zocalo. Bild: AMLO

Mexiko kommt nicht zur Ruhe. Waren es im vergangenen Jahr die Proteste im Rahmen der Vorwürfe der Opposition, dass Calderón nur mit Wahlbetrug die Macht erlangt habe, so folgten nach der Amtsübernahme im Januar und Februar große Proteste wegen des dramatischen Anstiegs der Tortillapreise (Politische Wirren in Mexiko) oder wegen der Lage in Oaxaca, wo er die Protest und Streikbewegung mit massiver Repression unterdrückt hat. Zu diesen weiter schwelenden Konflikten gesellen sich ständig neue hinzu.

In dieser Woche sind es vor allem die Kritik an der Reform des Pensionsgesetzes, die für Unruhe sorgen. Sie betrifft mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Die Reform wurde unter Protesten von Zehntausenden am späten Mittwoch im Parlament verabschiedet. Selbst nach Angaben der Polizei beteiligten sich an einer Demonstration gegen die Reform in der Hauptstadt am Mittwoch 26.000 Menschen, vor dem abgeriegelten Parlament kam es dabei auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im ganzen Land kommt es immer wieder zu Streiks und Demonstrationen.

Es geht um viel Geld, etwa 57 Milliarden Peso (knapp vier Milliarden Euro), das bisher von der Bank von Mexiko angelegt wurde, wobei nicht bekannt ist, in welchen Bereichen oder Aktien die Rentenersparnisse der Bevölkerung möglicherweise einem Risiko ausgesetzt werden. Da alle Einsprüche von Calderóns "Partei der Nationalen Aktion" (PAN) und der der ehemaligen Staatspartei "Partei der Institutionellen Revolution" (PRI) abgeschmettert wurden, kann dieses Geld in Zukunft sogar im Ausland angelegt werden.

Ging man schon bisher davon aus, dass wegen der fehlenden Transparenz Gelder abgezweigt wurden, wird von der Opposition nun befürchtet, dass diese Unregelmäßigkeiten über die Reform verdeckt werden sollen und die Kontrolle in Zukunft sogar noch schwieriger wird. So war es auch nur konsequent von PAN und PRI, den Einspruch abzulehnen, mit dem gefordert wurde, einen Vertreter der Rentenbezieher in das Aufsichtsgremium aufzunehmen.

Die Beitragszahler dürfte allerdings mehr stören, dass die Beiträge zur Rentenversicherung bis 2012 von nun 3,5 % auf 6,125 % fast verdoppelt werden sollen. Dazu soll das Rentenalter angehoben werden. Die Mindestrentenhöhe sei mit 3000 Pesos (etwa 200 Euro) eine "Hungerrente" und da helfe vielen auch die Möglichkeit nichts, sie über freiwillige Zahlungen anzuheben. Denn die können sich wieder nur die leisten, die ohnehin schon gut verdienen und auch nach der Erhöhung der Beiträge noch Geld haben. Sie werden für jeden eingezahlten Peso mit zusätzlichen 3 Peso 25 aus dem Staatssäckel belohnt. Eine Subventionierung hoher Renten für Besserverdienende.

Das Gesetz muss jetzt noch von Calderón unterzeichnet werden, woran dieser aber keine Zweifel aufkommen lässt. Er begrüßt die Reform, bezeichnet sie als "Triumph der Demokratie" und feiert sie als "wichtigste Reform für Mexiko in den letzten zehn Jahren". Die Opposition hat derweil Verfassungsklage angekündigt und die Gewerkschaften, die nicht der PRI nahe stehen, mobilisieren auf einen landesweiten Streik.

Die sich zuspitzende Lage versucht der Oppositionsführer Andrés Manuel López Obrador mit seiner oppositionelle Partei der Demokratischen Revolution (PRD) erneut zu nutzen. Er hatte sich im September mit der ersten Nationalen Konvention von einer Million Menschen zum "legitimen Präsidenten", aslo zu einer Art Gegenpräsident zu Calderón, einsetzen lassen. Schon damals wurde eine Strategie für einen gewaltfreien, dauerhaften und massiven Widerstand gegen den "Usurpator" Calderón angekündigt.

Widerstand gegen die beabsichtigte Privatisierung der staatlichen Erdölgesellschaft angekündigt

Vor dem Hintergrund der zahlreichen Reformen hatte Obrador zu einer zweiten Konvention aufgerufen, die bis zum vergangenen Sonntag in der Hauptstadt stattfand und mit einer Großdemonstration abgeschlossen wurde. Knapp eine Woche lang wurden auf diversen Versammlungen Strategien diskutiert, um dem neoliberalen Projekt der Regierung zu begegnen. Auch hier war die Rentenreform Thema und die PRD hat einen gemeinsamen Widerstand angekündigt, um das Reformgesetz wieder zu kippen. Interessant ist, dass im deutschsprachigen Raum praktisch niemand über die Konvention berichtet hat. In wenigen Medien wurde, allerdings nur in Kurzmeldungen, die Abschlussdemonstration, an der über 200.000 Menschen teilnahmen, als Protest gegen Calderón gewürdigt.

Diskutiert wurde auch über das Ansinnen Calderóns, die Verfassung zu ändern, um die Ölreserven, seit 69 Jahren in staatlicher Hand, privatisieren zu können. Während in Bolivien, Venezuela und Ecuador nationalisiert wird, damit der Reichtum des Landes auch den Menschen im Land zugute kommt, geht Calderón den umgekehrten Weg.

Mit der Konvention und der Demonstration sollten den Konservativen in dieser zentralen Frage für das Land schon frühzeitig die Zähne gezeigt werden. So war es auch kein Wunder, wenn dieses Thema Obrador in seiner Abschlussrede auf dem zentralen Platz am Sonntag in den Mittelpunkt stellte. Er erklärte zunächst, "das Volk muss geschützt und das nationale Eigentum muss verteidigt werden"

Im Verlauf seiner Rede, die in der Tageszeitung La Jornada dokumentiert wurde, stellte er eine direkte Frage an die Demonstrationsteilnehmer, um sich ihrer Unterstützung in dieser Frage zu versichern:

Seid ihr bereit dafür, falls im Parlament eine Initiative zur Reform der Verfassung oder der Gesetze vorgelegt wird, die zum Ziele haben, Pemex (die staatliche Erdölgesellschaft) zu privatisieren, dass ich euch erneut mit außerordentlichem Charakter einberufe, um die notwendigen Mittel zum Schutz des Öls zu beschließen?

Die Menge versicherte ihm die Unterstützung, auch wenn er erstmals mit den " notwendigen Mitteln" eine Andeutung machte, dass die strikte Gewaltlosigkeit und ein Ausweichen der Konfrontation mit der Staatsgewalt ein Ende haben könnten. Die scharfen Worte hängen damit zusammen, dass Calderón und der Pemex-Generaldirektor Jesús Reyes Heroles auch hier eilig Reformen anstreben. So warnten beide kürzlich davor, dass die nachgewiesenen Ölreserven keine zehn Jahre mehr die aktuelle Fördermenge garantieren könnten. Wegen fehlender Investitionen hätten sich die nachgewiesenen Öl- und Gasreserven seit 2002 von 30,8 Milliarden Barrel auf nunmehr 15,5 Milliarden Barrel halbiert, beteuerte Reyes. "Das Unternehmen ist in einer kritischen Situation", warnte er.

Schnelles Handeln sei unerlässlich, damit die Zukunft von Mexiko als Ölstaat gesichert werde, mahnte Calderón. "Es ist wertlos, dass wir Eigentümer unseres Öls sind, wenn wir mittelfristig daraus keine Vorteile ziehen können." Der Präsident forderte das Parlament auf, die Gesetze zu ändern, um eine Kapitalisierung von Pemex zu erlauben. Seit 1938 verbietet die Verfassung private Investitionen in den Energiesektor, Privatfirmen sind nicht förderberechtigt und können nur als Subunternehmer für Pemex fungieren.

Kluft zwischen Armen und Reichen verschärft sich

So viel Eile macht misstrauisch, vor allem dann, wenn Calderón verschweigt, dass seine PAN unter Vincente Fox seit 2000 das Land regiert und damit wesentlich für die Lage von Pemex und für die fehlenden Investitionen verantwortlich ist. Noch stärker als die PRI-Regierungen über Jahrzehnte zuvor haben Fox und seine PAN sie für den Staatshaushalt gemolken. Obwohl das Öl und das Gas wegen hoher Preise in den letzten Jahren so viel eingebracht hat wie niemals zuvor, wurde kaum noch investiert. Neue Förderfelder wurden nicht erschlossen, die Raffineriekapazitäten nicht erhöht und sogar die Wartung Anlagen kam zu kurz.

In die Bekämpfung der Armut, wie in Venezuela, flossen die Einnahmen des weltweit fünftgrößten Erdölproduzenten jedenfalls nicht. Die Zahl der Armen ist in den sechs Jahren der Fox-Regierung um sieben Millionen auf 47 Millionen angewachsen, somit gilt knapp die Hälfte der Bevölkerung als arm (Politische Wirren in Mexiko). Neue Zahlen bestätigen, dass die Reichen im Land immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Inzwischen beziehen die 10 % der ärmsten Bevölkerung nur noch 1.1 % des gesamten Einkommens, während sich 10% der reichsten Bevölkerung fast 40 % des gesamten Einkommens aufteilen, räumte das Finanzministerium ein.

Und diese Art Umverteilung soll offenbar vorangetrieben werden. Während Calderon Steuervergünstigungen für Unternehmen plant, soll die Mehrwertsteuer nun auch auf Nahrungsmittel und Medikamente ausgeweitet werden. Da auch Calderon klar ist, dass der weitere Anstieg der Preise für Tortilla und andere Grundnahrungsmittel wohl einen Volkssturm auslösen würde, sollen die Maisfladen, Bohnen, Zucker und Milch (noch) ausgeklammert werden. Dem Ansinnen, das die Unterschicht besonders hart treffen würde, widersetzt sich die linke Opposition ebenfalls. Obrador nannte dies einen "weiteren Schlag auf die Volksökonomie", die den "perversen Charakter der aktuellen Regierung" deutlich mache. Deshalb wurde auf der Demonstration am Sonntag stattdessen gefordert, die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mais wieder staatlich festzulegen, um die Ernährung der gesamten Bevölkerung sicher zu stellen.