Die Zeit der Schauprozesse

Während die britischen Gefangenen im Iran sich selbst und ihre Regierung bezichtigen, bekannte sich in Guantanamo der erste "feindliche Kämpfer" für schuldig und erhielt einige bemerkenswerte Auflagen

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Iran aus der Achse des Bösen und die USA, die Sonne der Achse des Guten, sind nicht gut aufeinander zu sprechen, obgleich sie doch einiges gemeinsam haben. Dazu gehört die neue Generation von Präsidenten, die es weniger mit Diplomatie haben, sondern schon gerne Klartext reden und mit ihren Muskeln spielen. Und offenbar schätzen beide auch das Theater in Form von Schauprozessen.

Der iranische Präsident verteidigte gestern die Festnahme der britischen Soldaten. Bild: Irna

Im Iran führt man gerade vor, wie die gefangenen Briten reumütig ihre Fehler einräumen und die Politik ihres Bush-treuen Regierungschefs im Irak verdammen, während man Beweis auf Beweis häuft, dass die Briten in Gewässer oder zumindest auf das iranische Hoheitsgebiet in Form von Schiffen illegal eingedrungen sind. Brief für Brief kommt von der gefangenen britischen Soldatin mit angeblich freiwilligen Äußerungen. Zuletzt schrieb sie, dass sie für die Interventionspolitik von Blair und Bush geopfert wurden. Das ist auch gar nicht so falsch, schließlich sind einfache Marinesoldaten nur Figuren in einem Spiel, das sie nicht notwendigerweise spielen wollen, selbst wenn sie Berufssoldaten in einem demokratischen Land sind.

Das andere Schauspiel konnte man zeitnah in Guantanamo erleben, wo auch die Geständnisse in einer Aufführung präsentiert werden, die einen rechtskonformen Prozess simuliert. Am letzten Freitag hat David Hicks, der im Unterschied zu den britischen Soldaten immerhin schon fünf Jahre von den Amerikanern unter Verletzung der Menschenrechte festgehalten wurde, vor dem Militäergericht gestanden, dass er in Ausbildungslagern von al-Qaida in Afghanistan war, Bin Laden getroffen und den Terrorismus unterstützt hat, indem er etwa die Botschaft der USA in Kabul ausspioniert haben soll. So konnte er eine härtere Strafe vermeiden und ermöglichte dem Gericht, keine Beweise für seine Schuld präsentieren zu müssen. Das Urteil über sieben Jahre Haft war relativ beliebig, es ging vor allem darum, ihn schuldig zu sprechen. Bestätigt werden muss das Urteil nun noch durch weitere Militärrichter. Die Reihen dürften hier wohl geschlossen bleiben.

Ausgehandelt wurde der Deal zwischen dem Hicks zugeteilten Pentagon-Verteidiger (den zivilen Verteidiger hatte der Richter am ersten Tag ausgeschlossen) und der Militärkommission unter Umgehung der Staatsanwaltschaft, was überdies zeigt, dass es um ein politisches Urteil ging. Das "milde" Urteil dürfte auch dem Druck des australischen Ministerpräsidenten John Howard zu verdanken sein, der als treuer Bush- und Irak-Kriegs-Anhänger Zuhause unter wachsender Kritik steht. Ende des Jahres finden Wahlen statt, ein hartes Urteil wollte Howard tunlichst vermeiden.

Hicks ist der erste von vermutlich weiteren 80 "feindlichen Kämpfern", denen zum Schein ein Prozess gemacht wird, während die Mehrzahl der verschleppten Guantanamo-Häftlinge nicht einmal diese Farce gewährt wird. Man wird sie – ohne Entschuldigung und Entschädigung für die Freiheitsberaubung und manche Misshandlungen oder Demütigungen - irgendwann in ein Land freilassen, so dass sie keine Klage gegen den von Bush pervertierten "amerikanischen Traum" führen können. Was die US-Regierung mitsamt dem Pentagon und den Geheimdiensten am meisten fürchten, wäre ein Prozess vor amerikanischen Gerichten, in dem Folter und Misshandlungen im Namen des Staates oder von der Regierung gedeckt nachgegangen würde. Solange sich die USA dem internationalen Gerichtshof entziehen und viele Staaten entsprechend als Supermacht beeinflussen können, droht den Regierungsangehörigen keine Gefahr. Und selbst wenn ein Land Regierungsangehörige der USA oder befreundeter Staaten vor den internationalen Gerichtshof wegen mangelnder Verfolgung stellen sollte, hat der amerikanische Kongress in einem Gesetz bereits eine deutliche Drohung verankert: Der Präsident hätte damit das Recht, auch mit militärischer Gewalt die Gefangenen aus Den Haag zu befreien.

Wachturm in Camp Five, Guantanamo

Hicks wurde zu nur sieben Jahre Gefängnis in einem Deal verurteilt, der ihn dazu verpflichtet, die Amerikaner nicht für Folter oder Misshandlungen belangen zu wollen. So beteuerte er, "niemals unrechtmäßig durch eine Person oder durch Personen behandelt worden zu sein", während er von der US-Regierung in Haft gehalten wurde. Überdies verpflichtete er sich zur Kooperation mit amerikanischen und australischen Behörden. So wird Recht geübt, das ist das leuchtende Vorbild für jeden Schurkenstaat. Der Australier, der seine Haut retten und möglichst schnell der amerikanischen Gefangenschaft entgehen will, wird nun innerhalb von 60 Tagen ausgeliefert. Den Rest der Strafe soll er in seinem Heimatland absitzen, die große Frage wird sein, ob die australischen Gerichte die Farce mitspielen werden und Hicks tatsächlich noch neun Monate in einem Hochsicherheitsgefängnis bleiben muss (fünf Jahre Guantanamo wurden ihm gnädig vom Militärrichter angerechnet). Man vermutet, dass die neun Monate deswegen zustandekamen, um Hicks solange unter Verschluss zu halten, bis die Wahlen in Australien vorbei sind. Der australische Ministerpräsident Howard streitet öffentlich etwas damit und mit der Schweigeverpflichtung zu tun zu haben.

Gestanden hat er mit großer Sicherheit, um nicht lebenslänglich zu erhalten, sein Ticket zur Freiheit erhielt er, um die Bush-Regierung weißzuwaschen, also um zu demonstrieren, dass die Gefangenen von einem Gericht schuldig gesprochen werden und dass keine Misshandlungen begangen wurden. Allerdings müsste ebenso viel Naivität vorhanden sein, hier von Recht und Wahrheit zu sprechen, wie bei den Geständnissen der britischen Soldaten. Das Militärgericht hat dementsprechend auch für einige Feinheiten gesorgt. Hicks muss der australischen Regierung alle Einkünfte übermitteln, die er erhält, wenn die Rechte über die Geschichte seines Lebens verkauft. Damit wird man Hicks vermutlich nicht stoppen können, seine Geschichte öffentlich zu machen, aber es ist ein perfider Versuch, ihm auch hier nach Kräften eine Möglichkeit abzuschneiden, eine gewisse Wiedergutmachung zu erhalten.

Überdies soll er ein Jahr lang nach dem Urteil überhaupt nicht mit Medien sprechen. Man rechnet wohl damit, dass nach einem Jahr das Interesse der Medien an dem Fall erlahmt sein wird und bestätigt damit auch, dass man ernsthafte Befürchtungen über das hegt, was Hicks den Medien berichten könnte. Vermutlich sollen auch die anderen Prozesse bis dahin abgewickelt sein, so dass insgesamt das Interesse am Unrechtssystem Guantanamo erlischt. Die befreundeten Regierung werden darüber auch nicht traurig sein, besonders lautstark sind sie, mitsamt Deutschland, gegen dieses eklatante Unrecht im Namen von Demokratie und Freiheit auf ihrer Seite nicht eingetreten.