Globalisierung - ein Mythos?

Alle Welt spricht von der Globalisierung, die alles verändern wird. Hängen wir damit nur einem Glauben an, der uns vermeintlich eine Orientierung und einen Sinn der Entwicklung verschafft, der aber grundlos ist? Paul Treanor ist Globalisierungsdissident und versucht, die ideologischen Grundlagen dieses Begriffs zu untergraben.

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Warum glauben die Menschen an die Globalisierung? Eine Antwort könnte sein, weil sie nationalistisch sind. Nationalstaaten sind noch immer die herrschenden Gesellschaftsstruktur auf diesem Planeten. Die Anti-Nationalisten wissen das. Wer sagt, daß die "Globalisierung" die Nationen untergräbt, ist kein Anti-Nationalist, sondern im schlimmsten Fall gerade das Gegenteil. Die Globalisierungsmode kann eine Form der nationalistischen Propaganda sein.

Der Inhalt des Globalisierungsmythos

Bis 1989 bestand die Welt aus getrennten, souveränen, autonomen Nationalstaaten mit unterschiedlichen Geschichten. Dann brachen die Grenzen zusammen und nahm das Internet seinen Aufschwung, aber auch die internationale Mafia. Deswegen ist es jetzt eine gefährliche Welt. Man kann diese Version fast wortwörtlich in Ruud Lubbers Artikel Die Globalisierung der Wirtschaft und der Gesellschaft finden. Lubbers, der frühere holländische Premierminister, wurde nicht zum Generalsektretär der NATO gewählt. Jetzt lehrt er die Globalisierung in der amerikanischen Schreibweise.

Der Begriff 'Globalisierung' impliziert, daß verschiedenartige Phänomene in solch einer Geschwindigkeit weltweit wurden, daß dadurch eine ganze Anzahl neuer Phänomene entstanden sind. Globalisierung bringt den Übergang von autonomen Nationalökonomien zu einem globalen Marktplatz für Produktion, Distribution und Technologie mit sich. All das hat zur Entstehung einer weltweiten Konfrontation von politischen, gesellschaftlichen und ethischen Ansichten geführt ... Die weitreichende Integration der Elektronik und der Computer auf der einen Seite und der Kommunikationstechnologie auf der anderen Seite führten zu dem, was Toffler 'die dritte Welle" genannt hat. Und so entstand die heutige Welt.

Ruud Lubbers

Lubbers Text ist typisch für viele Texte über die Globalisierung. Der Globalisierungsmythos hat seine eigene Sprache entwickelt, die mit Themen in der Globalisierungsforschung verbunden sind:

  1. Aufruhr, Chaos, Zusammenbruch, Instabilität, Unordnung;
  2. global, globalisiert, planetarisch, planetarische Ordnung, Weltregierung, Weltgewissen
  3. transnational, grenzüberschreitend, Grenzgebiete. Überschreitung, Auflösung der Grenzen, interkulturell, transkulturell;
  4. multiple Akteure, Vielzahl, vielsprachig, fragmentiert, aufbrechen, auseinanderbrechen;
  5. Fluß, Ströme, Raum der Ströme, Handelsvolumen, Link, Netzwerk, durch Links vernetzt.

Ein anderes Beispiel stammt aus der Ankündigung für die Konferenz Organisation in einer vielsprachigen Welt: Gesellschaftsbildung, Innovation und organisatorischer Wandel (Leuven, Juni 1997)

"In einer Welt von schnellen und turbulenten Veränderungen, der Überbelastung durch Information, der Komplexität in der Kommunikation und der zunehmenden Globalisierung suchen Organisationen nach neuen Paradigmen zur Handlungsorientierung und neuen Formen effektiven Handelns. Die Konferenz thematisiert neuen Theorien und Handlungsweisen, die im entstehenden Kontext der Komplexität speziell angewendet werden können."

Im Global Observatory findet sich eine besondere Version über globale Städte:

"Diese Weltstädte stellen Steuerzentren für das globale Netz der beherrschenden Ströme der Ökonomie, der Kultur und der Menschen dar, auf die sich die Weltwirtschaft stützt ... Sie bilden auch die Orte und Gegebenheiten, die die Verbindung der lokalen Ressourcen mit dem Globalisierungsprozeß unterstützen und den Einfluß der globalen Prozesse auf die lokale Wirtschaft vermitteln."

Offenbar wird all dies nicht hinterfragt. Man nimmt es als gegeben an. Aber die Logik ist falsch.

Die Logik der Globalisierung

Der Glaube an die Globalisierung geht von einer falschen Annahme aus: einer Welt autonomer Staaten, die es jetzt oder vor 1989 oder eher vor 1950 gegeben haben soll.

Doch die Welt stimmt damit nicht überein und hat dies niemals getan. Es gibt viele Hinweise darauf, daß die Welt nicht so ist, wenn man die grenzüberschreitenden Interaktionen betrachtet. Die "Globalisten" aber mißbrauchen diese Tatsachen. Sie sagen, daß es in der Vergangenheit eine Welt getrennter Nationalstaaten gegeben habe und daß diese nun ihrem Ende zugeht und sich auflöst. Diese Inkonsistenz wird dann als der "Globalisierungsbeweis" präsentiert. Sie gilt als Wahrheit, die von den Globalisierungsforschern entdeckt wurde. Akademischer Snobismus ist wichtig für die Weiterführung der Globalisierungsforschung, besonders weil die These auf die Linke und Rechte Eindruck macht. Menschen gelten als dumm, wenn sie nicht an die Globalisierung glauben - oder sie werden ausgeschlossen.

Um die falsche Logik der Globalisierung zu verstehen, muß man die Logik der Nationen betrachten. Warum gibt es Nationalstaaten? Warum gibt es Frankreich und Deutschland? Um Franzosen und Deutsche auseinander zu halten? Nein, um nicht-nationale Staaten zu verhindern. solange es Frankreich gibt, wird es auf seinem Territorium keinen Frauenstaat, keinen anti-rassistischen Staat, keinen gerechten Staat geben. Daher gibt es keine Frauengesetze, keine anti-rassistische Polizei, keine gerechte Armee. Wer verhindert dies? Die nationalen französischen und deutschen Armeen ebenso wie Marktkräfte.

Die Globalisten wollen, daß die Menschen all das vergessen, daß sie die Möglichkeiten vergessen. Wenn man die Möglichkeiten nicht wahrnimmt und nur auf die Nationen sieht, dann stimmt es, daß grenzüberschreitende Interaktion wichtig zu sein scheint. Wenn man seine Augen vor allem außer Frankreich und Deutschland schließt, dann sieht man nur Frankreich, Deutschland und deutsch-französische Beziehungen. Das ganze Universum schrumpft auf ein Problem zusammen: Wie intensiv sollen die deutsch-französischen Beziehungen sein?

So sehen die Globalisten die Welt. Für sie gibt es nur zwei Alternativen: 180 Nationalstaaten oder eine globale Einheit. Sie bemerken Beziehungen zwischen den 180 Nationalstaaten und schließen daraus, daß es Globalisierung gibt.

Wenn es so etwas wie einen globalen Staat gäbe und die selbstgenügsame Partei des Globalen Dorfes die Wahl gewonnen hätte, dann würde das zu einer selbstgenügsamen Welt führen. Letztendlich gäbe es dann eine Welt selbstgenügsamer Dörfer ohne interregionalen Handel, sieht man einmal vom interkontinentalen Handel ab.

Wäre das eine Globalisierung? Wäre das global? Die Antwort muß Ja lauten. Ein globaler Staat, der eine globale Politik realisiert, ist global. Es entspricht genau der Logik, daß es einen globalen Staat oder eine globale Gesellschaft ohne die üblichen Indikatoren für Globalisierung geben kann. Indikatoren wie das Handelsvolumen können auf logisch entgegengesetzte Weise verwendet werden:

  1. Globalisierung bedeutet, daß Nationalstaaten mit allen anderen Nationalstaaten konkurrieren und eine protektionistische Politik betreiben;
  2. Nationalstaaten betreiben keine protektionistische Politik, daher gibt es keine Globalisierung.
  1. Globalisierung bedeutet, daß Nationalstaaten mit allen anderen Nationalstaaten konkurrieren, wodurch das Handelsvolumen wächst.
  2. Nationalstaaten setzen protektionistische Mittel ein, daher gibt es keine Globalisierung.

Es gibt eine einfache Antwort auf diese logische Verwirrung. Nationalstaaten sind nur eine von vielen möglichen Staatsformen. Die bloße Tatsache, daß es eine Welt von Nationalstaaten gibt, weist auf eine Form der Weltordnung von Nationalstaaten hin. Was sie machen, ob sie miteinander Handel treiben oder nicht, ob es zwischen ihnen einen Austausch gibt oder nicht, spielt zumindest in dieser Hinsicht keine Rolle. Was bereits global ist, kann nicht noch globalisiert werden. Daher gibt es keine Globalisierung.

Der grundlegende logische Fehler der Globalisten besteht darin, die nationalistische Behauptung zu übernehmen, daß Nationen separierte Gebilde sind, während sie in Wirklichkeit eine globale und universelle Struktur darstellen: das funktionelle Äquivalent der nationalistischen Weltordnung.

Die Welt funktioniert so, als ob eine nationalistische Weltregierung, geführt von Mazzini, Garibaldi und anderen, im letzten Jahrhundert die Macht übernommen hätte. Die meisten der heute existierenden Staaten wurden von nationalistischen Gruppen errichtet. Die in den Strukturen des Nationalismus enthaltene Idee ist ganz einfach: Nationalisten konkurrieren nicht. Sie kooperieren, um eine (nationalistische) Weltordnung aufrechtzuerhalten und andere Modelle auszuschließen. Bestenfalls sprechen rechte oder linke Globalisierer über einen möglichn globalen Nationalstaat. Dieser Globalismus ist eine Form des Pan-Nationalismus. Aber selbst das liegt in der Zukunft.

Globalisierung ist ein Glaubenssystem:

  1. Die Anhänger der Globalisierung weisen einige Merkmale religiöser Sekten auf, insbesondere von solchen, die an das Ende der Welt glauben. Wenn diese Sekten ein Datum bekanntgeben und die Welt nicht endet, wird ihr Glauben verstärkt. Genauso kann jedes Ereignis für die Globalisierer ihren Glauben bestätigen.
  2. Im Globalisierungsglauben ist ein halb-religiöser Glauben enthalten: ein Pan-Synkretismus, ein Glaube an die letztendliche Verschmelzung aller Dinge.
  3. Der Globalisierungsglaube wird unter Mißachtung des historischen Kontextes wiederholt. Das gilt besonders für das "Instrument der Globalisierung", also daß der heiße Luftballon alle Grenzen aufheben wird. Das hat man aber schon von der Telegraphie, der Eisenbahn, dem Dampfschiff, der drahtlosen Telegraphie, dem Luftschiff, dem Radio, der Luftfahrt, dem Fernsehen, den Bildern der Erde von Satelliten, dem Satellitenfernsehen, dem Internet usw. erwartet.

Überdies stimmen folgende "Beweise" nicht in ihrer Logik:

  1. Jeder Beweis gilt als Beweis der Globalisierung. Wenn es in einer Stadt ein chinesisches Restaurant gibt, zeigt dies die globale Kultur. Wenn es kein chinesisches Restaurant gibt, dann zeigt dies, daß die Stadt hinter dem Globalisierungsprozeß hinterhinkt.
  2. Globale Prozesse werden mit der globalen Auflösungen der Grenzen verwechselt. Der Handel zwischen Nationen kann global sein, aber das bedeutet noch nicht, daß die Nationen sich im Globalisierungsprozeß auflösen.
  3. Der aktuelle Handel wird als Beweis für die Globalisierung gesehen, auch wenn der Handel zwischen Kontinenten Tausende von Jahren alt ist und es den Handel zwischen allen Kontinenten seit 200 Jahren gibt.
  4. Die Sprache wird nominalstisch gebraucht: der Begriff Globalisierung wird jedem grenzüberschreitenden Phänomen zugeordnet.

Unglücklicherweise zeigt das alles, daß es die Globalisierung als Glaube, Mythos oder Mode schon längst gibt.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer