Der Arbeitgeber liest mit

Die elektronischen Überwachungsmöglichkeiten werden immer perfider. Am Arbeitsplatz schwinden die letzten die Reste der Privatheit und der bürgerlichen Rechte. Eine neues Filterprogramm, zu Recht als Censorware tituliert, kann nicht nur den Zugriff auf Web-Sites kontrollieren, sondern auch ein- und ausgehende Email nach "unerwünschten" Inhalten durchsuchen.

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Eine neue Software ist auf dem Markt, die Emails in Echtzeit nach "verdächtigen" Inhalten überwacht. Was Eltern begrüßen mögen und als ein Mittel erscheint, staatliche Regulierung unnötig zu machen, könnte zu einem weiteren Schwinden der Privatsphäre beitragen.

Das oberste Gericht der USA hat unlängst gegenüber den mit hohen Strafen drohenden staatlichen Eingriffsversuchen in die Inhalte des Internet die Verfassungswidrigkeit der allzu ungenau definierten Tatbestände des Communications Decencey Acts und die Andersartigkeit des neuen Mediums festgestellt. Was die Gefährdung der Kinder durch Schmuddelbilder und ähnlich Verwerflichem angeht, baute das Gericht ganz auf die Filtersoftware, durch die Eltern den Zugang ihrer Schößlinge individuell oder nach bestimmten Vorgaben sperren können, also mit dem Prinzip der verschlossenen Türen, deren Geheimnis dann vielleicht erst recht reizt. Clinton jedenfalls machte sich die Kritik des Gerichts zu eigen und setzt jetzt im Zuge der Förderung der Computernetze durch den vor kurzem vorgestellten Blueprint for Global Internet Commerce vor allem auf die Selbregulation und die weitestgehende Zurückhaltung des Staates, kündigte aber im Land der Schießgewehre und des Wrestling gleichwohl an, nachdem jetzt auch ein neues Ratingsystem für Fernsehprogramme in Kraft getreten ist, das etwas auch auf Gewaltszenen in Comics hinweist, das Urteil noch einmal überdenken. Noch herrscht also Unsicherheit und manche Provider üben sich bereits in voreilender Zensur, um einen erneuten staatlichen Eingriff zu verhindern.

Möglicherweise aber könnte "Censorware" als Ersatz für staatliche Regulierung (vgl. Überwachungsstaat und das Gespräch mit David Lyon Chipkarten und Technopolizei) gerade den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, denn was man vielleicht ohne Bedenken gegenüber Kindern exerziert, läßt sich ohne weiteres auch auf Erwachsene übertragen, zumal da, wo sie am wenigsten Rechte haben, nämlich am Arbeitsplatz.

Ganz mit der gegenwärtigen Verunsicherung spekulierend, wirbt die in Arlington ansässige Firma SRA International für ihr neues Programm "Assentor". Entwickelt wurde es zusammen mit der Softwarefirma Sequel, die bereits mit ihrem Net Access Manager ein Überwachungsprogramm für die Internetbenutzung von Mitarbeitern entwickelt hatten. Das neue Programm verspricht, über die Kontrolle, Verhinderung oder Begrenzung von Zugriffen auf Websites interner oder externer Server auf individueller, gruppenspezifischer oer firmenweiter Ebene hinaus, mit Hilfe von KI ein- und ausgehende Emails auf bestimmte Inhalte hin überwachen und blockieren zu können, auch ohne daß dies die entsprechenden Menschen bemerken. Entwickelt wurde es für Firmen im Finanzdienstleistungsgewerbe, die mit hochsensiblen Informationen arbeiten und bei denen die Korrespondenz wie von Seiten der National Association of Securities Dealers bestimmten Regeln der Geheimhaltung unterliegt.

Man weist darauf hin, daß bis zur Jahrtausendwende ein Drittel der Menschen in den USA Email als primäres Kommunikationsmittel benutzen wird, so daß monatlich 12 Milliarden Emails verschickt - und natürlich auch empfangen werden. Aber, so die Firma in ihrem "White Paper", "die Gerichte haben übereinstimmend festgehalten, daß Email-Botschaften nicht unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fallen. Ganz im Gegenteil dürfen Firmen nicht nur die Email-Korrespondenz überwachen und durchsehen, sie haben auch eine Vertrauens- und Rechtspflicht, dies zu tun, um zu gewährleisten, daß keine falsche und/oder illegale Kommunikation stattfindet."

Das mag für bestimmte Finanzdienstleistungen zutreffen, aber man will natürlich das Programm auch andere Organisationen verkaufen, denn Email kann "ein Unternehmen für den Verlust intellektuellen Eigentums, für die Ineffektivität von Angestellten und die Haftung für gesetzwidrige oder falsche Mitteilungen, die von Angestellten mit Firmensystemen verschickt werden, verwundbarer machen." Explizit geht es beispielsweise neben dem gesetzwidrigen Anpreisen von Wertpapieren auch um "obszöne oder rassistische Bemerkungen", also um ein sehr weites Feld. Die amerikanische Rechtssprechung leistet der Überwachung Vorschub, wenn Emails zu einer "feindseligen oder beleidigenden Arbeitsatmosphäre" beitragen, die zur Bestrafung des Arbeitgebers wie kürzlich bei der Citibank führen können. Zwei schwarze Angestellte hatten sich hier darüber beklagt, daß weiße Manager rassistische Emails verschickt hätten. Wenn denn auch AOL, CompuServe oder T-Online sich durch Einbau solcher Censorware vor möglicher Strafverfolgung schützen wollen, dann würde sich die Überwachung nicht mehr nur auf Kinder oder auf Angehörige eines Betriebes oder einer Behörde beschränken, sondern dann wäre auch die private Email von vielen einer permanenten Überwachung ausgesetzt.

Was leistet das Programm, das 200000 Dollar kostet, aber mit der automatischen Überwachung in Echtzeit "höchste Verläßlichkeit mit den geringsten Kosten" anbietet? Im Zentrum der Censorware steht NetOwl von SRA International, eine auf natürlicher Sprache basierende Suchmaschine, die nicht nur nach Stichwörtern sucht, sondern den sprachlichen Kontext von Begriffen analysiert, Sätze zergliedert, Substantive, Verben und Adjektive identifiziert und die Bedeutung eines Textes "versteht". Da Worte in verschiedenen Kontexten verschiedene Bedeutungen besitzen können, ist diese kontextbasierte Analyse ein wirklicher "Fortschritt".

Zunächst werden ein- und ausgehende Emails nach Viren und unerwünschten Botschaften (junk) durchsucht, wobei nicht nur der Text der Email, sondern auch Attachments durchsucht werden, um Emails mit vertraulichen oder unerwünschten Inhalten zu blockieren, mit einer Kennung auszuzeichnen und in "Quarantäne" zu stellen, bis ein Verantwortlicher sie geprüft hat. Das kann mit oder ohne Benachrichtung des Absenders bzw. Empfängers geschehen. Dann wird der Inhalt überprüft, also ob sprachlich formulierte Gerüchte, Insiderwissen, Geldwäscheabsichten, Verkaufstaktiken, Wertpapieranpreisungen, vertrauliche Mitteilungen oder obszöne Inhalte (Flüche, rassistische oder ethnische Bemerkungen, Witze etc.) enthalten sind. Auch der Zugriff auf Web Sites kann überprüft, gesperrt oder kontrolliert werden, so daß sich die Internetbenutzung von Angestellten für nicht-geschäftliche Zwecke feststellen läßt. Natürlich werden auch Mitteilungen an oder von Newsgroups oder Chatrooms erfaßt. Keine kurze Erholung also mehr mit irgendwelchen Sex-Sites oder anderem, das von der Arbeit ablenkt.

Als allgemeines resultat wird von der Firma herausgestellt, daß die automatische Überwachung jeder Email und des Surfens auf dem Web auf jeden Fall die Mitarbeiter dafür "sensibilisieren" wird, was man in Emails sagen darf und was nicht. Besonders kritisch ist das dann, wenn nicht exakt definiert (oder vom Gesetzgeber festgelegt) wird, was routinemäßig überprüft werden kann, und wenn nicht klar zwischen privater und geschäftlicher Kommunikation unterscheiden wird.

Die Cybertimes sieht mit Assentor Big Brother as a Workplace Robot einziehen, für Wired lauert in der Zukunft der Unternehmen der Email-Spion. Etwa 100 Firmen sollen bereits ihr Interesse an dieser Software angemeldet haben. In der Tat geben Angestellte einen Teil ihrer Grundrechte am Eingang zur Arbeitsstätte ab, Telearbeiter möglicherweise aber auch schon dann, wenn sie sich von Zuhause aus in ein firmeneigenes Netz einloggen. Das ist besonders in den USA, das große Vorbild für die europäischen Globalisierungsaufholer, der Fall, wo es, wie die American Civil Liberties Union feststellt, kaum eine Grenze der Überwachung gibt.

Computerüberwachung ist bereits eine weitgehend übliche Praxis, ebenso das Abhören von Telefongesprächen, die Überwachung mit Videokameras und das Speichern aller möglichen Daten in Datenbanken. Gentests und am Körper angebrachte Mikrocomputer, die eine lückenlose Überwachung der Bewegungen eines Angestellten aufzeichnen, sind im Kommen. Unter dem Deckmantel arbeitsplatzspezifischer Überwachung schwindet allmählich jeder noch verbliebene Rest von Privatheit, beginnt man in zwei völlig verschiedenen Welten als Bürger mit Grundrechten und als Angestellter zu leben.

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