Informationsguerilla?

Die Media Foundation, der Kauf-Nix-Tag und der Kampf gegen die geistige Umweltverschmutzung.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Greenpeace hat unlängst auf eine Gruppe kanadischer Aktivisten aufmerksam gemacht, die in der Mediengesellschaft deren Hauptressource, die Aufmerksamkeit, einzusetzen versuchen, um gegen den Terror der Konsumgesellschaft zu rebellieren und Sand ins Getriebe zu streuen. Unterstützen will Greenpeace den Aufruf der Kanadier, am Samstag des ersten Adventswochenendes einen Kaufboykott zu organisieren.

Der von der Media Foundation vorgeschlagene "Buy-Nothing-Day" am 29. November ist wahrscheinlich nur deswegen überhaupt von symbolischer Bedeutung, weil die Werbung dafür offenbar von den Medien nicht angenommen wird, weil sie Angst haben, dadurch ihre Kunden zu verlieren. Ansonsten gleicht der Kauf-nix-Tag einem Boykott wie unlängst dem gegen Shell, bei dem die Protestierenden nichts verlieren, sondern einfach nur woanders oder zur anderen Zeit einkaufen. Aber das Gewissen mag es beruhigen, symbolisch gehandelt zu haben.

Overconsumption is just the most obvious symptom of a larger sickness; our culture is so empty that it needs to stuff itself to feel full. But sneaking up behind it is the culture jammer, and she's got a pin sharp enough to pop the whole deal...

Wir sind weder links noch rechts, sondern geradeaus, verkünden die Aktivisten, die gegen die geistigen und materiellen Umweltverschmutzer wie Marlboro, Budweiser, Benetton, Coke, Absolut Vodka oder McDonald's antreten, aber auch eine Werbeagentur betreiben. Sie verspricht, wenn denn der Zweck stimmt, mediale Botschaften herzustellen, die in die Köpfe der Menschen eindringen. Auf den Ruinen der alten Medienkultur will man eine neue mit einem nicht-kommerziellen Herz und einer entsprechenden Seele aufrichten. Ein bißchen ist das wie eine Fortsetzung der Hippierebellion der Vergangenheit mit den Mitteln der Informationsgesellschaft. Geht man auf die Site, so wird man denn auch von einem Satz Marshall McLuhans begrüßt, dessen Schriften für viele Zwecke ausbeutbar sind.

World War III is a guerilla information war, with no division between military and civilia participation.

Marshall McLuhan

Kalle Lasn und seine Medienguerilla-Freunde haben 1989 die Media Foundation gegründet, geben die Zeitschrift "Adbusters" heraus, die leider nur sehr fragmentarisch ins Web gestellt wird, und haben einige Werbekampagnen gestartet, die mit den Mitteln des Gegners diesen bekämpfen. Es werden abschreckende Unwerbungen mit den Symbolen einer Firma hergestellt. Dann wird ein Werbeplatz in Zeitungen oder im Fernsehen gekauft und versucht, die Werbung dort unterzubringen, was oft nicht gelingt. Lasne sammelt die Fälle, bei denen Sender die Sendung verweigerten, für eine Klage vor dem Verfassungsgericht. Tatsächlich, wenn immer so viel von der Freiheit des Marktes die Rede ist, warum sollte es dann nicht möglich sein, durch bezahlte Werbung gegen Werbung und Medien vorzugehen. Auch mit einem Spott, der für eine fernsehfreie Woche warb, hatten die Kanadier kein Glück. Finden sich nur genügend Menschen, die in Distanz zur Konsumgesellschaft gehen und wieder zum Megatrend des einfachen Lebens zurückkehren, dann kommt es, wie die Medienkämpfer meinen, zu einem Paradigmenwechsel. Veränderung also durch Ansteckung, durch das Aussenden von geschickt gestalteten Memen und Viren des Geistes.

Twenty years ago the environmental movement shocked the world into realizing that our natural environment was dying. Now, our mental environment is similarly endangered: Micro-jolts of mind pollution flood into our brains at the rate of 3,000 marketing messages per day - twelve billion display ads, three million radio ads and over 300,000 TV commercials are dumped into our collective unconscious like toxic sludge. Our attention spans are diminishing, our imaginations giving out, we are unable to remember the past.

Der Kampf richtet sich vor allem gegen die "Corporate Nation". Wenn Unternehmen mächtiger werden als Regierungen, dann muß sich etwas verändern. Firmen und ihre Produkte bestimmen, was wir sehen, was wir wollen und was wir als schön empfinden. Daher: "Subvert Calvin Klein", "Fight McDonalds Grease" oder "Adbust Abolut Vodka."

Trotz aller Erfolge, so schreibt Kono Matsu in der Zeitschrift, sei das "ökonomische Betriebssystem mit dem Namen NEOCLASSIC 2.1" veraltet, auf dem seit 1945 unsere Wirtschaft läuft: "Dieses kleine Teil Software läßt aus den Berechnungen alle "Äußerlichkeiten" - die gesellschaftlichen und ökologischen Kosten unserer Wirtschaftsform - außer Acht. Jahr für Jahr erzählt es uns, daß das Welthandelsbruttoprodukt größer wird, daß wir wachsen und Fortschritte machen, während wir vom Tod der Natur und auf dem Rücken der kommenden Generationen leben. Was ist zu tun? Das liegt auf der Hand: Wir brauchen ein neues ökonomisches Betriebssystem."

Aber es geht den Medienkämpfern natürlich auch um eine Entkommerzialisierung der Medien, weswegen man gegen den "kommerziellen Infovirus" vorgehen müsse, der schließlich den freien Fluß der Ideen ausschalten wird. Jetzt schon hat er Zeitungen, Radio und Fernsehen erfaßt, und er wandert allmählich in den Cyberspace ein. Also schlägt man eine "MEDIA CARTA 1.0" vor. Sie sieht vor, daß jeder mindestens 30 Sekunden Sendezeit kaufen kann, daß gegen die Sender verfassungsrechtlich vorgegangen wird, die Unwerbungen nicht angenommen haben, daß sich eine Bewegung zur Medienreform bilden kann, die die Monopole aufbricht, und daß das "Recht auf Zugang" sowie das "Recht zur Kommunikation" überall auf der Welt als Menschenrecht verankert wird. Das also ist "FREEDOM 1.0" zum Neustarten - und, so erinnert uns Matsu, bezieht bloß nicht Bill Gates ein, was man auch immer machen möge.