Microsoft will ein Exempel an »PC Welt« statuieren

Klagedrohung und hohe Schadenersatzforderungen gegen Computerzeitschrift

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"Streng Geheim" warnte die deutsche Computerzeitschrift "PC Welt" in der März-Ausgabe ihre Leser und versprach Enthüllungen darüber, "wie Sie Microsoft austricksen & die Grenzen von Windows sprengen". Verraten wurde unter anderem, wie Windows 95 installiert werden kann, wenn die Lizenznummer "nicht zur Hand ist", wie billigere Updates von Microsoft Office installiert werden können, ohne zuvor über die eigentlich dafür nötige Vollversion zu verfügen. Ein Kassenschlager sollte das Heft werden, heftig umstritten bei der Konkurrenz. Doch der Verkaufshit könnte sich jetzt als teures Experiment herausstellen.

Für den US-Softwarekonzern Microsoft stellte der Titel eindeutig eine "unverblümte Aufforderung zum Raubkopieren" dar. Das Verhalten der Verantwortlichen bezeichneten Microsoft-Anwälte als "grob rechtswidrig", "verboten" und "strafbar".

Chefredakteur Michael Klein verteidigte den Bericht:

"Wir haben nur Informationen veröffentlicht, die schon einmal woanders standen."

Sie standen in der Tat schon woanders, doch waren sie da nicht für ein breites Publikum gedacht: Tips dieser Art finden sich z.B. in Microsoft-Schulungsunterlagen für Großkunden und Systementwickler, aber auch in speziell von Microsoft eingerichteten Newsgroups. Geoutet wurden die General-Lizenznummern u.a. auch in microsoft.public.de.

Jetzt droht Microsoft dem Verlag mit Schadensersatz und Strafanzeigen gegen die verantwortlichen Redakteure, falls auch in künftigen Ausgaben Interna ausgeplaudert werden sollten. Für eine außergerichtliche Einigung fordert Microsoft harte Zugeständnisse: Für jeden Einzelfall soll der Verlag mit einer Vertragsstrafe von 100.000 abgestraft werden, wenn er zur Softwarepiraterie und -manipulation oder gar zum Boykott von Microsoft-Produkten auffordert. Microsoft verlangt eine zweiseitige Gegendarstellung im nächsten Heft sowie Schadensersatz für die durch die Publikation entstandenen Schäden. Auch die Rechtsanwälte von Microsoft schrieben sich 2 Millionen Mark zuzüglich einer Auslagenpauschale und gesetzlicher Mehrwertsteuer in die Verpflichtungserklärung für "PC Welt".

Mit "PC Welt" soll ein Exempel statuiert werden, wie aus informierten Kreisen der Anwaltskanzlei zu vernehmen ist. An Windows 95 ist nicht mehr viel Geld zu verdienen, doch muß jetzt bereits mit einem Präventivschlag der Boden für die "Windows 98"-Premiere in wenigen Wochen bereitet werden. Würden bei der neuesten Version ebenfalls heiße Insidertips in der Presse gestreut werden, wäre das ein denkbar schlechter Start - aus Microsoft-Marketing-Perspektive.

Die Redaktion fühlt sich trotz des lauten Säbelgerassels jedoch auf "juristisch sicherem Boden". Schließlich wurden zahlreiche Warnungen in die Tip-Sammlung eingefügt, nur in Übereinstimmung mit den Lizenzbedingungen zu experimentieren. Vorerst will die "PC Welt" daher nur die monierten fünf heißen Tips künftig nicht mehr abdrucken - fünf Tage nach dem Anwaltsschreiben wurden die angemahnten "Tips und Tricks" auch im AOL-Online-Angebot der PC-Zeitschrift entfernt. Microsoft reagierte ebenfalls. Die Redaktionen erhält keine Beta-Versionen mehr, Microsoft-Anzeigen werden nun in der "Brigitte" abgedruckt.