Scientology-Sekte verliert Geheimhaltungsprozeß

Schwedisches Verwaltungsgericht setzt Informationsfreiheit über Copyright

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In Schweden muß Scientology nun die Veröffentlichung seiner geheimen Schriften hinnehmen. Das höchste schwedische Verwaltungsgericht stellt das schwedische Öffentlichkeitsprinzip über das internationale Urheberrecht. Lediglich der Europäische Gerichtshof könnte jetzt noch an dem Urteil rütteln.

Die schwedische Regierung muß nach dem spektakulären Gerichtsurteil nun die geheimen Schriften der Scientology-Bewegung als öffentliche Akte freigeben. Nach massivem Druck der Scientologen und der US-Regierung hatte das Stockholmer Kabinett vor einem halben Jahr die "heiligen Bücher" des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard zur Geheimsache erklärt. Die in Schweden als Kirche anerkannte Organisation bezeichnet Hubbards Texte als "religiöses Material, zu dem Außenstehende keinen Zutritt haben sollen", rechtfertigte Informationschefin Tarja Wulto die Sektenklage.

Nach Hubbard ist der Mensch von außerirdischen Wesen besessen, die seine Entwicklung hemmen. Der Mensch kann sich jedoch von den fremden Einflüssen befreien, wenn er sich der Ursache bewußt ist. Demnach ist die Entwicklungshemmung auf die Besiedlung der Erde vor 75 Millionen Jahren durch vom galaktischen Herrscher Xenu mit Raumschiffen entsandte Lebewesen zurückzuführen. Nach Ansicht der Scientologen können die Texte nur dann verstanden werden, wenn eine über kostspielige Scientology-Kurse erworbene Bewußtssteinsstufe erlangt wird.

Ob aufgrund des mystischen Inhaltes oder der genialen Geschäftsstrategie - die Sektenschriften mit den Titeln OT und NOT werden von der Organisation als "streng geheim" eingestuft. In Schweden waren sie jedoch frei zugänglich, nachdem der Scientology-Kritiker Zenon Panoussis je ein Exemplar davon an Regierung und Parlament geschickt hatte. Dadurch wurden die Bücher zur "öffentlichen Akte", die nach dem schwedischem Informationsgesetz von jedem eingesehen werden können. Zwischen den Behörden und den Scientologen entbrannte ein erbittertes Tauziehen: So lagen in der Parlamentsbibliothek Hubbards öffentlich Texte aus, wurden dort jedoch von Mitgliedern der Bewegung in Beschlag genommen. Sie lasen rund um die Uhr in den Schriften, um keinen anderen Leser an ihre "Bibel" heranzulassen. Aber auch die Auseinandersetzungen zwischen Panoussis und Scientology eskalierten. Die Sekte verklagte Panoussis und ließ in seiner Abwesenheit seine Wohnung von Randalierern aufbrechen und verwüsten.

Druck aus Washington

Gleichzeitig wurde die schwedische Regierung aus Washington unter Druck gesetzt. Die US-Regierung mahnte die Verletzung der Scientology-Urheberrechte an und drohte, Stockholm vor der Welthandelsorganisation zu verklagen. Die schwedische Regierung gab dem Druck nach und zog die umstrittenen Texte aus dem Verkehr. Sie berief sich dabei auf die Bestimmung, daß das Öffentlichkeitsprinzip eingeschränkt werden kann, wenn es der Beziehung zu anderen Staaten schadet.

Diese Interpretation verwarf nun das Verwaltungsgericht: Nur wenn der Inhalt der Dokumente die Beziehung zu einem anderen Staat gefährde, könne die Regierung zur Geheimhaltung greifen. Die Richter kamen zu dem Schluß, daß die "Scientologen-Bibel" nichts enthalte, was dem Verhältnis zu den USA schaden könne. Daher habe das Öffentlichkeitsprinzip zu gelten. Nun wollen die Scientologen Schweden vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen.

In Europa umstritten

Auch in Deutschland hatte Kritik an der Sekte für kurze Zeit zu diplomatischen Spannungen geführt. Scientology fordert nach wie vor die Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Ähnlich wie in den USA sind damit auch in Deutschland steuerliche Vorteile verbunden. Die Sekte wird jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet.

Auch in Frankreich führte ein milderndes Urteil eines Gerichts in Lyon gegen einen Sektenfunktionär zu einer heftigen Debatte. In der Urteilsbegründung hatte der Richter festgestellt, die "Scientologenkirche" könne "den Namen Religion beanspruchen". Obwohl in Frankreich mit dem Religionsstatus keine besonderen finanziellen Vorteile verbunden sind, ist in Frankreich die Trennung von Kirche und Staat unumstritten. Dem Richter wurde daher seitens eines konservativen Richterverbands vorgeworfen, er habe seine Kompetenzen überschritten.

Das Netz versus Scientology

Zenon Panoussis hatte im August 1996 auch in der Newsgroup alt.religion.scientology eine Kopie der "NOT - Levels" gepostet und damit in der Öffentlichkeit bis dahin völlig unbekannte Texte in Umlauf gebracht. Die Newsgroup ist im Netz berühmt für ihre Scientologenenthüllungen: Seit Mai 1996 wird die Diskussionsgruppe von Tausenden Spampostings bombardiert. Von rund 20 pseudonymen Accounts aus wurde die Newsgroup mit urheberrechtlich geschütztem Scientology-Material attackiert. Bereits im Dezember 1994 versuchten Scientology-Mitglieder kritische Postings aus der Newsgroup mit Hilfe nichtautorisierter "cancels" zu entfernen. "Cancels" sind speziell formatierte Nachrichten, die Usenet-Server zur Löschung einer zuvor gesendeten Nachricht anweisen.

Im Jahre 1995 eskalierten förmlich die Aktivitäten von Scientology gegen kritische Netzaktivitäten: Im Januar 1995 versuchte die Scientology-Anwältin Helena Kobrin vergeblich die komplette Newsgroup aus dem Internet zu entfernen. Sie behauptete, der Name der Newsgroup verletze den Markennamen von Scientology und werde dazu benutzt, die Urheberechte der Sekte verletzen. Im Winter 1995 versuchten mehrere Sektenanwälte mit juristischen Mitteln die Betreiber von anonymen Remailern dazu zu zwingen, den Zugang zu alt.religion.scientology zu sperren.

Vor allem vom Server des niederländischen Providers XS4ALL aus werden seit Jahren erbitterte Auseinandersetzungen um die geheimen Schriften der "Church of Scientology" geführt. Auf der Homepage der niederländischen Journalistin Karin Spaink waren die Fishman-Papiere veröffentlicht worden. Am 5. September 1995 hatten sich Scientology-Mitglieder mit Hife eines Schlüsseldienstes, der örtlichen Polizei und zwei US-Computerexperten Zugang zu den Räumlichkeiten von Xs4all verschafft. Aufgrund der Gesetzeslage konnten sie jedoch die Computerdateien nicht durchsuchen, beziehungsweise Geräte beschlagnahmen. Sie notierten daher die Seriennummern aller Bürogeräte, um im Falle einer späteren Beschlagnahmung die Vollständigkeit des Inventars überprüfen zu können.

Scientology behauptete, daß ein anonymer Remailer bei Xs4all dazu benutzt wurde, um urheberrechtlich geschützte Dokumte der Sekte zu übermitteln. Die Aktion führte zu einem nationalen Skandal: Niederländische User setzten Kopien der Fishman-Papiere auf ihre eigenen Websites, in Amsterdam wurden die Papiere sogar als Poster überall in der Stadt plakatiert. Scientology reagierte mit einer Klage gegen Xs4all, Cistron, Dataweb und die "Digitale Stadt Amsterdam". Die Klage wurde am 12. März 1996 zurückgeweisen. Jetzt berichtete Karin Spaink auch minutiös über den schwedischen Prozeß.