Kriegserklärung an China und den Irak

Amerikanische Cracker spielen Cyber-Rambos

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Die Hackergruppe Legion of the Underground hatte bereits Aufsehen erregt, als sie im Oktober die neue offizielle chinesische Website über Menschenrechte umgeschrieben hatte, um ihren Protest zu formulieren. Ähnliche Aktionen von Hackern, beispielsweise die Veränderung einer Website der indischen Nuklearindustrie nach dem Test der Atombombe, kündeten bereits eine Politisierung an. Nachdem die bekannte Gruppe Cult of the Dead Cow eine Website zum Hacktivism angekündigt hatte und das Electronic Disturbance Theater mit dem Flood Net immer wieder zu kollektiven Aktionen aufrief, prophezeite Wired gar ein Goldenes Zeitalter des Hacktivism.

Die legendäre Gruppe Cult of the Dead Cow hatte bereits mit den geheimnisvollen Hong Kong Blondes zusammengearbeitet, um in China durch das Internet subversiv zu wirken. Vor kurzem kündigten sie an, daß die Zusammenarbeit beendet sei, man aber den Kampf gegen die chinesische Regierung fortsetze, die immer wieder Menschenrechte verletze und Dissidenten einsperre. Erst in den letzten Tagen wurden mehrere chinesische Oppositionelle zu langen Haftstrafen und zwei Cracker zum Tode verurteilt.

Offenbar haben einige amerikanische Gruppen von Hackern oder Crackern (?) sich jetzt auf China eingeschossen, um ihre Aktivitäten zu politisieren. Es gibt eine gemeinsame Website, den Hacker Club, aber auch das Hacker News Network, in dem jetzt die Legion of the Underworld ihre "Kriegserklärung an China und den Irak" verkündet haben.

Nach einer "heißen und emotionalen Diskussion" habe man sich auf den "Cyberkrieg gegen die Informationsinfrastruktur von China und dem Irak" geeinigt. Beiden Ländern werden Verletzungen der Menschenrechte vorgeworfen, dem Irak zusätzlich die Herstellung von Massenvernichtungswaffen. Da scheint man sich einmal einig mit der amerikanischen Regierung zu sein. "Mit dem Verweis auf die Unabhängigkeitserklärung mit dem Recht der Menschen, sich selbst zu regieren, und mit der Feststellung, daß die US-Regierung wahrscheinlich untätig bleiben wird, während die schrecklichen Dinge in anderen Ländern geschehen, hat die Legion of the Underground zur völligen Zerstörung aller Computersysteme in China und dem Irak aufgerufen." Das ist natürlich ein großes Unterfangen - und es wäre, wenn man denn erhebliche Schäden tatsächlich bewirken könnte, eine erste Demonstration eben jenes Infowar, den die amerikanische Regierung seit geraumer Zeit beschwört.

Man will also nicht direkt die Regierung unterstützen, sondern nimmt das Recht selbst in die Hand, wenn sie nicht das macht, was man für rechtens hält. Interessant könnte es schon werden, was die chinesische und die irakische Regierung zu dieser "Kriegserklärung" amerikanischer Cyber-Cowboys sagen und ob die amerikanische Regierung ihre freiwilligen, aber ungebetenen Cyber-Rambos decken werden. Schließlich werden sie für China und den Irak den Status von Terroristen haben, die wiederum von den USA angeblich in der ganzen Welt verfolgt werden sollen.

Legion of the Underground will bei ihrem Krieg von den Hong Kong Blondes um Unterstützung nachfragen, aber zunächst will man offensichtlich, wie Wired meldet, im Irak mit einem ersten Angriff, einer "einwöchigen konzertierten Cracking-Kampagne", starten: "Wir müssen durchführen, was die Regierung nicht macht." Der Irak hat keine Verbindung zum Internet, aber es gibt interne, nicht-öffentliche Netzwerke, in die man sich angeblich bereits einloggen konnte. Man will weiterhin nach Zugängen suchen und dann in ein System einbrechen, um den Irak damit von der Welt zu isolieren. Wegen des Embargos besitzen die Iraker nur alte Computersysteme. Viele Modems haben beispielsweise nur mit einer Geschwindigkeit von 2400 bps geantwortet, was tatsächlich nicht gerade state of the art wäre. Zur Rechtfertigung sagen die Mitglieder der Legion, daß ein Angriff gegen einen "verbrecherischen Diktator" gerechtfertigt sei, schließlich sei es bereits ein Verbrechen, Massenvernichtungswaffen zu produzieren. Das ließe sich auch von anderen Staaten sagen, einschließlich der USA. Die Hacker/Cracker verwenden für die Kennzeichnung Husseins denselben Ausdruck wie die Regierung: "rogue". Und ihre selbstherrlichen Angriffe gleichen denn auch den Aktionen des selbsternannten Weltsheriffs USA.

Warum muß man gleich einen "Krieg" erklären, wenn man seinen Protest äußern will? Die Politisierung der Hacker/Cracker-Szene bleibt damit doch bei ihrem angestammten Markierungsverhalten stehen, das letztlich darin besteht, die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Natürlich, Anschläge auf Computersysteme lassen sich nicht durchführen, wenn man erst lange öffentlich diskutiert und einen Meinungsbildungsprozeß anstrebt, der sich nicht nur auf die verschworene Gemeinschaft bezieht. Ebenso wie sich die USA über die Weltgemeinschaft hinwegsetzt und das Recht in die eigene Hand nimmt, sind die Hacktivisten nur das Spiegelbild ihrer Regierung, wobei natürlich letztlich die Frage immer offen bleibt, ob man diktatorischen Systemen letztlich anders als mit Gewalt beikommen kann. Vielleicht könnte sich die Legion ja auch erst einmal mit den irakischen Oppositionellen in einem IRC an einen "gemeinsamen Tisch" setzen, wenn sie denn wirklich die Situation der Menschen interessiert.

Legions of the Underground fühlt sich mißverstanden: Alles nur ein Fake?