Die Roboter kommen

Über unsere nächsten Verwandten berichtet Gero von Randow

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Von künstlichen Lebewesen träumen die Menschen schon lange. Automaten wie die berühmte Ente Vaucansons gibt es seit dem Barock. Aber erst in diesem Jahrhundert sind Roboter auf die Welt gekommen, wächst ihre sehr unterschiedliche Population sprunghaft, verbreiten sie sich in den verschiedensten Räumen und wird der Glaube realistischer, daß sie eines Tages für viele Zwecke eingesetzt werden können, daß sie intelligenter, selbstbewußter, autonomer, lebenstüchtiger, anpassungsfähiger werden, daß sie die Menschen aus vielen Bereichen vertreiben oder sich sogar aus ihrer Herrschaft befreien könnten. Das Buch von Gerow von Randow ist eine Liebeserklärung an unsere Kinder des Geistes, denen wir allmählich zur Existenz verhelfen.

An die 800000 Industrieroboter sind weltweit im Einsatz - vor allem in Japan. Noch läßt sich nicht bemerken, daß Roboteranzahl und Arbeitslosigkeit direkt miteinander zusammenhängen. Jedenfalls steigern Roboter, wenn sie denn funktionieren, die Produktivität, dringen allmählich auch in die hoffnungsvoll besetzte Branche der Dienstleistungen ein. Was in den Forschungslabors der Militärs passiert, ist uns allerdings weitgehend entzogen. Da muß man erst auf den nächsten Krieg warten.

Gero von Randow, Wissenschaftsjournalist bei der ZEIT, hat sich in seinem Buch unseren neuen Zeitgenossen mit ihren vielen Gesichtern angenommen. Unsere nächsten Verwandten nennt er sie, auch wenn sie jetzt noch ziemlich primitiv sind und als willige Diener gehalten werden, selbst wenn sie uns mitunter nicht nur Arbeit abnehmen oder mögliche Arbeitsplätze wegschnappen, sondern auch gefährlich werden. Was sind eigentlich Roboter? Es ist gar nicht so leicht, diese Frage zu beantworten. Automatisch sind ja auch Maschinen. Bewegen können sie sich auch. Randow schlägt vor, daß ein subjektives Moment in der Definition hereinspielt: sie wirken lebendig, weil sie sich in gewisser Weise intelligent verhalten und wir ihnen dadurch wiederum in gewisser Weise Autonomie zuschreiben. Doch Randow hält sich hier und auch sonst nicht lange mit Grundsatzfragen und Grenzproblemen auf, schließt die Erörterung lapidar mit der Feststellung, daß Roboter einfach Maschinen sind, die von Robotikern gebaut werden. Gut gemeint im Sinne der einfachen Lesbarkeit sind solche flopsigen Bemerkungen, aber sie machen doch oft den Eindruck, daß Randow sich dadurch zu entlasten sucht. Er will ja über alles schreiben, was mit Robotern zusammenhängt - und mit solcher Kurzatmigkeit kommt dann just das zu kurz, was über die technische Disziplin der Robotik hinausgeht. Schade.

Randow schreibt als eine Art Beteiligter, jedenfalls als Faszinierter, der Gefallen findet an den vielen kleinen Problemlösungen, die auf dem Weg zur Konstruktion von Robotern liegen. Noch werden Roboter oft genug aus irgendwelchen Teilen von Technikern und Wissenschaftlern bastelnd zusammengefügt, sind die Mitglieder der Robotikgemeinschaft auch leidenschaftliche Spieler, die daran arbeiten, neues Leben herzustellen - und dieses nicht in simulierten Welten, sondern in der realen Welt aussetzen. Diese Begeisterung an Details teilt sich bei der Lektüre des flott geschriebenen Buches mit, das eine Art Phänomenologie unserer nächsten Verwandten, eine Robotologie ihres Körpers, ihrer Wahrnehmung und Intelligenz darstellt.

Noch herrscht eine Art kambrische Explosion in der technischen Evolution der Roboter, ist alles offen, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, deren sensorische und motorische Systeme zu bauen, sie mit ihrem Körper in die Welt zu setzen und in ihnen "Leben", Autonomie, Denken oder sogar Emotionen einzuhauchen. Randow führt den Leser in die Welt von Greifarmen, Fortbewegungsarten, sensorischen Systemen, Steuerungsverfahren und lernenden Programmen ein. Natürlich steht dabei die neue KI mit ihrem evolutionären Ansatz als Hoffnungsträger für die Zukunft im Vordergrund. Schließlich sollen Roboter sich nicht nur selbst weiterentwickeln und sich neuen Umgebungen anpassen, sie sollen auch endlich mit den Menschen zu sprechen beginnen, weil das die ökonomischste und einfachste Schnittstelle sei.

Erstaunlich ist, was Roboter alles bereits schlecht und recht können, wozu sie sich bereits einsetzen lassen. Mit dem steigenden Einsatz von Robotern wird allerdings wahrscheinlich auch die Welt ihren Fähigkeiten mehr angepaßt. Roboter saugen, putzen Fenster, reinigen Röhren, schleppen Akten umher, putzen Flugzeuge, füttern und operieren Menschen, fahren selbständig auf Straßen umher, werden bei der Konstruktion von Häusern eingesetzt, pflücken Äpfel, scheren Schafe, melken Kühe und tanken Autos. Vielleicht stehen sie als Roboterverkäufer und - berater auch bald hinter den Theke und bedienen uns in ihrer virtuellen Variante im Cyberspace. Militärs, die weiterhin vom "Krieg ohne Menschen" jeweils auf ihrer Seite träumen, investieren weiterhin in kräftig in die Robotik. Unbemannte, ferngesteuerte oder autonome Systeme werden aber dann nicht nur die anderen Roboter, sondern auch die menschlichen Feinde töten. Roboter legen Minen und sammeln sie dann womöglich wieder ein. Ein schöner Selbstzweck. Man stellt sich vor, daß die Kampfroboter der Zukunft auch Riesenschwärme von winzigen Maschinchen sein können, die als Gruppe agieren. Auch so ließe sich schließlich die "soziale Intelligenz", die "Schwarmintelligenz" oder die "kollektive Intelligenz" einsetzen, an der seit kurzem die Wissenschaftler arbeiten, um ihre Roboter klüger und geschickter zu machen. Je autonomer allerdings Roboter werden, desto schwieriger dürfte es auch sein, sie auf ganz bestimmte Arbeiten zu "dressieren".

Wenn Roboter intelligenter, komplexer und autonomer werden, müßte man ihnen für Randow irgendwann auch Willensfreiheit und Verantwortlichkeit unterstellen. Möglicherweise ist ja der Mensch auch nur eine komplexe Maschine, die allerdings zu einem sozialen Wesen wurde, das Verabredungen mit anderen trifft und sozialen regeln unterworfen wird. Das bringt aber die Fiktion von Willensfreiheit und Verantwortung mit sich, die durch Sanktionen real wird, was aber keineswegs heißt, daß der Mensch einen freien Wille besitze. Faktisch ist er von seinen Mitmenschen zur Freiheit verurteilt: "Einem schuldfähigen Wesen unterstellen wir per se, daß es weiß: Mit dieser oder jener Handlung mache ich mich den anderen gegenüber schuldig, und das ist schlecht. dem schuldfähigen Roboter würde der Mensch gleichfalls ein Gewissen unterstellen. Und das mag dann alles fiktiv sein, nur eben, darauf käme es nicht an. Das 'als ob' genügt vollauf ... Das wäre nur gerecht. Mich hat ja auch niemand gefragt. Sie vielleicht?" Damit hat Randow das Problem der Willensfreiheit pragmatisch aufgelöst, das die Menschen seit Jahrtausenden beschäftigt. Zufrieden?

Am Ende wiederholt Randow die Visionen Moravecs von den sich über die Erde und im Weltall ausbreitenden, sich selbst replizierenden Roboterpopulationen, die die Menschheit überholen und bestenfalls noch als Haustiere halten: "Jedenfalls wäre es schön, wir könnten als eine groteske, primitive, irgendwie anrührende und trotz aller Verirrungen erhaltenswerte Spezies fortbestehen und mit Gelassenheit der kommenden Eiszeit oder einem Asteroidencrash entgegensehen: Bevor unser Biotop ungemütlich wird, bekommen wir eben ein Terrarium im Kosmos." Roboter schließlich als Zoowächter der Menschheit, die auch den Außerirdischen, wenn sie denn vielleicht am Independence Day kommen sollten, entgegentreten würden. Vielleicht hätte Randow seine Ausflüge in die Spekulation entweder ein weniger ernst nehmen oder sie beiseite lassen sollen. Trotzalledem - sein Buch ist gelungen und macht Lust auf die Beschäftigung mit Robotern, unseren nächsten Verwandten.

Gerow von Randow: Roboter. Unsere nächsten Verwandten. Rowohlt 1997. 352 Seiten