Das letzte Abenteuer der Luftfahrt

Kritische Anmerkungen über das bisherige Scheitern von Weltumrundungen in einem bemannten Ballonsystem

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Am Mittwoch letzter Woche ist Bertrand Piccard mit zwei weiteren Co-Piloten in der Schweiz nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Breitling Orbiter II. gestartet. Piccard durfte zwar den Irak und nach einigen Schwierigkeiten den Iran überfliegen, aber, wie es so geht im globalen Zeitalter, China hat den Flug über das Land wegen angeblicher Sicherheitsrisiken nicht gestattet. Was machen die nur da unten? Über China hätte die kürzeste Route mit den schnellen Jet-Streams geführt. Der Umweg nach Süden um China herum würde einiges an Treibstoff mehr für die Weltumrundung erfordern. Daher mußte Piccard den Versuch aufgeben, ohne Halt um die Erde zu fliegen. Der Ballon fliegt jetzt Richtung Thailand, und man hofft, am Freitag irgendwo in Burma oder Thailand zu landen, um zumindest den längsten Flug ohne neues Tanken von Treibstoff zu schaffen.

Nach intensiver Vorbereitung und Wetterberatung gelang es den Amerikanern Anderson, Abruzzo und Newman im Jahre 1978 nach 53 Stunden bei einer maximal erreichten Flughöhe von 7.600 m, als erste Menschen den Atlantik per Ballon zu überqueren und in Frankreich zu landen. Drei Jahre später überquerten Abruzzo und Newman mit zwei weiteren Besatzungsmitgliedern (Aoki und Clark) den Pazifik. Sie stellten damit einen Streckenflugrekord (8.400 km) für bemannte Ballone auf. 1986 gelang Per Lindstrand mit seinem Sponsor Richard Branson die erste Atlantik-Überquerung mit dem Heissluftballon. Von 1986 bis 1987 ließ Hans Büker, der berühmte Heißluftpionier des Berner Oberlandes, beim renommierten deutschen Luftfahrt-Unternehmen Dornier GmbH, Friedrichshafen eine Durchführbarkeitstudie für eine Weltumrundung in einem Ballonsystem durchrechnen.

Übersicht über die Ballonteams, die sich an der Weltumseglung versuchen wollen

Die Studie zeigt auf, daß die Umrundung der Erde mit einem bemannten Freiballon bei günstigen Windverhältnissen unter Nutzung des Jet-Streams in einer Flughöhe von 10 - 15 km MSL in weniger als 20 Tagen möglich ist. Um die kürzest mögliche Flugzeit zu erzielen, sollte die Mission in den Wintermonaten stattfinden, da zu dieser Zeit die durchschnittlichen Strömungsgeschwindigkeiten im Jet Stream nahezu doppelt so groß sind wie im Sommer. Durch Anwendung verschiedener Methoden zur Kompensation von Temperatureinflüssen, wie das Nachregulieren des Hüllenvolumens, das Erwärmen des Betriebsstoffes, das Fahren als Druckballon, das Verdampfen von flüssigem Helium oder die Ballastabgabe, kann der Energieverlust minimiert und eine Missionsdauer von bis zu 3 Wochen verwirklicht werden.

Die Kapsel von Breitling-Orbiter

Seit 1995 jedoch ist die technologische Herausforderung zunehmend in den Hintergrund gerückt und die Weltumkreisung per Ballon bekam den Charakter einer globalen Medien-Show. Das bisher technische anspruchsvollste Projekt, der UNICEF-Flyer mit dem Piloten Henk Brink, welcher von den Firmen Festo und Fokker gesponsort wurde, mußte nach Problemen mit der Hülle und dem Konkurs der Firma Fokker bis auf weiteres eingestellt werden. Die bisherigen Starts von Branson und Lindstrand, Thunder & Colt in Marokko scheiterten an technischen Problemen mit der Hülle und dem Halten der Flughöhe. Allerdings kam der amerikanische Solo-Ballonfahrer Steve Fossett, Strecken-Weltrekordhalter seit 1997, bei seinem 2. Versuch im Januar 1998 unter reger Anteilnahme der Medien bis nach Südrussland und stellte hierbei einen neuen Geschwindigkeitsrekord für die Überquerung des Atlantik auf.

Warum scheiterten alle bisherien Versuche?

Piccard, Rutan und Fossett haben in den vergangenen vierzehn Monaten versucht, die Welt mit Ballonen des britischen Herstellers Don Cameron, Bristol zu umrunden. Drei Fehlstarts von Cameron-Ballonen und zwei Abbrüche schüren jedoch Zweifel am technischen Konzept. Anspruchshaltung und Wirklichkeit einer Weltumrundung lassen sich nicht auf den gemeinsamen Nenner eines "spirituellen Abenteuers" reduzieren, wie Piccard in Chateaux d'Oex anläßlich seines Startes im Januar 1997 verkündete. Analysiert man die Ursachen des bisherigen Scheiterns, so scheint das Hauptproblem darin zu liegen, daß die Systeme nur für ein Drittel der benötigten Strecke ausgelegt sind und eventuelle notwendige Auf- und Abstiege, Richtungsänderungen oder das Warten auf bessere Wetterbedingungen in den Cameron-Systemen nicht vorgesehen sind.

Michel Piccard

Alle drei oben erwähnten Piloten gehen davon aus, daß eine Erdumkreisung in weniger als 10 Tage zu schaffen ist. Dies setzt jedoch sehr starke Jet Streams und einen kontinuierlichen Verlauf des sich meanderförmig um den Globus schwingenden Windbandes voraus, was jedoch einem kaum zu erreichenden Idealzustand gleichkäme. Bei den Kalkulationen von Cameron sind offensichtlich die physikalischen Gegebenheiten der Rozière (Kombination aus Gas- und Heißluftballon) überbewertet worden. Den Vorteil des Gasballons, ohne Heißluftunterstützung mindestens 7 Tage in der Luft bleiben zu können, wurden die Vorteile des Heißluftballons, durch Energiezufuhr die Höhe halten zu können, einfach überlagert.

Der Beweis, daß ein solches System jedoch 14 Tage in der Luft bleiben kann, konnte bisher nicht erbracht werden. So benötigt die Rozière im instabilen Zustand während der Nacht wesentlich mehr Brennstoff (Kerosin oder Propangas) als Cameron errechnete. Die von Dornier in Friedrichshafen durchgeführte Studie zeigt allerdings Lösungsansätze auf, wie ein Ballon dieser Größenordnung durch die Verdampfung von flüssigem Helium und durch ein System zur Regulierung des Ballonvolumens mit einem wesentlich geringeren Energieaufwand betrieben werden kann.

Fazit

Vergleicht man die Sicherheitsvorkehrungen der Dornier-Ingenieure mit dem Cameron-Entwurf, so ergeben sich eminente Nachteile für Piccard und seine Mannschaft für den Fall einer Landung in unzugänglichen Landmassen oder einer Wasserung auf einem der zu überquerenden Ozeane. Als Piccard nach seinem ersten Start in Chateau-d'Oex 20 Kilometer vor Montpellier im Golf von Lyon ins Wasser fiel, wurde klar, daß es sich bei einer Weltumrundung durchaus um ein technisches Abenteuer handelte und nicht um ein spirituelles. Wie heikel Ballon-Systeme werden können, erlebten Lindstrand und Branson vor wenigen Tagen, als sie zu ihrem zweiten Versuch ansetzten und sich die Ballonhülle selbständig machte; aber auch Rutan und sein Begleiter, die beide mit dem Fallschirm ihr Ballonsystem verlassen mußten.

Die letzten Versuche machen deutlich, daß es sich bei der Weltumrundung in einem Ballonsystem um ein technische höchst anspruchsvolles Unterfangen handelt. Nicht umsonst haben Dornier-Ingenieure ihre Erfahrungen beim Spacelab-Projekt in die Studie mit eingebracht. Entscheidende Punkte für die Realisierung einer Weltumrundung in einem Ballon sind die Minimierung des Energieverlustes, die Nutzung neuester Technologien, hervorragend ausgebildete Piloten und eine exzellente meteorologische Betreuung. Darüberhinaus sollte ein Ballon-System höchsten Sicherheitsanforderungen genügen, d.h. eine Druckschleuse, Druckanzüge, Rettungsfallschirme, Crash-Absorber außen sowie im Innern (z.B. durch Helikoptersitze) sollten zur Mindestausstattung gehören. Wer die Sicherheit vernachlässigt, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern vor allem Unbeteiligte Dritte.

Artur P. Schmidt, Jahrgang 1961, ist Doktor-Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik. Er ist Mitautor der Durchführbarkeitsstudie "Weltumrundung in einem Ballonsystem" der Firma Dornier GmbH von 1987 und Autor des Buches "Entwicklungstrends der Verkehrsflugzeugbranche, Bern 1992.