"Mit der Abrissbirne sollen unsere Grundrechte kaputt geschlagen werden"

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss und medienpolitische Sprecher seiner Fraktion kritisiert die Sicherheitspolitik von Bundesinnenminister Schäuble scharf und warnt vor einem schnellen Eintritt in den Überwachungsstaat

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Sie bemängeln in einer Pressemitteilung, dass mit dem Arbeitsplatzargument bei der Bundesdruckerei die schnelle Einführung des elektronischen Passes forciert wird. Um wie viele Arbeitsplätze geht es dabei und warum werden sie jetzt in den Mittelpunkt gerückt?

Jörg Tauss:: Ich hatte schon immer vermutet, dass es sich bei der Einführung des für die Bürger völlig überteuerten biometrischen Passes um eine Subvention für die Bundesdruckerei mit deren rund 1.200 Beschäftigten handelt. Nachdem sich jetzt das Innenministerium auch um andere Anbieter bemüht, erhärtet sich der Verdacht, wenn nun plötzlich der Abbau von Hunderten von Arbeitsplätzen an die Wand gemalt wird. Dann aber geht es nicht um vorgeschobene innere Sicherheit, sondern um die Finanzierung einer Berliner Beschäftigungsgesellschaft.

Welche Bedenken haben Sie konkret bei den Plänen aus dem Bundesinnenministerium zu den elektronischen Pässen?

Jörg Tauss: Das Thema Pässe ist leider gegessen, weil sie auch auf europäischer Ebene vereinbart wurden. Die Diskussion muss nun auf den biometrischen Personalausweis fokussiert und darüber geführt werden, dass der Bundesinnenminister die Fingerabdrücke der gesamten Bevölkerung sammeln will. Ob dies im Interesse der inneren Sicherheit liegt, kann übrigens sogar bezweifelt werden. Möglicherweise wird der inflationäre Gebrauch des Fingerabdrucks dessen Wert im Strafverfahren rapide sinken lassen. Jeder Kleinkriminelle kann mit einfachem Aufwand an seinen Tatorten fremde Fingerabdrücke hinterlassen. Ob zudem die eingebauten Chips lange haltbar sind, ist fraglich. Und nicht zuletzt können bei günstigen Konstellationen von unberechtigten Dritten die Daten des Passes herausgelesen werden.

Sie bemängeln, dass weder das Ministerium noch die Bundesdruckerei die Sicherheitskriterien offengelegt haben. Was sind dabei aus Ihrer Sicht die zentralen Punkte?

Jörg Tauss: Die kann ich nicht benennen, weil sich die Behörde und die Bundesdruckerei eben beharrlich weigern, ihre IT-Sicherheitskonzepte und ihr Datenschutzkonzept offen zu legen. Schon die Verträge des Innenministeriums mit der Bundesdruckerei gelten quasi als Staatsgeheimnis, das selbst gegenüber Bundestagsabgeordneten gehütet wird. Dabei sagt Bundesinnenminister Schäuble doch selbst: Wer nichts zu verbergen hat, kann transparent sein. Was also haben die Herrschaften zu verbergen, wenn sie sich so geheimniskrämerisch verhalten?

Wird aus dem Ausland, z.B. der USA, Druck auf eine schnelle Einführung des elektronischen Ausweises in Deutschland gemacht?

Jörg Tauss: Bei der Erfassung biometrischer Daten oder bei den Flugpassagierdaten gab und gibt es diesen Druck. Leider knicken die Europäer immer wieder ängstlich ein. Auf Ausweise bestehen die USA, die selbst gar keinen Personalausweis kennen, demgegenüber nicht. Sie lehnen im eigenen Land biometrische Merkmale bei Fingerabdrücken aus Sicherheitsgründen sogar ab. Nicht immer also kann man die USA für allen Unfug verantwortlich machen, der in Europa geschieht.

Besteht nicht die Gefahr, dass im Zuge neuer Drohungen tatsächlicher oder vermeintlicher Islamisten, die Bereitschaft auch in Ihrer Fraktion wächst, den Plänen aus dem Bundesinnenministerium nachzugeben?

Jörg Tauss: Diese Gefahr besteht natürlich in der ganzen Gesellschaft. Mit Hilfe der „German Angst“ vor allem und jedem, nicht nur vor Islamisten, sollen unsere Grundrechte und die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der Abrissbirne kaputt geschlagen werden. Das Thema Bürgerrechte braucht also wieder Konjunktur. Immer mehr Menschen merken aber, dass dieser Innenminister die Balance zwischen berechtigten Anliegen der inneren Sicherheit und Bürgerrechten nicht mehr wahrt. Schäubles Folterdiskussion, die unausgegorenen Online-Durchsuchungspläne, Vorratsdatenspeicherung über den Bundestagskompromiss hinaus und eine erkennungsdienstliche Behandlung der gesamten Bevölkerung sind nicht mehr nur Wege in den Überwachungsstaat. Ich hoffe, dass die SPD die Chance nutzt, auch mit anderen gesellschaftlichen Mehrheiten jenseits der Union als Verteidigerin von Demokratie und Freiheit wahrgenommen zu werden.

Wie groß ist die Konfliktfähigkeit Ihrer Partei, wenn der SPD-geführte Berliner Senat jetzt eine gesetzliche Grundlage für die Onlinedurchsuchung fordert?

Jörg Tauss: Zunächst muss das Bundeskriminalamt endlich einmal sagen, wie es sich das Ganze technisch vorstellt. Hier scheinen nur Laien am Werk zu sein, die offensichtlich mögliche Kollataralschäden für die IT- Sicherheit billigend in Kauf nehmen. Das aber wäre ein Kriminalitätsförderungsprogramm des Präsidenten des Bundeskriminalamts. Denn wo die Polizei von Castrop-Rauxel eindringen kann, werden sich erst recht hoch spezialisierte Wirtschaftsspione und Hacker der üblen Art tummeln können. Deshalb muss vor die gesetzliche Diskussion die Frage gesetzt werden, was wer überhaupt will und braucht, was der geschützte Raum auch in einem Computer ist und wo die bürgerrechtlichen und technischen Risiken derartiger Ermittlungsmethoden liegen. Dennoch brauchen wir auch gesetzliche Regelungen: Beispielsweise für die schon heute illegal stattfindenden Online-Durchsuchungen seitens unserer Nachrichtendienste.