Das Leben geht weiter

Einer, der die Spielchen nicht mitspielte: Robert Altmans letzter Film "A Prairie Home Companion"

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Filme wie die Robert Altmans waren einer der Gründe, das Kino zu lieben. Lang erwartete man sie, freute sich darauf, und selbst schwächere Altman-Werke bedeuteten einen oft seltenen Augenblick des reinen Glücks im Kinosaal. Wenn einer 81 Jahre alt ist, muss man mit seinem Tod rechnen, doch trotzdem ist man traurig, wenn es soweit ist. Seine letzten zehn Jahre, nach einer Herztransplantation, von der er erst im vorherigen Frühjahr berichtete, waren bereits ein Geschenk, wie er gestand, als er im März 2006 den überfälligen Ehren-Oscar bekam: "Ich glaube, es war das Herz einer jungen Frau Ende dreißig." sagte er damals. "Nach dieser Rechnung würden Sie den Preis zu früh verleihen. Ich glaube, ich habe noch vierzig Jahre vor mir." Mit dem Herz einer jungen Frau und seit 1995 Ritter der französischen Ehrenlegion präsentierte er damals auch eine wunderbare Arbeitsbilanz: "Für mich ist Filme machen so, wie alle seine Freunde an den Strand einzuladen, um gemeinsam eine Sandburg zu bauen. Und sie bauen und bauen, und man selber lehnt sich zurück, und man sieht die Welle kommen, und die nimmt die Sandburg mit. Nichts bleibt übrig. Aber sie bleibt im Kopf - ich liebe das. Ich liebe Filme zu machen." Jetzt ist Altmans neuester, letzter Film im Kino zu sehen: "Last Radio Show", im Original: "A Prairie Home Companion".

"Last Radio Show" Bild: Kool

Robert Altmans Filme haben weder einen Anfang noch ein Ende. Ihre Form ist nicht der Fluss, das Strömen der Zeit von A nach B, sondern Simultanität und Parallelität. Die Zeit bewegt sich in ihnen auch zurück, breitet sich aus, geht Umwege. Einzelschicksale haben Altman nie wirklich interessiert, sondern die Darstellung des Ganzen. Trotzdem sind seine Figuren Individuen, mit Träumen, Ängsten, Fehlern und Hoffnungen. Aber sie sind doch nie die Hauptsache, sondern Fallbeispiele für das, was Altman eigentlich darstellen möchte: Das Leben selbst, das nur zur Erscheinung gebracht werden kann in der Vielstimmigkeit seiner Facetten. Individualität, den großen US-amerikanischen Mythos, gibt es bei Altman nie für sich, sondern immer nur im Kontrast zu einer anderen, die sie relativiert.

Momentaufnahmen, skizzengleich hingeworfen

Spektakulär, mit einem Whow!-Anfang geht es diesmal los: Vom ersten Augenblick an zieht einen die Kamera in diesen Film hinein, schlängelt sich in virtuosen Bewegungen, ohne einen einzigen Schnitt, durch die Räume; alles ist Kulisse hier, ein Theater, dessen Unterbau und Hinterzimmer wir auf diesem Weg kennenlernen, in wenigen Momentaufnahmen, skizzengleich hingeworfen, präsentiert uns der Blick des Regisseurs die Personen, die uns von nun an begleiten, um dann sich mit einer Drehung hochzuschrauben auf die Bühne, wo jetzt, Seitenblick auf Publikum, Applaus - "noch drei Sekunden!, Zwei, Eins" - der Auftritt beginnt: "A Prairie Home Companion" handelt vom Ensemble einer - tatsächlich existierenden - Live-Radioshow irgendwo im Middle-West bei ihrem allerletzten Auftritt. Der Schwanengesang einer alten Kunstform, einer Darstellungsweise, die es so nicht mehr gibt.

"Last Radio Show" Bild: Kool

Seine Filme waren zuallererst Komödien. Denn das Leben ist komisch, je genauer man hinschaut. Wie alle guten Komödien handeln sie von traurigen Dingen, denn das Leben ist auch traurig, erst recht, wenn man den Blick nicht abwenden will. Wenn es stimmt, was Robert Altman von sich selbst sagte, er habe "eigentlich nur einen Film" gemacht, dann ist dieser Film eine Comedie Humaine, in der sich die Liebe zum Menschen mit dem Sarkasmus über das Allzumenschliche mischt, in der Ironie und Nachsicht zusammenfallen. Altman war ein Humanist, aber einer, den sein Humanismus nicht vom Hinschauen abhielt.

Manche hielten das dann für Zynismus, obwohl doch nur grundsätzliche Neugier und Humor zu einem Kopfschütteln über die seltsamen Scherze führten, die das Schicksal mit den Menschen treibt. Genauso gut konnte man ihn, den linksliberalen Aussenseiter des US-Kinos, als verkappten Moralisten verstehen - und damit als Konservativen, der am amerikanischen Traum festhält gegen dessen politische Verwalter, die ihn gerade verschleudern.

Kino als Bilder-Jazz

Auch davon handelt "A Prairie Home Companion": Vom Untergang einer alten, besseren Zeit. Sogar der Tod kommt hier vor, und man wird, sieht man den Film jetzt an, das Gefühl nicht los, dass Altman wusste, dass dies sein letzter sein würde. Er hat den amerikanischen Traum (nicht nur) darin aber auch kritisiert, indem er seine Folgen gezeigt hat, nicht nur für die Verhältnisse, sondern auch für die Gemüter der Menschen. Das, die schonungslose Offenheit, hat ihm den Ruf des progressiven Hollywood-Rebellen eingebracht. Zu recht, denn Altman spielt die Spielchen nicht mit.

"Last Radio Show" Bild: Kool

So erleben wir hier einen fröhlichen Kulturpessimisten, misstrauisch, kühl. Selten war Melancholie so herzzerreißend schön, so wehmütig liebevoll, so amüsant und gutgelaunt wie hier, wo Altman mit Meryl Streep, Lily Tomlin, Woody Harrelson, Tommy Lee Jones, Kevin Kline und John C. Reilly (u.a.) noch einmal ein tolles Ensemble versammelt hat, jeder sein Solo bekommt, und doch am Ende nur das Ganze zählt - Kino als Bilder-Jazz, auch so könnte man Altmans Werk verstehen.

Robert Altman, 1925 in Kansas City geboren, war kurzfristig Bomberpilot, dann Erfinder (angeblich unter anderem einer Hunde-Tätowierungsmaschine) und Versicherungsvertreter, bevor er Ende der 40-er Jahre beim Fernsehen begann, als Drehbuchautor und Serienregisseur. Fast zwei Jahrzehnte lang dauerte diese Zeit, dann bekam er die Chance fürs Kino ein Script zu verfilmen, das diverse Vorgänger abgelehnt hatten: "M*A*S*H" war eine geniale Komödie und einer der besten Kriegsfilme aller Zeiten; er traf die Anti-Vietnam-Stimmung seiner Epoche und wurde Altmans bis heute erfolgreichster Film. Seitdem war Altman aus dem US-Kino nicht mehr wegzudenken, trotz einer Phase des Misserfolgs in den 80ern, trotzdem er nie riesigen Publikumszuspruch hatte und immer von Studiobossen instinktiv als Feind erkannt wurde. Denn Altman nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es um die künstlerische Korruption der Filmindustrie ging, um die Dummheit derjenigen, die in ihr das Sagen haben und um die geistlose Betriebswirtschafts-Mentaltät, um Gier und Ausbeutung, die in ihr heute mehr denn je den Ton angeben.

Vom Held zur Historie

Über 30 Filme hat er seit "M*A*S*H" fürs Kino gemacht. Zuerst folgten großartige Genre-Dekonstruktionen wie "California Split", "McCabe & Mrs. Miller" und "Buffalo Bill and the Indians" (für den er den Goldenen Bär auf der Berlinale gewann), in denen er reihenweise mit alten Hollywood-Mythologien aufräumte. Verbunden bleibt sein Name am ehesten mit dieser "New Hollywood"-Zeit bis Mitte der 70er.

Unter den älteren Altman-Filmen auf DVD sollte man sich "M*A*S*H" nicht entgehen lassen, nicht "Nashville", nicht "A Wedding", nicht "The Player" und nicht "Short Cuts" - Altmans aus eigener Sicht besten Film, bekommt man in Deutschland aber nur synchronisiert. Aber im Internet gibt es die "Criterion Collection", zum moderaten Preis und mit einem Audiokommentar des Regisseurs.

In diesen vier Filmen, wie in einigen weniger erfolgreichen - dem hintersinnigen "Pret-A-Porter", dem unterschätzten "Dr. T & the Women" - und dem erstaunlichen Spätwerk "Gosford Park", brachte Altman seine ureigene Inszenierungsmethode zur Perfektion, die er mit "M*A*S*H" noch unsicher, aber schon enorm selbstbewusst, begonnen hatte. Es ging darin um nicht weniger als um den Abschied von überkommenen Formen und um die radikale Erfindung einer neuen Erzählweise des Kinos. Sein Markenzeichen waren zum einen eine kreisende Kamera, die ihre Umgebung in langen, immer flüssig-bewegten Plansequenzen einfängt und eine polyphone Tonspur.

Vor allem die Bedeutung des Tons, des oft missachteten Sounddepartments, für Altmans Filme muss man hoch einschätzen. Mit diesen zwei Hauptmitteln, unterstützt von sorgfältig auseinanderziselierten Handlungsfäden, die in Parallelmontagen subtil wieder zusammengewoben werden, lenkt dieser Regisseur den Fokus weg vom einzelnen Subjekt und Akteur hin zu den Strukturen und Beziehungsgeflechten, vom Held zur Historie.

Eine höhere realistische Moral

"Nashville" schrieb Pauline Kael einst im "New Yorker", "ist ein radikaler, evolutionärer Schritt. Er löst den Rahmen, so dass wir die Kontinuität spüren zwischen dem, was auf der Leinwand ist und dem Leben jenseits der Kamera."

Altmans Kino ist nicht von einer erzählerischen Antihaltung bestimmt, aber von einer Neuausrichtung des Interesses, was eigentlich erzählt werden soll. Das Storytelling ist keineswegs aus den Filmen Altmans verschwunden, nur haben die Protagonisten gewechselt: Strukturen, Systeme, Arbeitsplätze und Familien, aber auch Orte und Landschaften sind die Hauptdarsteller. Altmans Kino stellt neue, weiterhin hochaktuelle Fragen: Gibt es nicht, neben der Grammatik der Worte, auch eine Grammatik der Bilder, und ist diese nicht für das Kino mindestens genauso zentral, wie jene? Ist Erzählung wirklich so wichtig? Und kann man nur so erzählen, wie wir es vom Kino heute mehr denn je gewohnt sind, mit jener Plotlogik, die man inzwischen in jedem Drehbuchratgeber lernen kann? Altman hielt sich nicht an solche Regeln, er erfand sich seine eigenen.

Altmans Filme sind für das Kino, was der Impressionismus für die Malerei war: Eine Neuentdeckung des Mediums voller Leichtigkeit und Licht, atemberaubend unangestrengt. Formal betrachtet sieht man einzelne Farbkleckse, doch aus der Distanz, in der Gesamtsicht fügen sie sich zu einem Ganzen. Es ging Altman immer auch um Kunst um der Kunst willen, aber seine Methode der fragmentarischen Inszenierung, des zerstreuenden Erzählens in Momentaufnahmen und Satzfetzen, stand zugleich für eine höhere realistische Moral, die Altman neben die ganz Großen unter den Realisten des Kinos, neben Renoir, Lang und Godard stellt: Zeigen ist nicht Darstellen, und weil die Wirklichkeit interessanter ist, als jede Illusion, ist sie es wert, erzählt zu werden, selbst zur Darstellung zu kommen. Weil sie das Leben selbst bei der Arbeit zeigen, können Altmans Filme keinen Anfang und kein Ende haben.

Am 21. November 2006 ist Robert Altman in Los Angeles gestorben. Kurz vor seinem Tod erschien in Deutschland ein kluges, leicht lesbares, sehr informatives Buch über sein Gesamtwerk:

Thomas Klein/ Thomas Koebner (Hg.): "Robert Altman. Abschied vom Mythos Amerika"; Bender Vlg., Mainz 2006