Mehr als nur symbolisch

Die Bombenanschläge in Bagdad

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Eine der Bomben ging plötzlich während der Mittagszeit in der Cafeteria des irakischen Parlaments hoch, die andere zerstörte einige Stunden zuvor die Sarafija Brücke in Bagdad, eine Eisenbrücke über den Tigris, 1946 von den Engländern erbaut und laut der arabischen Zeitung al-Hayat ein Symbol für den früheren kosmopolitischen Charakter der irakischen Haupstadt. Beide Anschläge vom Donnerstag, besonders das Attentat auf das Parlament in der Grünen Zone, haben eine symbolische Botschaft, die schnell im Nachrichtenkreislauf verbreitet wurde: Trotz des geschätzten hundertausend Mann starken Aufgebots an Sicherheitskräften in Bagdad ist kein Ort mehr in der Hauptstadt sicher, nicht einmal die Festung Green Zone. Die Wirkung der beiden Bomben ist jedoch mehr als nur symbolisch, zum einen wird sie die Parlamentsarbeit im Irak noch weiter lähmen und zum anderen ist eine wichtige Verkehrsader in Bagdad völlig abgeschnitten.

Man kennt das Argument und man kann es so sehen: Es gibt keine 100prozentige Sicherheit gegen Selbstmordattentäter. So gab es von amerikanischer Seite zwar Äußerungen, die konstatiertem, dass auch die Grüne Zone vor solchen Anschlägen nicht sicher ist, allerdings wurde der schrecklichen News gleich abmildernd hinterhergeschickt, dass die Grüne Zone dennoch sicherer sei als der Rest von Bagdad. Doch ob diese Einschätzung die irakischen Parlamentarier beruhigt, ist fraglich. Zwar wollte das Parlament gestern mit einer außergewöhnlichen Sitzung öffentlich dokumentieren, dass man sich von solchen Aktionen nicht einschüchtern lassen will, die Wirklichkeit in den nächsten Wochen könnte aber anders aussehen.

Viele Plätze im Parlament, so berichtete der Guardian, blieben gestern leer. Kein untypisches Bild. Wenn man Parlamentsabstimmungen zu wichtigen Gesetzesvorlagen im letzten Jahr verfolgt hat, wie das etwa beim Blog "Informed Comment" des amerikanischen Geschichtsprofessors Juan Cole möglich ist, dann stellt sich heraus, dass die erforderliche Mindestanzahl von anwesenden Parlamentsmitgliedern oft nicht erfüllt wurde. Immer wieder mussten wichtige Abstimmungen aus diesem Grund vertagt werden. Das mutmaßliche Selbstmordattentat dürfte dieses Problem noch verstärken. Wie das Parlament mit diesem Schock umgehen wird, ist noch nicht klar, dass die Parlamentarier nun aber aus einem „Jetzt erst Recht-Gefühl“ den politischen Prozess noch einmal anschieben, gilt Beobachtern in Bagdad als eher unwahrscheinlich.

Noch ist nicht geklärt, wer für den Bombenanschlag im Parlamentsgebäude verantwortlich war. Ob im besonderen der Bodygard eines Parlamentsangehörigen oder Mitarbeiter der Kantine, oder ob die Drahtzieher von al-Qaida stammen, wie ein Bekennerschreiben vorgibt, oder der sunnitischen Widerstand, wie andere vermuten. Das Ziel ist dagegen klar: Die Sabotage des politischen Prozesses, der eng mit der Besatzungsmacht USA verbunden wird.

Das Thema „Widerstand gegen die US-Präsenz“ wurde in der Berichterstattung der größeren Medien in den letzten Monaten nur mehr am Rande behandelt. Der Irak wurde vor allem über den Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten, wahrgenommen. Oder als Schauplatz von Anschuldigungen der USA und Großbritannien gegenüber Iran, die seit Wochen die Presse beschäftigen. Zuletzt wurde der Verdacht erneut ins Spiel gebracht, demzufolge Iran sunnitische Widerstandsgruppen mit Waffen beliefert. Ein Verdacht, der allerdings mit einem widersprüchlichen Argument auskommen muss: der Tatsache, dass führende Mitglieder der schiitischen SCIRI-Partei, die über enge Beziehungen zu Iran verfügt, öfter von sunnitischen Widerstandsgruppen ins Visier genommen werden. Welches Interesse hätte Iran daran, Attacken auf Verbündete mit Waffenlieferungen an deren Rivalen zu fördern?

Die von der US-Regierung immer mit neuem Material versorgte Berichterstattung über solche Anschuldigungen kann man als Ablenkungsmanöver begreifen. Mit der Konzentration auf Nachrichten über schiitisch-sunnitische Kämpfe und die Einmischung Irans wird auch eine Legitimierung der amerikanisch geführten Besatzung geliefert: Man bleibt, weil sonst das Chaos und der Einfluss Irans im Irak größer wird - und die Phantomdrohung, dass al-Qaida ein Emirat errichten kann, nicht Wirklichkeit wird. Der Widerstand gegen die US-Armee war schon länger kein bevorzugtes Thema für die größeren Nachrichtenmedien mehr. So wie viele Diskussionen über den Irak geführt werden, hat es fast den Anschein, als ob sich damit auch eine simplifiziernde Formel im öffentlichen Bewußtsein durchgesetzt hat: Widerstand ist gleich Terror, ist gleich al-Qaida.

Das könnte sich nun ändern. Denn seit einigen Tagen kursiert eine Erklärung im Netz, wonach sich eine führende irakische Widerstandsgruppe deutlich von al-Qaida distanziert und gleichzeitig andere Kräfte des Widerstands bündeln will. Von Beobachtern der Szene wird diese Zäsur sehr ernst genommen. Ob das aber die Aufgabe für die US-Armee und Allierte im Irak leichter machen wird, ist allerdings noch die Frage. Denn diejenigen Gruppen, die sich jetzt deutlich von Al-Qaida distanzieren, distanzieren sich damit ideologisch-strategisch vom globalen Dschihad, den sich die Qaida ohne Rücksicht auf irakische Opfer auf die Fahnen geschrieben hat, setzen aber damit zugleich auf eine nationale Front, die sich in einem Ziel einig ist: dem baldigen Rückzug der Besatzer.