Lehrer beim Eignungstest und Leistungscheck

Der Deutsche Beamtenbund stellt Diagnosetools für (potenzielle) Pädagogen online

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Dass die deutsche Bildungsmisere im Handumdrehen behoben werden kann, indem die Unzahl arbeitsscheuer Pädagogen als Ansammlung „fauler Säcke“ identifiziert und mit markigen Worten zur Ordnung gerufen wird, glaubt heute wohl nicht einmal mehr der frühere Ministerpräsident und spätere Bundeskanzler, der sich einst mit derart kernigen Vorschlägen auf Seite 1 drängelte. Mit einem landesfürstlichen Basta war die Pisa-Katastrophe schließlich ebenso wenig zu verhindern wie mit einseitigen Schuldzuweisungen, und so bemühen sich Wissenschaftler nunmehr seit vielen Jahren um komplexere Ursachenforschungen und Lösungsstrategien.

Der dbb beamtenbund und tarifunion sah sich bereits im Jahr 2000 veranlasst, das Institut für Psychologie der Universität Potsdam mit einer umfangreichen und bis dahin beispiellosen Studie zu beauftragen, die sich mit der besonderen Belastungssituation von Lehrerinnen und Lehrern im Berufsleben beschäftigen sollte. Unter der Leitung des Psychologen Uwe Schaarschmidt wurde 2004 der erste Teil der Untersuchung unter dem Titel Halbtagsjobber? - Psychische Gesundheit im Lehrerberuf" veröffentlicht.

Schaarschmidt kam darin zu der Überzeugung, dass rund 30 Prozent aller Lehrerinnen und Lehrer infolge von Arbeitsüberlastung, persönlichen und sozialen Konflikten oder immer neuen bürokratischen Hürden an Selbstüberforderung leiden, also Symptome einer exzessiven Verausgabung und verminderten Erholungsfähigkeit nebst einer deutlichen Einschränkung der Belastbarkeit und Zufriedenheit zeigen. Bei weiteren 30 Prozent diagnostizierten er und sein Team Anzeichen von Resignation, ein reduziertes Engagement bei geringer Erholungs- und Widerstandsfähigkeit sowie Unzufriedenheit und Niedergeschlagenheit.

Beobachter wie Andreas Blume vom Bochumer Berufsforschungs- und Beratungsinstitut für interdisziplinäre Technikgestaltung forderten deshalb bereits einen Imagewandel "vom faulen Sack zum armen Schwein", und tatsächlich kamen ähnliche Untersuchungen zu vergleichbaren Ergebnissen. Anfang März veröffentlichte die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin eine Studie, derzufolge Lehrer mit „starken Belastungsfaktoren“ umgehen müssen. Große Klassen, verhaltensauffällige Schüler und fehlende kollegiale Unterstützung hätten unter vielem anderen dazu geführt, dass arbeitsbedingte Erkrankungen und Gesundheitsstörungen in deutschen Kollegien „ein Besorgnis erregendes Ausmaß“ erreichen konnten und schon bei jüngeren Pädagogen klassische Burnout-Symptome auftreten.

Doch bei der demotivierenden Bestandsaufnahme soll es nicht bleiben. In wenigen Wochen wird der zweite Teil der Potsdamer Lehrerstudie Unterstützungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer, Lehramtsstudierende, Referendare und Schulleitungen vorstellen.

Teil dieses Programms ist ein „Arbeitsbewertungs-Check“ für berufstätige Pädagogen und ein Fragebogen „Fit für den Lehrerberuf?“, mit dessen Hilfe Abiturienten die Entscheidung für oder gegen die Aufnahme eines entsprechenden Studiums erleichtert werden soll. Beide Selbsterkundungsverfahren sind seit Ende März online und beantworten tatsächlich eine Reihe von Fragen. Sie werfen aber auch neue auf.

63 Fragen suchen ehrliche Antworten

„Wenn ich nicht erreiche, was ich wollte, resigniere ich schnell.“ Wer diese Frage uneingeschränkt mit „ja“ beantworten würde, sollte noch einmal ernsthaft darüber nachdenken, ob sie oder er sich wirklich dauerhaft vor eine – möglicherweise nicht immer ganz pflegeleichte – Klasse stellen möchte. Auch ein zustimmendes Nicken bei der Feststellung „Es stört mich weniger, wenn ich tagelang mal keine Zeitung lese oder Nachrichten höre“ qualifiziert nicht zwingend für höhere pädagogische Aufgaben. Und wer innerlich zu einem der Zugeständnisse „Wenn mehrere Aufgaben zu bewältigen sind, fällt es mir schwer, Prioritäten zu setzen“ oder „Bei großem Druck gerate ich leicht in Panik“ neigt, würde ebenfalls gut daran tun, die eigene Berufswahl noch einmal eingehend zu prüfen.

Um die Teilnehmer abschließend an einer strengen Idealnorm oder einer möglicherweise realistischeren „Studentennorm“ messen zu können, konfrontiert der Test Fit für den Lehrerberuf Abiturienten und Lehramtsstudierende mit 63 Fragen, für die je drei mögliche Antworten vorgesehen sind. Sie stammen aus 21 Bereichen, die durchaus das Spektrum verdeutlichen, in dem sich die Pädagogen der Zukunft (mindestens) zuhause fühlen sollten. Dabei reicht die Bandbreite von der Freude am Umgang mit Kindern & Jugendlichen und der Fähigkeit zur offensiven Misserfolgsverarbeitung über Verantwortungsbereitschaft, Frustrationstoleranz, ein ausgeprägtes Wissens- & Informationsbedürfnis und eine durchsetzungsfähige Stimme bis hin zum Durchsetzungsvermögen in sozial-kommunikativen Situationen. Hinzu kommen in der Reihenfolge ihrer Erwähnung: Flexibilität, soziale Sensibilität, Anstrengungs- & Entbehrungsbereitschaft, didaktisches Geschick, Sicherheit im öffentlichen Auftreten, Erholungs- & Entspannungsfähigkeit, Ausdrucksfähigkeit, Stabilität bei emotionalen Belastungen, Begeisterungsfähigkeit, Freundlichkeit & Warmherzigkeit, Fähigkeit zum rationellen Arbeiten, Stressresistenz sowie beruflicher Idealismus.

Dass dieser erst ganz zum Schluss eine entscheidende Rolle spielt, könnte bereits wieder Teil des Problems sein, doch der Fragebogen wirft ein gewichtigeres auf, wenn er denn in der Selbst- und nicht in der ebenfalls möglichen Fremdeinschätzungsversion gebraucht wird. Denn in der vorliegenden Form erfordern die Fragen ein hohes Maß an Reflexionsvermögen und Selbstkritik.

Ob die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich vorbehaltlos mit den eigenen Stärken und Schwächen auseinander zu setzen, bei allen Probanden gegeben ist, darf allerdings nachdrücklich bezweifelt werden. Die komplexen Probleme, die viele Pädagogen heute mit ihrer Berufsausübung haben, beruhen schließlich auch auf einer Vielzahl langgehegter und nachweislich falscher Vorstellungen und Selbsteinschätzungen, denen mit dem Hinweis „Bearbeiten Sie den Fragebogen zügig und vollständig und bemühen Sie sich um eine möglichst realistische Selbsteinschätzung“ möglicherweise nicht ausreichend begegnet werden kann. Das Verfahren könnte deshalb wohl effektiver gestaltet werden, wenn mindestens eine zweite Person an der Befragung und Auswertung beteiligt wäre und die Antworten gegebenenfalls durch Beispiele beglaubigt werden müssten.

Im Vergleich zu anderen Online-Befragungen ist die Potsdamer Variante allerdings ungleich ausgefeilter. Im „Career Counselling for teachers“ (CCT), einem drei Jahre lang von der Europäischen Kommission geförderten Projekt der Universität Lüneburg, reichen 12 bei halbwegs klarem Verstand gesetzte Häkchen und schon kommt die „Auswertung“ zu einem Ergebnis, das den Gang zum Psychologen dauerhaft überflüssig macht.

Wenn man die Eigenschaften zusammenfasst, die Sie sich im Fragebogen selbst zugeordnet haben, so ergibt sich das Bild einer kontaktbereiten, psychisch stabilen und selbstkontrollierten Persönlichkeit.

Mit diesen Merkmalen bringen Sie günstige Voraussetzungen für ein Lehrerstudium und für den Lehrerberuf mit:

  1. Die Kontaktbereitschaft dürfte Ihnen helfen, mit den SchülerInnen und deren Eltern sowie mit Kollegen und Vorgesetzten gute Beziehungen aufzunehmen.
  2. Die psychische Stabilität sollte es Ihnen es Ihnen erlauben, den Belastungen des Lehrerberufs gewachsen zu sein.
  3. Die Selbstkontrolle könnte eine gute Grundlage für ein erfolgreiches Studium und eine seriöse Arbeit als LehrerIn darstellen.

Auswertung des CCT nach 12 multiple choice-Antworten

Subjektive Arbeitsanalysen

Einem ganz anderen Zweck dient der Arbeits-Bewertungs-Check für Lehrkräfte. Hier geht es darum, wie bereits berufstätige Pädagogen ihre Arbeit, die konkreten Bedingungen an der Schule und das nähere Umfeld einschätzen. Die Testentwickler um Uwe Schaarschmidt haben somit ein „Verfahren der subjektiven Arbeitsanalyse“ entwickelt, das den Lehrern erlaubt, die Situation an ihrer Schule mit den Gegebenheiten an anderen Schulen und Normwerten zu vergleichen, ihre ganz persönlichen Arbeitsergebnisse entsprechend einzuordnen und so möglicherweise positive Tendenzen und Fehlentwicklungen zu erkennen.

Auch hier werden Einschätzungen zu einer Vielzahl unterschiedlicher Arbeitsbereiche gesammelt. Es geht um den Unterricht, die Arbeit mit Schülern außerhalb desselben, Zusammenkünfte im Kollegium, Gespräche mit Eltern, schulbezogene Arbeit zu Hause, das Verhalten der Schüler und das Verhalten der Eltern. Außerdem um das Klima im Kollegium, das Verhalten der Schulleitung, die Schulkultur und die Arbeitsorganisation in der Schule, die Bereitstellung von Arbeitsmitteln, räumliche, aber auch hygienische Bedingungen sowie Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung.

Da der Arbeits-Bewertungs-Check im günstigsten Fall von sämtlichen Lehrern einer Schule ausgefüllt wird, lassen sich auch Unterschiede in der Wahrnehmung und Bewertung einzelner Bereiche feststellen und diskutieren. Ein solcher Austausch würde freilich ebenfalls voraussetzen, dass die Teilnehmer bereit sind, nicht nur anonymisierte Fragebögen auszufüllen, sondern darüber hinaus an einer offenen oder gar öffentlichen Diskussion teilzunehmen.

Beide Verfahren appellieren folglich an Fähigkeiten und Eigenschaften, die im deutschen Bildungssystem derzeit vermisst werden: Qualitätsbewusstsein und die Bereitschaft zur Qualitätssicherung, Selbstkritik und Lernfähigkeit, Flexibilität und Kommunikationsbereitschaft.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hält Eignungstest und Leistungscheck deshalb für wenig zielführend. Nach Meinung der GEW sollten Lehramtsstudierende stattdessen zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt ihres Studiums die Möglichkeit bekommen, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten auszuprobieren. In der Tat spricht einiges dafür, dass sich nur aus dem Zusammenspiel von Theorie und Praxis, Selbsteinschätzung und Feedback, Berufswunsch und Arbeitsalltag verlässliche Erkenntnisse gewinnen lassen.