"Vorbereitung für den großen Kampf"

Irak: Sadristen verlassen die Regierung mit der Forderung nach einem Abzugsplan der USA. Weitere Gerüchte über Ausbildung der Mahdi-Miliz in Iran

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Im irakischen Parlament soll sich nach den Anschlägen der vergangenen Woche (vgl. Mehr als nur symbolisch) Unruhe, Chaos und gegenseitiges Misstrauen deutlich verstärkt haben, wie der Korrespondent der amerikanischen Zeitung Christian Science Monitor berichtet. Der politische Prozess, auf den so viel Hoffungen gesetzt wurden, sei demnach kurz vor dem Zusammenbruch.

Kaum eine Woche vergeht, ohne dass arabische Zeitungen über neue Gerüchte zu Manövern in den großen politischen Blöcken der irakischen Parteien berichten (vgl. dazu Missing Links, ein Blog, das täglich über ausgesuchte Artikel in der arabischen Presse berichtet). Der Zusammenhalt der Koalitionen ist demnach nicht sonderlich stabil, angedrohte Wechsel-Mänöver beinahe an der Tagesordung, Fraktionierung und Partikularinteressen große Hindernisse für Entscheidungen. Kein Wunder, dass das Parlament nach Aussage des CSM-Korrespondenten in der Bevölkerung als „inkompetent“ und von den eigenen Problemen „isoliert“ wahrgenommen wird.

Mitten hinein in das konfuse Durcheinander des Parlaments platzt nun die Nachricht vom Ausstieg des Sadristen-Blocks aus der Regierung.

Keiner der irakischen politischen Führer regt derart zu Spekulationen an wie der Muktada as-Sadr. Keine Woche vergeht, in der nicht ein ausführlicher Artikel publiziert wird, der sich dem Phänomen as-Sadr widmet. Es wird viel geschrieben über den jungen Schiitenführer, doch das Wissen über die Manöver von Muktada wird dadurch nicht größer. So wenig über seinen derzeitigen Aufenthaltsort bekannt ist, so wenig weiß man, wie groß seine Macht in den Reihen der Sadristen (auch hier gibt es Fraktionierungen) und als politischer Player im Irak tatsächlich ist. Die entscheidende Frage hier wäre, wie gut es um sein Verhältnis zu sunnitischen Gruppierungen derzeit bestellt ist.

Der Ausstieg der Sadristen aus der Regierungsarbeit – im Parlament sollen sie ja als Beobachter bleiben – ist erstmal nur ein weiterer Beweis für den Spürsinn Muktadas für Stimmungen in der Bevölkerung. Er verläßt die schlecht angesehene, inkompetente Regierung, um seiner Forderung nach einem verpflichtenden Zeitplan für den Abzug der Amerikaner noch deutlich zu bekräftigen. Welchen Nachdruck er dieser Forderung verleihen kann, hat er mit seinem Aufruf zu Massen-Demonstrationen in Nadschaf vor einer Woche bewiesen (vgl. Das Leben geht weiter). Sein Doppelspiel – mit einem Fuß auf der offiziellen politischen Bühne, im Parlament, mit dem anderen draußen mitten im Volk – hat er nun erstmal zugunsten der außerparlamentarischen Opposition aufgegeben.

Keiner - außer vielleicht Sistani - dürfte so viele Iraker mobilisieren können. Nach dem Ausstieg der Sadristen sieht die Regierung Maliki noch mehr aus wie ein zahnloser Erfüllungsgehilfe der USA. Vor allem weil sie sich in einem Punkt nicht durchsetzen kann: in der Forderung nach einem verpflichtenden Abzugsplan der Amerikaner. Der Druck auf die USA erhöht sich in dem Maß, wie Muktadas Popularität außerhalb des Parlaments wächst. Man darf gespannt sein, wie sich Teile des sunnitischen Widerstands zu as-Sadrs Ausstieg äußern.

Die amerikanische Strategie gegenüber Muktada as-Sadr setzt darauf, ihn mehr und mehr als einen dämonischen Dunkelmeister zu zeichnen, der entgegen seiner propagierter Rolle als Patriot nationalen irakischen Interessen entgegenarbeitet: mit Todesschwadronen, die den Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten weiter anheizen und als Agent iranischer Interessen. Zwar wurde von Sadristen immer wieder bestritten, dass Muktada im Nachbarland abgetaucht sei. Doch hat diese Nachricht vom Februar (vgl. Muktada as-Sadr in Iran?) Spekulationen über das Verhältnis des Schiitenführers zu Iran ausgelöst und die Basis für Berichte geliefert, wonach Teile der Al-Mahdi-Armee, die ihrem Führer in den Iran gefolgt sind, dort militärisch ausgebildet würden.

Die gestrige Meldung des Independant stützt nun diese Behauptung. Im Gegensatz zum oben zitierten Bericht, der von einer regierungsfreundlichen amerikanischen Zeitung stammt, kommt diese Meldung nun von einer Zeitung, die als kritisch gegenüber der amerikanisch-englischen Irakpolitik gilt. Als Quellen gibt der Independent nicht Geheimdienstberichte, sondern zwei Guerilla-Kämpfer an, die direkt mit dem Independent über ihre Erfahrungen in einem Ausbildungslager in der Nähe Teherans gesprochen haben. In dem Lager hätten sie gelernt, wie man mit modernen Kampfmethoden etwa Hubschrauber zum Abstürzen bringt, Panzer und gepanzerte Fahrzeuge zerstört - alles, um „auf den großen Kampf mit den Besatzern vorbereitet zu sein“. Ob die iranische Regierung von diesem Lager unterrichtet ist, bzw. es unterstützt, geht aus dem Bericht allerdings nicht hervor.