Studiengebühren: Befürworter bei der freiwilligen Selbstkontrolle

Aus Studenten werden Kunden, viele Hochschulen verzeichnen Mehreinnahmen in Millionenhöhe. Doch was geschieht nun mit dem Geldsegen?

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Die Transparente sind eingerollt, die Straßen geräumt, die Treuhandkonten leer. Alle Proteste und Boykottversuche haben die Einführung von Studiengebühren in sieben Bundesländern nicht verhindern können, und auch Hessen und Hamburg, wo noch Klagen und Boykottandrohungen anhängig sind, haben nur sehr begrenzte Chancen, zur beitragsfreien Zone zu werden. Außerdem deutet vieles darauf hin, dass es nur noch eine Frage von Semestern, Jahren, in jedem Fall aber eine der Zeit ist, bis sich die anderen Länder auf eigene Finanznöte, drohende Studentenströme oder die normative Kraft des Faktischen berufen und den akademischen Nachwuchs ihrerseits zur Kasse bitten.

Aller Voraussicht nach geht es beim Thema Studiengebühren also nicht mehr um das Für und Wider. Das Wohin und Wofür spielt eine umso größere Rolle, denn nachdem die Studierenden vom Bildungsempfänger zum Kunden umfunktioniert wurden, haben sie ein unmittelbares und durch einige Hochschulgesetze auch garantiertes Recht, en detail über den Verwendungszweck ihrer Teilnahmegebühren unterrichtet zu werden.

Unangenehme Fragen, die Österreichs Studierende mittlerweile an verantwortliche Politiker wie Wissenschaftsminister Johannes Hahn stellen („Herr Minister, warum muss ich bei einer Vorlesung auf dem Boden sitzen, obwohl ich Studiengebühren bezahlt habe?“), müssen sich wohl auch deutsche Amtsinhaber gefallen lassen, wenn Hochschulen dem Beispiel der Universität Ulm folgen und allen Ernstes darüber nachdenken, die umstrittene Abgabe zu verheizen oder anderen seltsamen Zwecken zuzuführen. Denn eigentlich sollen die Erlöse ausschließlich in die Verbesserung der Studienbedingungen und das heißt vor allem: in die qualitative Aufwertung von Forschung, Ausstattung, Betreuung und Lehre investiert werden.

Viele Maßnahmen, aber kaum neue Dozenten

Hessen wollte vor allem das Lehrangebot aufstocken und mit neuen Professorenstellen Akzente setzen. Laut einer Umfrage des Hessischen Rundfunks haben sich die guten Vorsätze allerdings auf dem Wege der Umsetzung bereits wieder erledigt – dabei werden hier erst im kommenden Wintersemester Studiengebühren eingeführt. Nach jetzigen Erkenntnissen plant beispielsweise die Universität Gießen nur noch mit 14.000 Gebührenzahlern, obwohl die Hochschule eigentlich rund 20.000 Studierende beherbergt. Die drastische Reduzierung hängt damit zusammen, dass zehn Prozent wegen herausragender Leistungen von der Abgabe befreit werden und Doktoranden, Eltern oder Schwerstkranke ebenfalls keine Studiengebühren zahlen müssen. Bei 500 Euro pro Student und Semester blieben der Universität zwar immer noch beachtliche 14 Millionen Euro im Jahr, doch für die Einstellung von Professoren reicht das Geld möglicherweise trotzdem nicht.

Von den 7 Millionen, die im Wintersemester 2007/08 verteilt werden können, sollen 2,5 Millionen in „studienfachbezogene Maßnahmen“ und eine Million in einen „Förderfonds für Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität der Lehre“ fließen. 3,5 Millionen gehen voraussichtlich in „zentral koordinierte Maßnahmen für Fachbereiche, Zentren, Serviceeinrichtungen“. Dahinter verbergen sich Posten wie „Verwaltungsaufwand“, „bauliche Maßnahmen“, „Studienservice“ und natürlich „etc.“.

Auch die anderen hessischen Hochschulen rechnen nicht damit, dass die von der Landesregierung prophezeiten 130 Millionen Euro im ersten Jahr zusätzlich eingenommen werden können. Derzeit ist die Rede von deutlich weniger als 100 Millionen, aber die werden immerhin ausreichen, um den Bibliotheken in Gießen und Fulda längere Öffnungszeiten zu bescheren, für Kassel Studienberater einzustellen oder sich in Marburg eine neue PC-Ausstattung zu gönnen.

Die Zurückhaltung beim oft zitierten Lehrangebot begründete eine Sprecherin der Universität Kassel gegenüber dem Hessischen Rundfunk übrigens auch und ausgerechnet mit der unsicheren Rechtslage. Weil die hessische Opposition Verfassungsklage beim Staatsgerichtshof eingereicht habe, wolle man sich vorerst mit Personalentscheidungen zurückhalten.

Viel Geld und noch mehr Planlosigkeit

Aber auch außerhalb Hessens kann von einer massenhaften Einstellung von Professoren oder wissenschaftlichen Mitarbeitern keine Rede sein. Das umfangreichere Studienangebot ist vielerorts auf die nun tatsächlich großzügigere Vergabe von Lehraufträgen zurückzuführen, die allerdings kein anhaltendes Vertragsverhältnis begründen, den Etat der Hochschulen nicht auf Dauer belasten und für Dozenten und Studierende keinerlei perspektivische Sicherheiten bieten.

Statt eine substanzielle, verlässliche und qualitativ hochwertige Verbesserung der Lehrbedingungen mitzufinanzieren, zahlen die rund eine Million Studenten an den mehr als 130 Hochschulen in Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen derzeit oft für Interimslösungen und technisches Gerät. Unter diesen Umständen hätte es sicher gute Gründe gegeben, um über eine Verschiebung der Einführung von Studiengebühren nachzudenken. Oder auch über deren Höhe, denn auf eine fundierte Bedarfsermittlung hat man vielerorts verzichtet, um sich den Vorschlag der Landesregierungen, der stets auf 500 Euro pro Semester hinauslief, ohne viel intellektuellen und mathematischen Aufwand zu eigen zu machen.

Die Möglichkeit, den Finanzrahmen ohne die Einführung von Studiengebühren, also durch effektive Sparmaßnahmen, die zusätzliche Einwerbung von Drittmitteln oder Umschichtungen in den Landeshaushalten zu erweitern, ist schließlich ebenfalls als zu anstrengend verworfen worden.

Die Universität Münster gehörte zu den wenigen, die sich detailliert mit Kosten-Nutzen-Fragen beschäftigte und schließlich auf eine Bedarfsermittlung von 200 bis 300 Euro kam (Achtungserfolg für protestierende Studenten). Ab dem kommenden Semester zahlen die Studierenden der Westfälischen Wilhelms-Universität nun mit 275 deutlich weniger Studiengebühren als viele ihrer Kommilitonen.

Zwielichtige Controller

Wenn es keine überzeugende Bedarfsermittlung gibt, kann auch die Verwendung der Zusatzeinnahmen nicht zweifelsfrei geklärt sein. Aufschlüsselungen wie diejenige der Universität Erlangen gehören schon zu den präziseren, insofern wäre die Einrichtung eines öffentlichen und veröffentlichenden Kontrollorgans dringend geboten. Ob es allerdings der mit viel PR-Einsatz ins virtuelle Leben getrommelte Unicheck sein muss, ist fraglich, und das nicht nur, weil offenbar noch immer nicht genügend relevante Bewertungen eingetroffen sind, um das Ranking mit Zahlen, Daten und Fakten zu füllen.

Auf Unicheck kann jeder Student das Service- und Lehrangebot seiner Hochschule bewerten und im Detail kommentieren. Die Kommentare sind für alle einsehbar. Die Unicheck-Redaktion geht einzelnen Kommentaren nach und informiert darüber, was die Unis mit dem Geld anstellen, wo Unis intelligent investieren und wo etwas schief läuft.

Als zahlender Kunde hast Du ein Recht darauf mitzubestimmen, was Deine Uni mit Deinem Geld macht! Bei 5 Bundesländern, 136 Hochschulen und über eine Million Studierenden steht eine dreistellige Millionensumme auf dem Spiel.

Wenn die Studierenden schon zahlen, dann sollte für sie auch etwas dabei herausspringen – eine verbesserte Ausbildungsqualität. Aber das ist nicht selbstverständlich. Deshalb will Unicheck den Hochschulen und Ministerien mit Eurer Hilfe auf den Zahn fühlen.

Selbstdarstellung Unicheck

Hinter der schlacksigen Ansprache verbergen sich handfeste wirtschaftspolitische Interessen, denn Unicheck ist nicht einfach ein Portal, das von Studenten für Studenten gemacht wird. Für die Plattform zeichnet die immer häufiger in der öffentlichen Diskussion präsente Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft verantwortlich, ein Interessenverband, der von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie mit 8,8 Millionen Euro im Jahr ausgestattet und vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln wissenschaftlich beraten wird.

Weil´s so schön sozial ist: Studiengebühren in beliebiger Höhe

Dass hier nicht die Gegner von Studiengebühren sitzen, zeigte sich bereits, als das Bundesverfassungsgericht im Januar 2005 die folgenreiche Entscheidung traf, das Verbot von Studiengebühren grundsätzlich aufzuheben. Damals erklärte Oswald Metzger, einst Haushaltsexperte bei Bündnis 90/Die Grünen und dann Kuratoriumsmitglied der INSM, es sei „in Wahrheit eine soziale Tat, unseren Hochschulen über Gebühren den notwendigen Qualitätssprung zu ermöglichen.“

Deren Höhe wollte Metzger übrigens ebenfalls zur Disposition gestellt sehen, allerdings nur jenseits der 500 Euro. „Wenn eine Universität mit Gebühren von deutlich mehr als 500 Euro pro Semester genügend Bewerber findet, warum sollte sie das nicht tun dürfen?“, fragte der grüne Vordenker arglos und regte an, die Gebührenhöhe nach einer Anlaufphase „gänzlich freizugeben“.

Zeitgleich schaltete die INSM in mehreren überregionalen Tageszeitungen eine Anzeigenkampagne mit dem Titel „Studienkosten belasten die Falschen“. Sie zeigte einen Studenten, der auf dem Rücken „eines gleichaltrigen Automechanikers“ an seinem Schreibtisch saß und so demonstrieren sollte, „dass Akademiker im Erwerbsleben einen Einkommensvorteil genießen“.

Das Projekt „Unicheck“, das die Initiative mit der Verbraucherzentrale NRW, Financial Times Deutschland und dem Studentenmagazin „UNICUM“ betreibt, dient im Prinzip dem gleichen Ziel. Über Sinn und Zweck der Studiengebühren wird hier nicht mehr diskutiert, sondern nur noch über deren Verwendung. Das bildungspolitische und soziale Problem kann so nicht in einer strukturellen Fehlentwicklung erkannt werden, sondern schlimmstenfalls regionalen Irrwegen oder menschlichen Schwächen geschuldet sein, die sich mit etwas gutem Willen und dem Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte der sozialen Marktwirtschaft bald wieder beheben lassen.

So erstickt der kanalisierte Widerspruch von vorneherein jede Diskussion über grundlegende Alternativen und vermittelt den Beschwerdeführern obendrein noch das schöne Gefühl, es mit einem kritikfähigen, durchaus einsichtigen und immer gesprächsbereiten Konterpart zu tun zu haben.

Dass sämtliche Statements und Bewertungen absolut subjektiv und vielfach kaum nachprüfbar sind, stört die „Macher“ nicht. Aber vielleicht die betroffenen Gebührenzahler, die ein wachsendes Interesse daran haben könnten, als mündige Bürger und vor allem als zahlende Kunden fortlaufend weitere Details über das neue Preis-Leistungs-Verhältnis in Erfahrung zu bringen. Und wer weiß schon, ob sie nicht eines Tages lieber ihr Geld zurück haben möchten und sich nicht mehr mit einem virtuellen Kummerkasten zufrieden geben?