Der Anti-Zensur-Zombie

Das Usenet erlebt seinen zweiten Frühling

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Seit einiger Zeit erlebt das Usenet ebenso wie IRC ein kleines Revival. Mittlerweile ist auch die Medienindustrie darauf aufmerksam geworden und sucht auch hier nach Urheberrechtsverletzungen. Weil die einstellenden Nutzer aber nicht so leicht zu ermitteln sind wie in ungeschützten P2P-Netzen, versucht es die Medienindustrie mit Abmahnungen und Anträgen auf einstweilige Verfügung bei den Usenet-Providern. Vor Gericht führte das bisher zu zwei völlig unterschiedlichen Entscheidungen. Wird das bemerkenswert zensurresistente Internet-Urgestein auch diesem Angriff standhalten?

Das Arpanet des armen Mannes

Das Usenet entstand Ende der 1970er Jahre als "Arpanet des armen Mannes". Studenten an der Duke University und der Universität von North Carolina nutzten das Unix-to-Unix-Copy-Program (UUCP) und erfanden damit eine bis heute relativ anarchische und schwer zensierbare Struktur des Nachrichtenaustauschs. Als es Ende der 1980er zum Streit über den Inhalt des Usenet kam, wurde am 3. April 1988 einfach eine neue alt.-Hierarchie, gegründet. Der Usenet-Pionier Brian Reid kommentierte den Vorgang wie folgt:

"Um die Spannung zu beenden habe ich alt.sex gegründet. Das hieß, dass die alt.-Hierarchie nun aus alt.sex und alt.drugs bestand. Es war deshalb aus künstlerischen Gründen notwendig alt.rock-n-roll zu gründen - was ich ebenfalls tat."

Für einen Usenet-Zugang ist nicht unbedingt ein kostenpflichtiger Newsserver notwendig. Mit newzbot! lassen sich auch kostenlose Server finden, die bestimmte Gruppen enthalten. Binaries-Newsgroups, die ihre große Zeit in den 1990ern hatten, vor dem Aufkommen von P2P, werden allerdings nur von wenigen kostenlosen Servern gehalten, die oft hoffnungslos überlastet und sehr langsam sind. Zum Herunterladen von Binaries gibt es spezielle Newsreader wie GrabIt.

Usenet-Provider wie Disputo speichern nach eigenen Angaben nur das Volumen, so dass nicht nachvollziehbar ist, welche Gruppen die Benutzer abgerufen haben. Sie werden deshalb teilweise als relativ sichere Alternative zum P2P-Tausch angesehen. Inwieweit die deutschen News-Provider von der Vorratsdatenspeicherung betroffen sein werden, ist zwar noch fraglich, aber das Ausweichen ins Ausland ist hier für den Verbraucher kein Problem. Auch in Deutschland kann man sich ab etwa 100 $ jährlich einen Zugang zu einen amerikanischen Newsserver wie Newscene mieten. Anonym ist der Benutzer dabei allerdings nur bedingt – vor allem wenn er den Dienst mit Kreditkarte bezahlt.

Technische Realität und Rechtsprechung

Nach dem Urteil gegen UseNeXT, in dem das Hamburger Landgericht mit Entscheidung vom 18. Februar 2007 eine Störerhaftung festgestellt hatte (Vgl. UseNeXT will Verfügung wegen Urheberrechtsverletzungen nicht hinnehmen), sah es so aus, als ob sich im Usenet-Bereich das wiederholen würde, was schon nach der Änderung des Jugendschutzgesetzes 2003 geschah: Eine großflächige Verlagerung der Angebote ins Ausland, wo deutsche Nutzer ebenso darauf zugreifen.

Doch das Landgericht München I erkannte in seinem Urteil von Donnerstag überraschend ein Stück technische Realität an und stufte die von Sony BMG Music geforderte Prüfung der Inhalte, für die es keine Filterlösung gibt, als unverhältnismäßig ein. Damit haben Usenet-Provider auch im Inland eine Chance.

Die für Urheberrechtsstreitigkeiten zuständige 7. Zivilkammer lehnte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen einen Usenet-Provider ab (Vgl. Prüfpflichten von Diensteanbietern müssen verhältnismäßig sein). Auslöser des Streits war das im Usenet aufgetauchte Musikwerk "Das Beste" von der Gruppe "Silbermond". Weil es am 8. Februar 2007 über United Newsserver abrufbar war, hatte der Medienkonzern, der alle Verwertungsrechte an dem Werk beansprucht, eine Verletzung des § 19a UrhG geltend gemacht und nach einer Abmahnung am 28. Februar 2007 eine einstweilige Verfügung beantragt. Am Donnerstag verkündete die Kammer ihre Entscheidung.

Danach konnte Sony BMG Music nicht ausreichend glaubhaft machen, dass die Firma Elbracht Computer, die das Angebot United Newsserver vertreibt, ihre Prüfpflichten verletzt hat. Und nur bei einer Verletzung seiner Prüfpflichten würde der Usenet-Provider als „Störer“ hafteten. Der Aufwand für eine Prüfung muss nach der noch nicht rechtskräftigen Entscheidung verhältnismäßig sein. "Der Diensteanbieter", so das Gericht,

"muss nicht jeden nur denkbaren Aufwand betreiben, um die Nutzung rechtswidriger Inhalte zu vermeiden. Vielmehr muss die Bedeutung des Einzelfalls und der erforderliche technische und wirtschaftliche Aufwand sowie die Auswirkungen auf andere Teile des Dienstes und andere Nutzer im Verhältnis zueinander gesehen werden."

Verhältnismäßigkeit

Eine händische Überprüfung der täglich neu eigestellten 3,5 Terabyte an Daten im Usenet stufte das Gericht deshalb als nicht zumutbar ein. In seiner Entscheidung verwies das Gericht auch darauf, dass sogar eine Abschaltung des Servers die Kopie nicht verschwinden lassen würde, weil sie über zahlreiche andere Usenet-Server immer noch verfügbar ist:

"Hiernach sind Maßnahmen zur Verhinderung des Zugriffs auf fremde Inhalte dann als unzumutbar anzusehen, wenn sie einen erheblichen Aufwand erfordern, ihre Wirksamkeit jedoch durch einen Zugriff auf entsprechende Informationsangebote über andere Netzverbindungen mit einem vergleichsweise geringen Aufwand umgangen werden kann."

Die Ausführungen von Sony BMG Music, dass "ein einfacher Textfilter" für eine Sperre reichen würde, waren hier nicht ausreichend – auch weil sich laut Elbracht Computer 90%der User die Daten nicht über Header, sondern über NZBs holen. Der Einsatz eines Textfilters wäre also nur ein relativ aufwendiger Akt, der lediglich symbolische Erfolge bringen würde. Bis jetzt erwiesen sich Usenet-Zensurversuche, etwa in Österreich als relativ wenig erfolgreich. Auch Elbracht Computer könnte die in das Usenet eingestellten Inhalte nicht kontrollieren - allein schon, weil der Inhalt nicht nur bei einem Usenet-Provider liegt.

Entgegen einiger Vermutungen im Heise-Forum widerspricht das Münchner Urteil nicht der alten und der neuen Rolex-Entscheidung des BGH zu Internet-Auktionen (Vgl. Online-Auktionshäuser müssen Angebote von Plagiaten sperren). Das Landgericht München I betonte nämlich in seiner Entscheidung, dass die Menge der Daten im Usenet die in Online-Auktionshäusern bei weitem übersteigt.

Den Unterschied zum UseNeXT-Fall sah es darin, dass UseNeXT auffällig mit dem Zugang zu rechtswidrig angebotenen Inhalten geworben hatte, während die Werbung von United Newsserver in dieser Hinsicht neutraler war. Bereits im Cybersky-Urteil hatte das Hanseatische Oberlandesgericht festgestellt, dass der Umstand allein, dass ein für rechtmäßige Zwecke geeignetes Produkt auch rechtsmissbräuchlich verwendet werden kann, nicht zu einem Verbot führt. Erst wenn der Anbieter des Produkts die Möglichkeit zum Rechtsmissbrauchs in seiner Werbung hervorhebt, haftet er für Rechtsverletzungen Dritter, weil er dann durch sein eigenes Handeln die Möglichkeit zu Rechtsverstößen nahe legt.