Zieht euch warm an

Vor 30 Jahren hat der ehemalige US-Präsident den Bericht "Global 2000" in Auftrag gegeben, worin bereits vor der Klimaerwärmung gewarnt wurde

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Man stelle sich vor, ein wiedergeborener Christ wird Präsident der USA. "Keine schwere Aufgabe", sagen Sie. Aber nun wird es schwieriger, denn dieser Präsident stellt Solarmodule aufs Dach des Weißen Hauses. „Nichts leichter als das!“ rufen alle Linken in den USA – und tippen selbstsicher auf Jimmy Carter. Und Sie?

Damit sagen die Amerikaner aber nur die halbe Wahrheit, denn sowohl Jimmy Carter als auch George W. Bush haben Solaranlagen im Weißen Haus installiert. Im Falle von Carter waren es Solarkollektoren für Warmwasser. Carter machte sich am 18. April 1977 Freunde und Feinde gleichermaßen mit seiner Aufforderung in seiner ersten Fernsehrede an die Nation, seine Mitbürger möchten doch nun Pullis anziehen und die Heizung runterdrehen. Seitdem wird jeder Ruf nach Sparsamkeit in den USA mit einem Verzicht auf Komfort in Verbindung gebracht. Carter wird oft als erfolgloser Präsident gesehen (ob das zutrifft, sei dahingestellt), somit gilt Sparsamkeit als Zeichen von Schwäche in den USA. Die Amerikaner wollen nicht verzichten – sie wollen eine technische Lösung, Fortschritt, Stärke zeigen!

In den 1950ern entdeckten US-Forscher auf Hawaii eher zufällig, dass die Erde „atmet“: Im Frühling entnehmen die Pflanzen viel CO2 aus der Atmosphäre, geben diese aber wieder im Herbst frei. Doch die Forscher stellten zudem fest, dass die Kohlendioxidkonzentration dramatisch anstieg. Zu Arrhenius' Zeiten (siehe unten) betrug sie weniger als 300 ppm (parts per million). Als Carter Präsident wurde, lag die Zahl bei 332 ppm. Heute sind wir bei rund 385 ppm angekommen, und die Zahl steigt weiter rasant an. Bild: NOAA

Weil man aber - nicht nur in den USA - Solarwarmwasser und Solarstrom nicht auseinander halten kann, wird immer wieder behauptet, Carter hätte „solar power panels“ installieren lassen – auch der englischsprachige Eintrag bei Wikipedia ist diesbezüglich falsch. Damals war jedoch die Photovoltaik eher etwas für Satelliten (siehe Bilder der Kollektoren damals und heute. Der erste Präsident, der Solarstrommodule auf dem Weißen Haus installieren ließ, war der derzeitige Amtsinhaber Bush, und zwar im Jahr 2002.

Wie konnte es passieren, dass jeder Solarenergie mit Carter in Verbindung bringt, aber keiner mit Bush? Bush weiß durchaus von den Vorzügen der erneuerbaren Energien - er enutzt Geothermie auf seiner Ranch in Texas und hat neben PV auch Solarwarmwasser im dem Weißen Haus installieren lassen. Als Gouverneur von Texas hat er dort die Windenergie gefördert. Texas hat heute von allen Bundesstaaten am meisten Windenergie in den USA, aber Bush hat dies nicht in die Bundespolitik übersetzt. Ganz anders Carter: Er schuf das Department of Energy (Deutschland kommt noch ohne Energieministerium aus - die Energiepolitik wird quasi durch das Umweltministerium und das Wirtschaftsministerium geteilt) und stellte die Weichen für eine Unabhängigkeit von Energieimporten. Dabei setzte er auf die Erneuerbaren und aufs Sparen.

Carters Weichen riss sein Nachfolger Ronald Reagan heraus. Viele Forscher waren Carters Ruf gefolgt und arbeiteten an Wind- und Solarenergie. Reagan entließ viele mit einer Frist von zwei Wochen ohne Abfindung. So bringt man Wissenschaftlern bei, worüber man nicht forschen soll. Seither verfolgt das Land kein Ziel mehr. Bald wird dieses versucht, bald jenes, aber vor allem wird alles sowieso schnell wieder abgebrochen. Auch unter Clinton/Gore war das nicht anders.

Mit Carter hätte eine andere Welt beginnen können. Angefangen hätte es mit der Studie „Global 2000“.

Carter ließ 1977 eine Studie über Bevölkerungswachstum, Ressourcen und Umwelt bis zum Jahr 2000

In einer Fernsehrede am 23. Mai 1977 ließ Carter verlauten, dass eine Studie durchgeführt werden sollte. Thema: Bevölkerungswachstum, Ressourcen und Umwelt bis zum Jahr 2000. Solche Studien gab es jedoch schon mehrfach, unter anderem „Die Grenzen des Wachstums“ (MIT) von 1972. Im Detail wollte Carter jedoch keine neue Studie durchführen, sondern lediglich die bestehenden Daten aus Regierungsquellen zusammenführen, um einen offiziellen Bericht der US-Regierung als Grundlage für politische Entscheidungen zu erstellen.

Der erste Befund war unbeabsichtigt: Die Daten aus den jeweiligen Ministerien ließen sich schlecht vergleichen, weil sie keine gemeinsame Basis hatten, d.h. die Fragestellungen waren von vornherein unterschiedlich. Herausgekommen ist dann ein Bericht mit mehr als 1.000 Seiten. Alleine die Zusammenfassung (Band I) ist 300 Seiten lang.

Im Gegensatz zur MIT-Studie wird hier vor allem ein Szenario untersucht: business as usual. Wie bei jener sollte nichts vorhergesagt werden, da die Studie ja das Schlimmste verhindern helfen sollte. Die Schlussfolgerungen sind heute größtenteils bekannt, nichtsdestotrotz aber sehr interessant zu lesen. Sie sind entweder antiquiert, weil die Probleme von vor 30 Jahren mittlerweile handhabbar wurden, oder erschreckend, weil die Aussagen von heute stammen könnten.

Es wäre billig hinterher aufzuzeigen, wo die Studie falsch lag, denn sie ist erstaunlich robust. Bei allen Kassandrarufen von wegen „Wir haben nur noch 13 Jahre, um die Welt zu retten“ (so Pressemeldungen nach dem letzten IPCC-Bericht) muss aber gesagt werden, dass viel Unvorhersehbares passieren kann. Man schaue nur 60 Jahre zurück, als Deutschland noch in Trümmern lag. Würde man aus der Perspektive von 1947 den Siegeszug von VW, MP3 und Enercon kommen sehen - oder eher einen Agrarstaat à la Morgenthau?

Wie viele Jahre haben wir noch? Soll die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf lediglich 450 ppm (mehr als 50% mehr als 1900) steigen, müsste man „mit dem Fahrrad zum Flughafen“ fahren (so der Energieexperte Jeffrey Michel), wenn die Fliegerei weiterhin so ansteigt wie heute. Bild: Tyndall Centre for Climate Change Research

In Global 2000 heißt es, es gebe noch keine Lösung für NOx-Emissionen aus Kohlekraftwerken. Heute entfernt man bis zu 40% der NOx-Emissionen problemlos; die "Clear Skies Initiative" wird von 2000 bis 2008 in den USA NOx-Emissionen um zwei Drittel reduzieren, Umweltschützer kritisieren, man könne noch weiter gehen. Der gesamte Ostblock könnte bis 2000 460 Millionen Einwohner haben? Heute hat die GUS 279 Millionen Einwohner, und Osteuropa ist mehrheitlich Teil der EU.

„Global 2000“ wurde vor Tschernobyl, vor dem Fall der Mauer und vor der Abgaswäsche von Kohlekraftwerken verfasst. Wenn es um Windräder geht, spricht die Studie meistens nicht von der Stromerzeugung, sondern sogar an einer Stelle von „Windmühlen und Zugtieren“ in einem Atemzug. Da kein neues Szenario untersucht und lediglich auf bestehende Daten zurückgegriffen wurde, wird keine US-Prognose für Solar- oder Windenergie erwähnt. Es gab nämlich keine.

Die Studie geht aber ausführlich auf das Solar Sweden-Projekt ein. In den 1970ern wollten ausgerechnet die Schweden auf erneuerbaren Energien umsteigen. Heute setzen die Schweden wieder auf die Kernkraft, können sie aber auch nicht beherrschen (Verfall der Sicherheitskultur). Bei der Kernkraft machen sich die Autoren vor allem Gedanken über die verbleibenden Unsicherheiten des Betriebs und der Abfallbeseitigung. Das tun wir heute noch.

Die Studie zeigt auch, wie progressiv man damals dachte. „Wirtschaftswachstum“ wird kritisiert, weil sowohl die Umweltbelastung als auch deren Beseitigung positiv aufaddiert werden. Den Begriff return on energy invested (ROEI) wenden die Autoren an: „the number of calories returned in food energy per calory of input energy declined by almost 25 percent from 1945 to 1970“. Ihre Prognosen für Ölressourcen sind heute noch belastbar: „During the 1990s, world oil production will approach geological estimates of maximim production capacity“ - will heißen, bald danach übersteigt die Nachfrage das Angebot. Manche meinen heute, wir wären jetzt so weit. Vor allem aber ist die Prognose für CO2-Emissionen erschreckend zutreffend.

Zutreffende Prognosen

1988 machte ein NASA-Forscher namens James Hansen Schlagzeilen mit dem Begriff „globale Erwärmung“ (zum Schicksal von Hansen siehe Maulkorb für US-Wissenschaftler). Allerdings warnten die Klimaforscher schon lange vor den Auswirkungen der CO2-Emissionen, Hansen hat lediglich als NASA-Mitarbeiter die Aufmerksamkeit der US-Medien auf sich gezogen. Auch Helmut Kohl sagte 1987 im Bundestag:

In zunehmendem Maße beunruhigend sind globale Gefährdungen unserer Erdatmosphäre. So droht durch den sogenannten Treibhauseffekt eine gravierende Klimaveränderung.

Spätestens seit der Studie „On the influence of carbonic acid in the air upon the temperature of the ground“ von Svante Arrhennius vermutet man einen hausgemachten Treibhauseffekt. Seine Studie erschien 1896.

Beim Klimawandel listet Global 2000 alles so auf, wie man es heute auch kennt: Die Wissenschaftler wissen nicht genau, wie die Folgen aussehen werden, aber vermutlich steigen die Temperaturen an den Polen schneller an als am Äquator; der Meeresspiegel steigt; die Erde wird vielleicht 3-6 Grad wärmer bis 2100 und die Verbrennung von fossilen Brennstoffen ist wohl eine der Hauptursachen, wenn nicht die größte. Schlimmer noch: Global 2000 bezieht sich auf frühere Studien, die vor einer bevorstehenden Katastrophe warnen und nennt deren Ergebnisse „vielleicht sogar zu konservativ“. Rund ein Jahrzehnt vor Hansens Bekanntmachung spricht Global 2000 von einem – im Original in Klammern gesetzten - „greenhouse effect“.

Man kann nur schlussfolgern, dass wir 30 Jahre verloren haben. Vielleicht haben wir keine 13 Jahre mehr? Sicher, wenn wir uns jetzt anstrengen, wird es etwas ausmachen. Aber die Botschaft, es sei alles zu spät, lähmt nur.

Quo vadis?

Sicher könnte man die Amerikaner kritisieren, aber 1979 war Deutschland keineswegs auf dem Weg, die Weltführerschaft in clean tech zu erobern. Deutschland ist Weltmeister in Wind und Solar wegen eines Einspeisegesetzes, das die Deutschen 1990 von den Dänen abkopiert haben. Die Dänen haben die Idee von den Amerikanern. 1984 hatte alleine Kalifornien über 90% der installierten Leistung weltweit – dank eines Einspeisetarifs. Hätte Carter nicht aus den Befunden von Global 2000 den Schluss gezogen, man müsse alle alternativen Energiequellen entwickeln, wo wäre heute die Windenergie?

Wäre Deutschland heute Windweltmeister, wenn Carter nie Präsident geworden wäre? Mir erscheint eine andere Frage wichtiger: Wie würde die Welt heute aussehen, wenn Carter wiedergewählt worden wäre? Die USA wäre heute vielleicht Solar- und Windweltmeister, und Al Gore wäre eventuell Präsident (schade um den Diavortrag). Die Amerikaner würden selbstverständlich immer noch auf den Rest der Welt hinabschauen (wir wollen realistisch bleiben), aber nicht wegen fehlender Demokratie, sondern wegen schlechter Energiepolitik.

Eine Welt, die fast zum Greifen nahe erschien, doch daraus wurde nichts. Carter verlor die Wahl gegen Reagan. Um der Inflation Herr zu werden, hatte der damalige Vorsitzende der US-Notenbank Paul Volcker den Leitzins ab 1979 angehoben. Die Amerikaner gingen im November 1980 wählen. Der Leitzins kletterte bis Dezember 1980 auf 21.5% (normal wäre eher 3-4%). Es war damals ein teures Vergnügen, einen Kredit aufzunehmen. Die Wähler taten, was sie konnten – sie wählten den Präsidenten ab.

Das zweifelhafte Vermächtnis Carters

Die Geiselnahme von Teheran hat dabei auch nicht geholfen. Ein anderer Präsident hätte vielleicht gewusst, wie sich aus der Situation Kapital schlagen lässt. Carters gescheiterte Rettungsaktion war eine Lachnummer, doch das war auch die Außenpolitik Bushs, als er 2004 wiedgewählt wurde. Bushs „Wir werden sie ausräuchern“ ist einfach sexier als Carters „Zieht euch warm an, noch hat uns die Energiekrise nicht überwältigt“.

Spätere Energievordenker werden genau Carters Zusammenhang zwischen Verzicht und Energiekonsum in Frage stellen, vor allem die deutsch-amerikanische Kollaboration hinter "Faktor 4" - man könne den Verbrauch halbieren und gleichzeitig den Lebensstandard verdoppeln.

Überlebt hat Carters Energiepolitik nicht, aber die "Carter-Doktrin" von 1980 machte Schule, denn mit ihr marschierte George Bush Sr. in den Irak ein:

An attempt by any outside force to gain control of the Persian Gulf region will be regarded as an assault on the vital interests of the United States of America, and such an assault will be repelled by any means necessary, including military force.

Jimmy Carter, Januar 1980

Carter ist wiedergeborener Christ, behält seine Religion aber für sich. Doch die Religion obsiegt in den USA. Als der Hauptautor von Global 2000 im Jahre 1993 die nur 100-seitige „Global 2000 Revisited: What Shall We Do?“ veröffentlichte, stand ein religiöser Appell ans Gewissen im Vordergrund, der im Original völlig fehlte:

The task before us is fundamentally spiritual in nature: to discover who we humans are, how we are to relate to each other and to the whole community of life, and what we are to do, individually and collectively, here on Earth. So we turn with our questions to you, our spiritual leaders.

Aus Carters Mund klang das ganz anders – eine überzeugende Sachlichkeit, die uns heute fehlt:

We must not be selfish or timid if we hope to have a decent world for our children and grandchildren.

Mit Carter begann eine neue Ära in der Energiepolitik der USA. Und mit Carter endete sie leider auch.

Bis zum 3. Juni läuft die Ausstellung Moral Equivalent of War in Fribourg (CH) von den Schweizer Künstlern Roman Keller und Christina Hemauer, die sich auf die Suche nach der Solaranlage Carters machten. Craig Morris versucht, die Einspeisetarife über Petite Planète an die Amerikaner zurückzuverkaufen .