Umstrittener Wahlausgang in Nigeria

Dem wegen seiner Ölressourcen wichtigen Land mit einer muslimischen und christlichen Bevölkerung stehen weiter gewalttätige Konflikte bevor

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Am vergangenen Wochenende wurde auf den internationalen Nachrichtenkanälen stundenlang und live von Präsidentschaftswahlen in Frankreich übertragen. Die Wahlen in Nigeria waren dagegen nur wenige TV-Minuten wert, obwohl das Land mit rund 130 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Afrikas und zugleich der achtgrößte Ölproduzent der Welt ist.

Einwohner von Kaduna warten darauf, ihre Stimme abgeben zu können. Bild: EOM

Für Nigeria hätte es ein großer Tag werden können. Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit 1960, nach Bürgerkrieg und einer Reihe von Militärdiktaturen, sollte durch demokratische Wahlen die Regierungsmacht von einer Zivilbehörde auf die nächste übertragen werden. Rund 60 Millionen registrierte Wähler waren am vergangenen Samstag aufgerufen, nicht nur einen Präsidenten zu wählen, sondern auch das Parlament (360 Sitze) und den Senat (109 Sitze).

Aber "die Wahlen konnten die Erwartungen und Hoffnungen des nigerianischen Volkes nicht erfüllen", sagte Max van den Berg, der Leiter der EU-Wahlbeobachtungsmission in Nigeria (EOM). "Die Wahlen waren nicht glaubwürdig." International übliche Standards seien nicht vorhanden gewesen, Gewalttätigkeiten hätten den Wahlprozess behindert, hinzu kamen eine schlechte Organisation, Unregelmäßigkeiten, Wahlbetrug und die Beeinflussung von Wählern, so van den Berg weiter. Eine sachliche, nüchterne Bilanz, die eher untertreibend wirkt, gemessen an den tatsächlichen Ereignissen.

Rund 200 Menschen waren innerhalb einer Woche bei gewalttätigen Auseinandersetzungen im ganzen Land getötet worden. Darunter 32 Polizisten, unterwegs mit Wahlbeamten und Materialien. Alleine sieben Polizisten wurden im zentralen Bundesland Nassarawa getötet, als Unbekannte das Feuer auf die vorbeifahrenden Polizei-Pick-Up-Wagen eröffneten. Vier Menschen starben bei Unruhen, die wegen fehlender Stimmzettel entstanden. Im Bundesstaat Bayelsa versuchte man den Gouverneur und Präsidentschaftskandidaten, Jonathan Goodlock, zu entführen und zu töten.

EU-Wahlbeobachter begutachtet eine Wahlurne. Bild: EOM

Der größte Anschlag schlug nur durch Zufall auf das Hauptquartier der nationalen Wahlkommission in Abuja fehl. Ein Tanklastzug mit vier 25 Gaszylindern sollte in das Gebäude der Wahlbehörde fahren und es niederbrennen. Der unbemannte Lastwagen mit einem Stein auf dem Gaspedal wurde nur durch einen Strommasten gestoppt, der im Wege stand.

Zu Tausenden soll man Wähler überzeugt haben, die gewünschte Stimme abzugeben. In einigen Fällen seien Stimmzettel mehrfach ausgefüllt worden. In Kano wurden Wahlurnen von mit Buschmessern und Pistolen bewaffneten Männern gestohlen. Dort fehlten auch 22 Prozent der Stimmzettel für die Präsidentschaftswahlen. In anderen Bundesstaaten kamen Wahlmaterialien zu spät oder überhaupt nicht an. In Katsina konnten aus Mangel an Stimmzetteln nur 46.000 der insgesamt 96.000 Stimmberechtigten zur Wahl gehen. In Anambra durften über eine Million Wähler überhaupt nicht abstimmen, weil die Wahlunterlagen erst dann eintrafen, als die Wahllokale bereits geschlossen hatten.

Die Opposition will die Wahl anfechten

Trotzdem wurde am Montag Umaru Yar'Adua, ein 56-jähriger Muslim, als neuer Präsident Nigerias vorgestellt. Er ist der Wunschkandidat des ausscheidenden, christlichen Staatsoberhauptes Olusegun Obasanjo, der am Sonntag noch von korrekten Wahlen gesprochen und erst am Montag eingestand, "dass nicht alles perfekt gelaufen ist".

Umaru Yar'Adua und der scheidende Präsident Olusegun Obasanjo. Bild: nigeria.gov.ng

Der scheidende wie der neue Präsident gehören der "Volksdemokratischen Partei" an, die sich vor der offiziellen Auszählung bereits als Sieger erklärt hatte. Ein Hohn für die Oppositionsparteien, die das Resultat der Wahlen vor Gericht anfechten wollen. Der Kandidat der "All Nigerianischen Volkspartei (ANPP), Mohammadu Buhari, kam mit 6.605.293 Stimmen dem erklärten Sieger (24.638.063) noch am nächsten. Ganz abgeschlagen dagegen Atiku Ababakar (2.637.848), der noch amtierende Vizepräsident des Landes. Seine Kandidatur wurde erst durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in letzter Minute zugelassen, was nur zum Teil ein Grund für die logistische Verspätung ist. Kurzfristig wurden Millionen von neuen Wahlzetteln in Südafrika gedruckt, die erst am Donnerstag, also zwei Tage vor dem Wahltermin, in Nigeria per Flugzeug eintrafen und auf das knapp eine Million Quadratkilometer große Land verteilt werden mussten.

Atiku Ababakar, ein früherer Verbündeter seines Präsidenten Olusegun Obasanjo, nannte die Wahlen einen "symbolischen" Akt. Nur in den Städten habe die Regierung versucht, Wahlen abzuhalten. In den ländlichen Gebieten, wo 70 Prozent der Bevölkerung Nigerias leben, habe es keine Wahlen gegeben. "Wie kann man da nur einen Gewinner erklären", meinte Ababakar. "Das ist wirklich die schlimmste Wahl, die man sich nur vorstellen kann. Es bleibt nichts anderes übrig, als sie zu annullieren".

Neue Konflikte sind vorprogrammiert

Auf eine Wiederholung der Wahl werden sich der alte und neue Präsident, sowie die regierende "Volksdemokratische Partei" kaum einlassen. Neue gewalttätige Auseinandersetzungen sind damit vorprogrammiert. Seit Jahren gibt es immer wieder blutige Zusammenstöße zwischen christlicher und muslimischer Bevölkerung, die jeweils im Norden und Süden des Landes leben. Streitigkeiten entstanden um die Ausweitung der islamischen Rechtsprechung (Scharia), die in den Nordregionen herrscht, auf ganz Nigeria (Islam in Afrika). Zudem sprengen Gruppen wie die "Bewegung für die Befreiung der Menschen des Niger Deltas" (MEND) oder "Koalition für Militante Aktion" (COMA) Ölpipelines in die Luft und entführen lokale Politiker und Mitarbeiter von ausländischen Firmen ("Schwarzer Februar" in Nigeria).

Eine Zuspitzung der Konflikte im ölreichen Nigeria wird im Ausland nicht gerne gesehen. Am allerwenigsten in den USA. Nigeria ist der fünftwichtigste Öllieferant der Vereinigten Staaten. Nigerianisches Öl ist sehr beliebt, da es leicht ist, wenig Schwefel enthält und man daraus, im Vergleich zu anderen Erdölen, am meisten Benzin gewinnen kann. Erst letzten Mittwoch hat das US-Energieministerium einen Rückgang der Benzinreserven um 2,7 Millionen Barrels bekannt gegeben. 800.000 Barrel mehr als prognostiziert. An der Börse wurde bereits auf das Wahlergebnis reagiert. Am Montag stieg der Ölpreis um 27 Cents auf US$64.38. "Der Wahlprozess in Nigeria wurde allseits kritisiert", sagte Oliver Jakob von Petromatrix. "Wir werden einige Tage warten, bis wir den Risikozuschlag für das Land reduzieren."

Nigeria ist OPEC-Mitglied und fördert täglich 2.37 Millionen Barrels, wovon rund 2,33 Millionen direkt in den Export gehen. Seitdem es letztes Jahr im Niger Delta vermehrt Angriffe auf Ölanlagen der US-Firmen Chevron und Shell gab und einige Ölfelder geschlossen werden mussten, sank die Produktion um 500.000 Barrel pro Tag. Bei weiteren Auseinandersetzungen um die Wahlresultate wird befürchtet, dass auch die militanten Gruppen dies als Anlass für neue Attacken nehmen könnten. Die Erdölförderung ginge weiter zurück und der Ölpreis würde weiter steigen. Eigentlich hatte man auf eine Stabilisierung in Nigeria gehofft. Im Mai sollten die vor einem Jahr geschlossenen Ölfelder wieder eröffnet werden, was 380.000 Barrel pro Tag mehr bedeutet.

Aus Sicherheitsgründen könnte auch das insgesamt 29 Milliarden Dollar umfassende Naturflüssiggasprojekt (LNG) abgesagt bzw. vertagt werden. Eine Woche vor den Wahlen hatte der ausgehende nigerianische Präsident, Olusegun Obasanjo, den Grundstein dafür gelegt. Ein Projekt, an dem ebenfalls Chevron und Shell beteiligt sind. Nigeria würde es bis 2011 rund 10 Milliarden Dollar einbringen.

Am vergangenen Montag reagierte Olusegun Obasanjo auf die Bedenken und Kritik der USA und EU mit einem Appell an die "lokalen wie internationalen Beobachter". Man solle doch Verständnis für einige der Beschränkungen von Nigeria als komplexe, sich entwickelnde Nation aufbringen und nicht das Negative übertreiben und dabei das Kinde mit dem Bade ausschütten.