Erdnaher planetarer Artverwandter

Wissenschaftshistorische Zäsur: Astronomen finden bislang kleinsten und erdähnlichsten Planeten in einer habitablen Zone

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Es ist eine dieser Entdeckungen, die sich in den Annalen der Wissenschaftsgeschichte einen festen Platz erobern wird. Dank der Beflissenheit eines internationalen Forscherteams und mithilfe eines ausgeklügelten Teleskopsystems sowie einer optimierten Suchstrategie und -Technik spürten Astronomen unter der Leitung von Michel Mayor einen erdähnlichen Exoplaneten auf. Der nur 20,5 Lichtjahre von der Erde entfernte Planet hat die 5-fache Masse und den 1,5-fachen Radius der Erde. Er ist damit der kleinste bislang bekannte Planet außerhalb des Sonnensystems. Wie die Europäische Südsternwarte (ESO) heute offiziell verlautbart, umkreist der Exoplanet einen Roten Zwergstern und liegt in einer habitablen Zone, wäre somit also ein heißer Kandidat für biologisches Leben, weil auf ihm flüssiges Wasser existieren könnte.

Seitdem die Schweizer Astronomen Michel Mayor und Didier Queloz vom Genfer Observatorium im Jahr 1995 bei dem Stern 51 Pegasi den ersten Exoplaneten einer noch nicht erloschenen Sonne entdeckten, spürten Forscherteams rund um den Globus mit erdgebundenen Observatorien und Weltraumteleskopen 227 Planeten in 186 verschiedenen Planetensystemen auf. Als extrem heiße Gasriesen in der Größenklasse von Neptun (17-fache Erdmasse) bis hin zu Jupiter und größer umflitzen viele von ihnen ihren Heimatstern in geringem Abstand – oft binnen weniger Tage einmal. Kurzum, ein erdähnlicher extrasolarer Planet, der den richtigen Abstand zu seinem Heimatstern hat, um flüssiges Wasser zu halten („habitable Zone“) und somit biologisches Leben zu ermöglichen, ging den Planetenfischern bislang nicht in die Netze.

Heißer Gasriese – oft gefährlich nahe am Zentralgestirn. Biologisches Leben hätte hier keine Chance …Bild: NASA, ESA and G. Bacon

Großer Meilenstein in der Wissenschaftsgeschichte

Zwölf Jahre nach seiner historischen Entdeckung schreibt der Pionier der Planetenjagd, Michel Mayor, nunmehr erneut Wissenschaftsgeschichte. Zusammen mit Kollegen vom Genfer Observatorium und französischen sowie portugiesischen Forschern spürte er den bisher kleinsten und masseärmsten extrasolaren Planeten auf, der mit einer weiteren Qualität glänzt: Er liegt in einer habitablen Zone und könnte daher flüssiges Wasser halten. „Es ist ein großer Meilenstein in der Geschichte astronomischer Entdeckungen“, so der Astronom Henri Boffin, der für die Pressearbeit der Europäischen Südsternwarte (ESO) mitverantwortlich ist, gegenüber Telepolis.

Bild: ESO

Unter Anwendung einer ausgefeilten Observationstaktik und -technik und einer speziellen Apparatur lokalisierten die Forscher mit dem 3,6-Meter-Teleskop der ESO im Sternbild Waage einen Exoplaneten mit der nur 5-fachen Erdmasse. 20,5 Lichtjahre von der Erde entfernt, umrundet er seinen Heimatstern Gliese 581 einmal binnen 13 Tage. Obwohl er seine Muttersonne in einer Distanz von nur 10,7 Millionen Kilometern umkreist (dies ist 14-mal geringer als der Abstand Erde-Sonne), herrschen auf der fernen Welt annehmbare Temperaturen.

„Wir schätzen, dass die Haupttemperatur auf dieser Super-Erde sich zwischen 0 und 40 Grad Celsius bewegt. Auf dieser Welt müsste deshalb Wasser flüssig sein“, erklärt Stéphane Udry vom Genfer Observatorium in der Schweiz, der Hauptautor der Studie, die in wenigen Tagen in dem Fachmagazin Astronomy & Astrophysics veröffentlicht wird. „Überdies dürfte der Radius dieses Planeten nur das 1,5-Fache der Erde aufweisen. Unser Model sagt außerdem voraus, dass der Planet entweder felsig ist wie unsere Erde – oder mit Ozeanen bedeckt ist.

Langlebig, licht- und massearm

Dass unter diesen Bedingungen überhaupt einer erdähnliche Welt in einer habitablen Zone eine Nische finden konnte, hängt mit dem Sternentyp des Muttergestirns zusammen. Denn Gliese 581 ist ein so genannter Roter Zwergstern vom Typ M. Rote Zwerge sind äußerst langlebige (je nach Masse werden sie bis zu 50 Billionen Jahre alt), sehr licht- und massearme Sterne, die schätzungsweise mehr als 70 Prozent aller stellaren Gebilde in der Milchstraße stellen. Von den 100 erdnächsten Sternen, wozu auch Gliese 581 zählt, sind allein 80 Rote Zwerge.

Bild: ESO

Da diese Sternklasse weitaus kleiner, kälter und durchschnittlich 50 Mal schwächer leuchten als etwa Sterne vom Typ unserer Sonne, verschiebt sich in solchen Systemen die habitable Zone näher zum Heimatstern hin. „Rote Zwerge sind die idealen Zielsterne für die Suche nach solchen Planeten, weil sie weniger Licht emittieren und weil ihre habitable Zone viel dichter an ihre Sonne reicht“, erklärt das Teammitglied Xavier Bonfils von der Universität in Lissabon (Portugal).

HARPS machte den Unterschied

Aufgespürt wurde der Exoplanet Gliese 581 c mit der Radialgeschwindigkeitsmethode. Bei dieser Technik richten die Planetenjäger ihre Aufmerksamkeit primär auf die Gravitationskraft des vermuteten Planeten und der daraus resultierenden kleinen Bewegung seines Zentralsterns. Beginnt der observierte Stern zu eiern, lassen sich seine rhythmischen Verschiebungen anhand der Änderung der Radialgeschwindigkeit feststellen.

Radialgeschwindigkeitsdiagramm der drei Exoplaneten um den Roten Zwergstern Gliese 581. Oben der Planet mit 15 Erdmassen; unten der jener mit 8 und in der Mitte der neu entdeckte erdähnliche Exoplanet mit 5 Erdmassen. ESO-Computeranimation über das Exoplaneten-Trio im Gliese-System. Bild: ESO

Um die Messung zu optimieren, kam das relativ neue Instrument HARPS (High Accuracy Radial Velocity Planet Searcher) zum Einsatz, das von Michel Mayor entwickelt und am ESO-Teleskop montiert wurde. „HARPS ist eine einzigartige Maschine für die Planetenjagd“, so Mayor. „Dank seiner unglaublichen Präzision konnten wir uns auf massearme Planeten fokussieren. Von 13 entdeckten Exoplaneten mit einer Masse unter 20 Erdmassen, wurden allein elf von HARPS entdeckt. Wir sind zuversichtlich, dass erdähnliche Planeten um Rote Zwergsterne für uns in Reichweite sind.“

HARPS – geöffnet. Bild: ESO

Besagte Anlage ermöglicht den Forschern eine zehnmal genauere Ausnutzung der Messung der Radialgeschwindigkeit als zuvor. Sie ist derart empfindlich, dass sie mittels der Messung stellarer Lichtwellen selbst noch Änderungen der Geschwindigkeit eines 3,6 km/h schnellen Fußgängers messen kann – und das in einem Radius von bis zu 160 Lichtjahren.

Wirklich erdähnlich?

Mit HARPS spürte bereits zwei Jahre zuvor dasselbe Astronomenteam um Gliese 581 einen Planeten mit der 15-fachen Erdmasse auf, der seinen Heimatstern in 5,4 Tagen einmal umkreist. Als sich abzeichnete, dass in demselben System weitere Exoplaneten existieren, nahmen die Forscher das ferne Sternsystem noch genauer unter die Lupe. Dabei fanden sie Hinweise auf einen Planeten mit der 8-fachen Erdmasse, der Gliese 581 in 84 Tagen einmal umrundet – und eben besagten großen Bruder der Erde.

Das 3,6-Meter-Teleskop, mit dem die Entdeckung gelang. Bild: ESO

So groß der Jubel derweil bei der ESO auch sein mag – der ehemalige deutsche Wissenschaftsastronaut und jetzige Lehrstuhlinhaber für den Fachbereich Raumfahrttechnik der TU München in Garching, Ulrich Walter, hat mit dem Begriff „erdähnlich“ so seine Schwierigkeiten. „Der Planet um Gliese 581 befindet sich am inneren Rand der habitablen Zone. Das eigentliche Problem ist aber, dass er sich – wie praktisch alle Planeten in der habitablen Zone – um einen Roten Zwerg ziemlich weit im Gebiet des Gezeiten-Lock-In befindet“, so Walter in einer E-Mail an Telepolis. „Das heißt, seine Eigendrehung hat einen Lock-In mit seiner Bahndrehung: Er zeigt dem Roten Zwerg immer dieselbe Seite zu, was bedeutet: Auf der Vorderseite herrschen extrem hohe Temperaturen – es gäbe keinen Ozean, nicht einmal einen See –, wohingegen die Rückseite permanent vereist wäre, vorausgesetzt, es gäbe dort Wasser. Das wäre keineswegs erdähnlich."

Entdeckung beflügelt Exobiologie

Weitaus optimistischer klingt dagegen die Prognose von Xavier Delfosse, ein Mitglied des Teams der Grenoble Universität in Frankreich. „Wegen seiner Temperatur und relativen Nähe wird dieser Planet sehr wahrscheinlich ein sehr wichtiges Ziel für zukünftige Weltraummissionen sein, die sich der Suche nach außerirdischem Leben widmen.“ Eine davon wird im Jahr 2015 den nächsten Schritt wagen: die ambitionierte ESA-Mission Darwin.

Darwin-Flotte. Bild: ESA

Sie besteht aus einer Flotte von acht Raumfahrzeugen, die am so genannten Lagrange-Punkt L 2 – 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt – operieren, jenem Punkt auf einer Erdumlaufbahn hinter dem Mond, wo sich die Gravitationskräfte die Waage halten, so dass Raumschiffe im Raum quasi still stehen. Das Interferometrie-Superteleskop kann die eingefangene Strahlung dergestalt überlagern, dass die Bildschärfe einem 100 Meter großen Fernrohr entspricht, was Darwin dazu befähigt, nicht nur erdähnliche Planeten aufzuspüren, sondern auch in deren Atmosphären nach chemischen Spuren von Leben zu suchen.

Nähme Darwin die Erde aus einer Entfernung von 25 Lichtjahren ins Visier, könnte er mithilfe seines Spektrographen deutliche Hinweise auf dortiges Leben finden. Bild: ESA

Um dies effektiv umzusetzen, zerlegen die teleskopeigenen Spektrographen der Darwin-Flotte das von den Planeten reflektierte Licht in seine farblichen Bestandteile. Dadurch können sie Temperatur und chemische Zusammensetzung der Exoatmosphären ermitteln. Da jedes Element einen eindeutigen chemischen Fingerabdruck besitzt, verraten sich dabei alle potentiellen Biosignaturen, die auf Leben hindeuten, wie etwa Methan oder Ozon.

„Eines ist klar“, so ESO-Astronom Henri Boffin in einem Gespräch mit Telepolis: „Der neu entdeckte erdähnliche Planet um Gliese wird einer der ersten sein, den Darwin später anvisiert!“