Irak: Zusammenbruch von Recht und Ordnung

UN-Organisation kritisiert irakische Regierung scharf und warnt, dass sich auch die humanitäre Situation schnell weiter verschlechtert

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Die United Nations Assistance Mission for Iraq (UNAMI) kritisiert in ihrem 10. Bericht über die Lage der Menschenrechte die irakische Regierung scharf. Der Bericht deckt die Zeit ab, in der die US-Truppen zusammen mit den irakischen Sicherheitskräften die Offensive in Bagdad (Baghdad Security Plan – BSP) begonnen haben, um die Gewalt einzudämmen. UNAMI moniert, dass das irakische Gesundheitsministerium keine Zahlen mehr über die gewaltsam Getöteten geliefert habe. Zudem wird kritisiert, dass den über 3.000 Menschen, die während der Sicherheitsoperation festgenommen wurden, ihre fundamentalen Rechte nicht gewährt werden. Die Sicherheitsoperation habe sogar Menschenrechtsverletzungen begünstigt, da viele Personen „verschwunden“ seien und Gefangene oft nicht registriert würden.

Im Januar hatte UNAMI im letzten Bericht gesagt, dass 2006 34.400 Menschen im Irak eines gewaltsamen Todes gestorben sind und 36.000 verwundet wurden. Das Büro des Ministerpräsidenten Nouri Maliki hatte daraufhin erklärt, dass die Zahlen falsch und übertrieben seien. UNAMI wandte ein, dass die Zahl auf den Angaben des irakischen Gesundheitsministeriums beruhen. Vermutlich durften deshalb die neuen Zahlen nicht mehr an die UN-Organisation weiter gegeben werden, die die irakische Regierung nun zur Offenheit auffordert und scharf zurückweist, dass man die Zahlen manipuliert habe. UNAMI-Mitarbeiterin Ivana Vuco sagte auf einer Pressekonferenz in der Green Zone, dass diese Zahlen „wahrscheinlich die am genauesten überprüften“ seien. Das Innenministerium habe zwar am 1. März mitgeteilt, dass im Februar 1.646 getötet worden seien, allerdings wisse man nicht, auf welcher Grundlage die Zählung erfolgt sei.

Ohne genaue Angaben für das erste Vierteljahr 2007 kann die UN-Organisation jetzt nur berichten, dass trotz der weiter stattfindenden Sicherheitsoperation in Bagdad die Gewalt weiterhin ein schwerwiegendes Problem ist. Im Februar und März, so die indirekte Kritik an der vor allem auf Druck der US-Regierung durchgeführten Sicherheitsoperationen, seien zahlreiche Zivilisten in sunnitischen und schiitischen Wohngebieten zu Opfern der andauernden Kämpfe in Bagdad, aber auch in zahlreichen anderen Städten geworden. Die Regierung habe zwar behauptet, dass die Zahl der Getöteten ab Mitte Februar zurückgegangen sei, aber im März habe es auch in Bagdad wieder mehr berichtete Todesfälle gegeben. Zudem sei die Zahl der Entführungen hoch geblieben.

Die UN-Organisation verweist auf die zahlreichen Taten von „Aufständischen und unterschiedlichen bewaffneten Gruppen“, die mit Anschlägen und gezielten Tötungen Verbrechen an Zivilisten, Sicherheitskräften und Regierungsangestellten begangen haben. Religiöse Extremisten und bewaffnete Gruppen bedrohen im ganzen Land Journalisten, Angehörige von religiösen und ethnischen Minderheiten sowie bestimmte Berufsgruppen wie Akademiker und greifen sie an. 12.000 Ärzte haben bereits das Land verlassen, 2.000 wurden getötet. Die Meinungsfreiheit werde so immer weiter eingeschränkt. Angriffe auf Lehrer und Professoren, auf Schulen und Universitäten gefährden die Ausbildung. Journalisten werden aber auch von den Sicherheitskräften angegriffen oder willkürlich festgenommen. Der Bericht verweist dabei vor allem auf die kurdischen Gebiete. Auch die Gewalt gegen Frauen nehme zu.

Gerade angesichts dieser „enorm schwierigen Situation“ sei es wichtig, dass die irakische Regierung sich an die Zusicherungen halte, die Menschenrechte auf der Grundlage der internationalen und nationalen Verpflichtungen einzuhalten. Es habe zwar einige Fortschritte gegeben, doch gebe es zahlreiche Mängel, das Leben und die Würde aller Iraker zu schützen. Schutz und Förderung der Menschenrechte müssten die Grundlage der staatlichen Bemühungen um eine friedliche Versöhnung und Herstellung von Stabilität im Irak sein, in dem weiterhin Straflosigkeit herrsche und Recht und Ordnung zusammengebrochen seien.

Nach dem Bericht wurden alleine in Bagdad zwischen dem 1. Januar und dem 31. März 3.000 Menschen festgenommen und eingesperrt, ohne dass ihre grundlegenden Rechte beachtet wurden. Insgesamt befinden sich etwa 20.000 Menschen im ganzen Irak in irakischen und fast 18.000 Personen in amerikanischen Gefängnissen, meist ohne Anklage und ohne Prozess. Viele sind oft lange Zeit in den überfüllten Gefängnissen, in denen die Menschen nicht angemessen behandelt werden. Zudem, so der Bericht, fehle es grundsätzlich an einer rechtlichen Kontrolle der Sicherheitsorgane. Die Praxis der unbegrenzten Haft in den Gefängnissen der Koalitionstruppen wird mit Sorge betrachtet. Besonders schlimm sei die Situation in den kurdischen Gebieten.

Düster wird auch die gesamte Situation gemalt. Die humanitäre Situation im Land verschlechtere sich weiter schnell. 8 Millionen Menschen seien gefährdet und auf Hilfe angewiesen, vier Millionen auf Versorgung mit Lebensmitteln. Akute Unterernährung hat sich zwischen 2003 und 2005 verdoppelt. 54 Prozent der Iraker müssten von weniger als einem Dollar am Tag leben, 60 Prozent der Menschen sind arbeitslos. Nur 32 Prozent haben Zugang zu Trinkwasser. Die medizinische Versorgung ist schlecht. Über 700.000 Menschen sind seit Februar 2006 aus ihren Wohnorten geflohen, alleine 200.000 seit Dezember 2006. In Bagdad haben 120.000 Menschen aus Angst vor der Gewalt ihre Wohnung verlassen und sind in andere Stadtteile umgesiedelt, wo sie aber oft auf die Bereitstellung von Unterkünften und Versorgung angewiesen sind. Damit setzt sich die ethnische Säuberung in der Hauptstadt fort und es gibt innerhalb des Irak um die zwei Millionen Flüchtlinge, die oft nur schlecht versorgt sind. Aus dem Land sind weitere zwei Millionen geflohen. Die meisten Flüchtlingen, die im Land bleiben (müssen), suchen in homogen bevölkerten Regionen im Süden oder im Zentrum des Landes Schutz. Dreiviertel der neuen Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Allerdings haben bereits einige lokale Verwaltungen wie in Nadschaf oder Kirkuk den weiteren Zuzug von Flüchtlingen beschränkt.