Der Teufel frisst die Populisten

An der Abtreibungsfrage zeigt sich die tiefe Gespaltenheit der polnischen Gesellschaft in Religiös-Konservative und Liberale

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Am 13. April lehnte das polnische Parlament eine Verfassungsänderung ab, die ein absolutes Abtreibungsverbot zur Folge hätte. Dem Ganzen ist ein wochenlanger „Krieg“ zwischen Radio Maryja und der Liga Polnischer Familien (LPR) gegen die PiS vorausgegangen. Als der einzige Sieger des bisherigen Streits, trotz der Abstimmungsniederlage, kann nur Radio Maryja bezeichnet werden, das seit einer Woche einen neuen potentiellen politischen Partner hat. Denn aufgrund der Niederlage der PiS verlor die Kaczynski-Partei den bisherigen Parlamentspräsidenten Marek Jurek, der noch am selben Tag seinen Rücktritt als Sejmmarschall und den Austritt aus der Partei erklärte, und die LPR bekam neue politische Konkurrenz. Gemeinsam mit fünf anderen bisherigen Abgeordneten der PiS gründete Jurek eine neue christlich-konservative Partei. Diese Entwicklung könnte eine Schwächung der Partei und der bisherigen Regierungskoalition nach sich ziehen. Gleichzeitig zeigt sich, wie gespalten die polnische Rechte ist.

Freunde waren Tadeusz Rydzyk, der Herr über "Radio Maryja", und die Brüder Kaczynski nie. Aufgrund ihrer politischen Haltung konnte man dieses Trio aber durchaus als Brüder im Geiste bezeichnen. Die tiefe Abneigung gegen den Kommunismus und deren alte Eliten, gegen liberale politische Strukturen sowie der Wunsch nach einem neuen Polen, das die Kaczynskis die „Vierte Republik“ nannten, schufen ein erfolgreiches Zweckbündnis. Im Wahlkampf 2005 stellte Rydzyk den nationalkonservativen Brüdern sein Medienimperium zur Verfügung, damit sie ihre politischen Parolen verbreiten konnten. Nach ihrem Wahlerfolg unterstützte er ihre Regierungspolitik. Im Gegenzug machten die Kaczynskis die erzkatholische Presse des Redemptoristenpfarrers zur inoffiziellen Regierungsmedien, die dadurch einen noch größeren Einfluss auf die politische Szene des Landes nehmen konnten.

Doch nun hat dieses Bündnis tiefe Risse bekommen, die für die Partei der Zwillingsbrüder schlimme Folgen haben könnte – sechs bisherige PiS-Abgeordnete, allen voran der ehemalige Parlamentspräsident Marek Jurek, der schon am Wochenende seinen Austritt aus Recht und Gerechtigkeit verkündete, verließen die PiS-Fraktion und gründeten eine neue christlich-konservative Partei, die Rechte der Republik. Dem ist eine geplante Verfassungsänderung vorausgegangen, welche ein absolutes Abtreibungsverbot zur Folge hätte, die am 13. dieses Monats im polnischen Parlament scheiterte.

Polen hat schon heute, neben Irland und Malta, eines der schärfsten Abtreibungsgesetze in Europa. Seit 1993 darf östlich der Oder nur in Ausnahmefällen wie Vergewaltigung, Inzest oder einer Gefährdung des Lebens der Schwangeren, eine Abtreibung durchgeführt werden. Es ist eine restriktive Gesetzgebung, die nach den Wünschen der Abtreibungsgegner Früchte trug. Während im sozialistischen Polen den Frauen Abtreibungen problemlos erlaubt waren und diese auch in hohen Zahlen durchgeführt wurden, sank die Zahl der legalen Schwangerschaftsabbrüche seit der Verschärfung des Gesetzes enorm – 2005 wurden zum Beispiel nur noch 225 legale Abtreibungen durchgeführt.

Diese Politik hat auch Opfer zu beklagen. Der bekannteste Fall ist der von Alicja Tysiac. Im Jahr 2000 wurde ihr eine Abtreibung verweigert, obwohl Ärzte ihr bescheinigten, nach der Geburt das Augenlicht zu verlieren. Für einen illegalen Schwangerschaftsabbruch, deren Zahl auf jährlich ca. 200.000 geschätzt wird, fehlte Tysiac das Geld. Heute lebt sie von einer kleinen Rente und ist so gut wie erblindet.

Spaltung der Konservativen durch die Forderung nach einem absoluten Atreibungsverbot

Erzkatholischen Kreisen reichte das bisherige Abtreibungsgesetz nicht aus. Seit 1993 organisieren diese Gruppen immer wieder Kampagnen, die für ein absolutes Abtreibungsverbot werben. Dabei sind Ausstellungen in Kirchen, in denen zur Abschreckung abgetriebene Föten gezeigt werden, noch die harmloseste Form. Es gab auch Demonstrationen vor Krankenhäusern, bei denen Beschimpfungen und Drohungen gegen Frauen und Ärzte ausgesprochen wurden. Manche Gynäkologen erhielten gar Morddrohungen. Doch all diese Kampagnen führten zu keinem Ergebnis. Alle bisherigen Regierungen hatten kein Interesse an der Einführung eines absoluten Abtreibungsverbots.

Im November letzten Jahres startete die kleine ultrakatholische Regierungspartei Liga Polnischer Familien nun einen erneuten Versuch, in Polen Schwangerschaftsabbrüche unmöglich zu machen. Die Partei des wegen seiner homophoben Aussagen bekannten Bildungsministers Roman Giertych (Auf zum Kampf gegen "homosexuelle Propaganda") stellte im Parlament einen Antrag auf Änderung der Verfassung, zu der eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich wäre. Doch zuerst stieß dieser Antrag auf wenig Beachtung, obwohl einige Abgeordnete der PiS, darunter auch der Sejmmarschall Marek Jurek, die LPR bei ihrem Versuch unterstützten, ein absolutes Abtreibungsverbot einzuführen. Aber erst als am 8. März dieses Jahres, pünktlich zum Frauentag, die Ehefrau des polnischen Präsidenten Maria Kaczynska, dessen Präsidialamt auch eine Verfassungsänderung zu dem Thema ausgearbeitet hat, 50 Journalistinnen in den Präsidentenpalast einlud und dabei eine Petition gegen eine Verfassungsänderung unterzeichnete, gewann der Fall an politischer Brisanz, die erneut die Spaltung innerhalb der polnischen Rechten offenbarte.

Tadeusz Rydzyk reagierte sofort auf das Treffen der polnischen First Lady mit den Journalistinnen. „Ich bin darüber brüskiert, dass in den Präsidentenpalast Journalisten eingeladen wurden, die gegen positive Veränderungen in Polen sind, die sich zynisch verhalten und euch attackieren. Das, was heute geschah, war ein Skandal, anders kann man das auch nicht nennen“, sagte er im Radio Maryja und richtete sich dabei an die Partei der Brüder Kaczynski. Lech Kaczynski fühlte sich durch diesen Angriff auf seine Frau sofort beleidigt und verlangte eine Entschuldigung von Tadeusz Rydzyk. Doch anstatt einer Entschuldigung mobilisierte dieser seine Medien Radio Maryja, die Tageszeitung Nasz Dziennik und den TV-Sender Trwam, um einen „Privatkrieg“, wie die polnische Presse Rydzyks Kampagne nannte, gegen die PiS zu starten. Beispielsweise schimpfte der Geistliche persönlich im Studio des Radiosenders auf den Sejmmarschall Jurek ein, der sich selber als konservativen Katholiken bezeichnet, und drohte ihm mit dem „Zorn des Volkes.“

Die Liga Polnischer Familien, die seit einem Jahr mit schlechten Umfrageergebnissen zu kämpfen hat, sprang auf diesen Zug auf und verschärfte ihre Forderungen. Neben einem absoluten Abtreibungsverbot forderte sie plötzlich auch ein Verbot der Euthanasie. Der polnische Premier Jaroslaw Kaczynski warf seinem Koalitionspartner darauf „politisches Kalkül“ vor.

Am 28. März sollte das Parlament das erste Mal über die Verfassungsänderung entscheiden. Begleitet wurde die Plenarsitzung von zwei großen Kundgebungen in Warschau. Während vor dem Sejm Anhänger von Radio Maryja protestierten – eine Armee von über 70-Jährigen mit Transparenten und Heiligenbildchen bewaffnet, wie die polnische Schriftstellerin Dorota Maslowska spöttisch bemerkte –, fand zeitgleich am Platz der Verfassung eine Demonstration von Gegnern der Verfassungsänderung statt. „Stoppt die Fanatiker“, womit Giertych und Rydzyk gemeint waren, war das Motto dieser Kundgebung, zu der von Oppositionsgruppen und Frauenrechtsorganisationen aufgerufen wurde. Unterstützt wurde diese Demonstration auch von vielen Intellektuellen, unter anderem von der Literaturnobelpreisträgerin Wislawa Szymborska. Dieser Tag symbolisierte wie kaum ein anderer in den letzten Jahren, wie gespalten die polnische Gesellschaft zwischen Konservativen und Liberalen, Stadt- und Landbevölkerung, Jung und Alt ist. Eine Spaltung, die sich auch in den Meinungsumfragen widerspiegelt: auch hier gibt es keine klare Mehrheit für oder gegen die Abtreibung.

Niederlage im Parlament

Der Sejm zeigte sich an dem 28. März genauso gespalten wie die polnische Gesellschaft und verschob die Abstimmung um zwei Wochen. Am Freitag, den 13. April, sollten nun die Abgeordneten des Sejm über insgesamt fünf Entwürfe für die geplante Verfassungsänderung entscheiden. Zwei Entwürfe stammen von der LPR, die ein absolutes Abtreibungsverbot zur Folge hätten, zwei von dem Präsidenten, die eine zukünftige Liberalisierung des aktuellen Abtreibungsgesetzes unmöglich gemacht hätten, sowie ein Kompromissvorschlag des Parlaments. Zur Überraschung aller wurde vom Sejm kein einziger Vorschlag angenommen.

Für den polnischen Premier Jaroslaw Kaczynski war dieses Ergebnis eine herbe Niederlage, denn selbst die Vorschläge seines Zwillingsbruders und Staatspräsidenten wurden von der eigenen Partei abgelehnt – was sich durch die Aufhebung der Fraktionsdisziplin erklären lässt. Noch herber muss aber der Druck sein, der seit diesem Freitag sowohl inner- wie auch außerparteilich auf Jaroslaw Kaczynski lastet.

Noch abends trat Marek Jurek von seinem Amt als Parlamentspräsident zurück. Kurz darauf verkündete dieser seinen Austritt aus der PiS. Damit zog Jurek Konsequenzen aus der Niederlage im Sejm, da er sich persönlich für eine Verfassungsänderung eingesetzt hatte. Neben dem Austritt Jureks dürfte für die PiS vor allem aber die Solidarisierung weiterer PiS-Abgeordneter mit Jurek problematisch werden. Sofort tauchten in Warschau Gerüchte auf, diese könnten ebenfalls die Regierungspartei verlassen und eine neue Partei und Fraktion im Sejm bilden, mit Jurek, der seinen Austritt mit dem Mangel katholischer Werte in der Kaczynski-Partei begründete, an der Spitze. In der polnischen Presse kursiert mittlerweile eine Liste mit 16 PiS-Parlamentariern, die Jurek folgen wollen. Nach polnischem Recht könnte diese Gruppe auch sofort eine Fraktion im Sejm bilden, da dazu 15 Sitze Voraussetzung sind.

Zusammen mit fünf anderen bisherigen Abgeordneten der PiS stellte sich Jurek letzte Woche der Presse und verkündete die Gründung einer neuen Partei, die unter dem Namen „Die Rechte der Republik“ auftreten wird. Neben dem Namen verkündeten die Gründer der neuen Partei auch, dass weitere Abgeordnete der PiS an einen Übertritt denken. Was man von der Partei ansonsten zu erwarten hat, kann noch nicht gesagt werden. Fest steht nur, dass sie sich als eine christlich-konservative Partei bezeichnet. Der Presse von Tadeusz Rydzyk reichte diese Umschreibung jedenfalls aus, um die Neugründung zu bejubeln. „Diese Politiker sind für das Leben“, titelte Nasz Dziennik. Somit wird klar, dass Rydzyk diese Gruppierung als einen potentiellen Partner für seine Ziele ansieht, der bei der Wählerschaft auf Resonanz trifft. Wie eine Umfrage der Zeitschrift Wprost ergab, könnte die neue Gruppierung bei Wahlen 10 Prozent erreichen. Dieses Ergebnis zeigt auch, wie gespalten die polnische Rechte ist, während die Linke immer noch vor sich hindümpelt.

Regierungskoalition gefährdet

Besonders betroffen von der neuen Konkurrenz ist auch die ultrakatholische LPR, die bereits angekündigt hat, auch weiterhin für ein absolutes Abtreibungsverbot kämpfen zu wollen. Nicht ohne Kalkül, ihre Umfrageergebnisse sind schlechter als die von der „Rechten der Republik“, und welche Konkurrenz ihr da wachsen könnte, müssen Giertych & Co. sofort erkannt haben. Seit zwei Wochen übt die LPR pausenlos Druck auf ihren großen Koalitionspartner aus und gefährdet somit den Koalitionsfrieden. Wojciech Wierzejski veröffentlichte auf seiner Internetseite, zwei Tage nach der Abstimmung, eine Liste mit 94 PiS-Abgeordneten, die gegen die Verfassungsänderung gestimmt haben – mit der populistischen Überschrift Sie stimmten gegen das Leben. Innerhalb der PiS sorgte diese Liste für sehr viel Unruhe, da eine der an den Pranger gestellten Abgeordneten wegen eines Krankenhausaufenthalts gar nicht an der Abstimmung teilnehmen konnte. Doch dies stört Wierzejski und seine Parteifreunde wenig. Seit Anfang der letzter Woche kann man auf der Internetseite der Partei die Namen aller Abgeordneten nachlesen, die gegen die Verfassungsänderung waren.

Was aus der Regierung Kaczynski wird, kann momentan nicht gesagt werden. Premierminister Kaczynski, der am Freitag Ludwig Dorn als neuen Parlamentspräsidenten durchsetzte, kann wie die Regierungen zuvor die Krise aussitzen, womit er nach den vielen Skandalen der letzten Monate auch Erfahrung hat, um sich dann bei dem nächsten Urnengang abwählen zu lassen, oder er zieht dem eine Neuwahl vor. Dementsprechende Stimmen kamen schon aus seiner Partei, die die Neuwahlen mit dem Austritt Jureks und seiner Anhänger, sowie dem Verhalten der Koalitionspartner begründeten. In der nächsten Zeit dürften die Zwillingsbrüder Kaczynski jedenfalls öfter an Tadeusz Rydzyk denken. „Auch im Sejm regiert der Teufel“, kommentierte der machtbewusste Priester die Entscheidung im Parlament. Die Kaczynskis müssen sich aber fragen, ob sie sich mit Rydzyk nicht den Teufel persönlich ins Haus geholt haben, der ihrer Politik nun Schaden zufügt.