Die EU ist "der weltweit größte sichere Unterschlupf für Terroristen"

Mit der Überführung von Abd el-Hadi aus CIA-Haft nach Guantanamo soll das heimliche Entführungsprogramm noch einmal legitimiert werden, CIA-Direktor Michael Hayden geht, sichtlich nervös, mit harten Vorwürfen gegen Kritiker vor

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Ganz neu war das Thema der Verschleppungen oder der extralegalen Entführungen (extraordinary rendition) durch Geheimdienste nicht nach dem 11.9. Unter Bill Clinton startete 1996 das zunächst von Michael Scheuer geleitete Programm der CIA, Osama bin Laden zu jagen und al-Qaida zu bekämpfen. Hier wurde die Idee ausgebrütet, verdächtige Terroristen festzunehmen und sie zum Verhör anderen Ländern auzuliefern (rendition). Der erste Fall dürfte 1995 Talaat Fouad Qassem gewesen sein, den die CIA in Zagreb festnahm und nach Ägypten überstellte. Nach dem 11.9. wurde das Projekt unter dem Titel des "High Value Detainee"-Programms erweitert. Mit der Losung von Vize-Präsident Cheney, dass man sich beim Kampf gegen den Terrorismus auch die Hände schmutzig machen müsse, wurden im Ausland Verschleppte nicht nur Ländern übergeben, die es nicht so genau mit Menschenrechten und dem Rechtsstaat nahmen, sondern schließlich auch in eigenen Gefängnissen in Afghanistan, im Irak, in Diego Marcia oder in Guantanamo eingesperrt und mit den von Bush so genannten "kreativen Verhörmethoden" befragt. Gerade wurde wieder mit Abd al-Hadi al-Iraqi ein angeblich hoher al-Qaida-Angehöriger nach Guantanamo gebracht, der seit letztem Jahr von der CIA festgehalten und verhört wurde. Bush hatte nach der Überstellung von 14 al-Qaida-Mitgliedern, darunter Chalid Scheich Mohammed (KSM), nach Guantanamo im September 2006 erstmals die Existenz von CIA-Gefängnissen eingeräumt, aber nicht gesagt, wo sie sich befinden und wie viele Personen dort noch festgehalten werden (US-Präsident Bush bestätigt und rechtfertigt die geheimen CIA-Gefängnisse und die Verhörmethoden.

In den meisten Ländern wurde an der Entführungs- und Auslieferungspraxis keine Kritik geübt, schließlich ging man mit den eigenen Gefangenen auch nicht zimperlich um. In Europa aber wurde, nachdem erste Fälle bekannt wurden, heftige Kritik laut. Zwar wusste man auch hier, dass die Länder, die sich an der Koalition der Willigen beteiligten, aber vermutlich auch die übrigen entweder die Entführungen duldeten oder sie unterstützten, aber Medien, Bürgerrechtler und Abgeordnete brachten das Thema an die Öffentlichkeit. Schließlich wurden die bekannten Vorfälle vom Europarat und vom Europäischen Parlament untersucht. Nachdem die europäischen Regierungen abblockten, kam bei den Berichten nicht viel heraus, Beweise für deren Beteiligungen wurden nicht bekannt. Immerhin haben italienische und deutsche Gerichte Verfahren gegen CIA-Agenten eingeleitet und Haftbefehle ausgeschrieben. Ansonsten duckten sich die in Europa Verantwortlichen mit dem inzwischen aufgegangenen Kalkül weg, dass bald niemand mehr nachfragen wird.

George Tenet, Direktor der CIA von 1997 bis 2004, verteidigte auch nachträglich zur Veröffentlichung seines Buches die Praxis des Verschleppens. 2004 musste Tenet, der ausgerechnet Professor für Diplomatie ist, wegen der von der US-Regierung verbreiteten falschen Informationen über den Irak zurücktreten, um als Sündenbock Präsident Bush zu retten, was er nun der Öffentlichkeit deutlich machen will (Mediale Entlastungsmanöver für die Bush-Regierung). Jetzt erklärt er aber weiterhin, dass das Verschleppungsprogramm mitsamt den verbesserten Verhörtechniken (enhanced interrogation techniques), wie es im Neusprech des Weißen Hauses heißt, wertvollere Informationen als alle andere Maßnahmen der Sicherheitsdienste erbracht habe. Man habe Menschenleben gerettet und Anschläge verhindert, sagte er, ohne genauer zu werden. Gefoltert habe man nicht, wehrt Tenet nicht sehr glaubwürdig, aber aus eigenem Interesse ab.

"We’ve taken another bad individual off the streets"

Mit der vom Pentagon verkündeten Überstellung von Abdul al-Hadi al-Iraqi aus CIA-Gefangenschaft nach Guantanamo rückt die Entführungspraxis noch einmal in den Blickpunkt. Der aus dem Irak stammende Abd el-Hadi war nach der Darstellung des Pentagon ein Vertrauter Osama bin Ladens und einer der wichtigsten Kommandeure in Afghanistan, der zwischen 2002 und 2004 für zahlreiche Angriffe auf Koalitionstruppen in Afghanistan verantwortlich gewesen sein, ein Attentat auf den pakistanischen Präsidenten geplant haben und auch für Aktivitäten von al-Qaida in Europa zuständig gewesen sein soll. Die Briten verbinden ihn beispielsweise mit den Anschlägen vom 7. Juli in London.

Wann und wo genau el-Hadi von der CIA festgenommen wurde, teilte man nicht mit. Man habe ihn auf dem Weg in den Irak ergriffen, wo er angeblich die Nachfolge des getöteten al-Sarkawi übernehmen sollte. Jedenfalls muss er bereits einige Zeit in einem der geheimen CIA-Gefängnisse gewesen und dort "verhört" worden sein. Die Überstellung soll der Bush-Regierung vermutlich dazu dienen, das umstrittene CIA-Programm noch einmal zu rechtfertigen. Bryan Whitman, ein Sprecher des Pentagon, machte dies deutlich:

What’s important here, I think, is that we’ve taken another bad individual that wants to do harm not only to coalition forces and the United States, but our allies around the world, off the streets, and is no longer able to plan, conduct and coordinate attacks.

Möglicherweise soll el-Hadi auch den Iran ins Spiel bringen. Angeblich habe er sich im Iran mehrmals mit anderen al-Qaida-Mitgliedern getroffen. Gerüchteweise heißt es auch, er sei an der Grenze vom Iran zum Irak festgenommen worden. Allerdings hat das schiitische Regime keine Nähen zur sunnitischen al-Qaida, auch wenn von amerikanischer Seite immer wieder wie zuvor Saddam Hussein versucht wurde, al-Qaida und Iran zusammenzubringen (Iran destabilisieren, Faster. Please?).

CIA-Direktor Michael Hayden nutzte die Gelegenheit und sprach in einer E-Mail von einem großen Sieg. Die CIA habe bei der Ergreifung eine wichtige Rolle gespielt. Und er versicherte noch einmal, was auf gewisse Nervosität hinweist und mit dem absehbaren Abgang der Bush-Regierung zu tun haben könnte, dass alles, was mit dem Entführungsprogramm, den Gefängnissen und den Verhören der CIA zu tun hat, ganz in Übereinstimmung mit den Gesetzen stünde und von der Regierung gebilligt worden sei. Auch jetzt hatten Menschenrechtsorganisationen wieder den Verdacht geäußert, dass el-Hadi gefoltert worden sein könnte. Wie es um die Rechtmäßigkeit des gesamten Programms steht, ist auch in den USA umstritten. CIA-Agenten werden bereits mit Haftbefehlen von Europa au gesucht, was die CIA-Mitarbeiter ebenso beunruhigen dürfte wie denkbare Überprüfungen, falls ein demokratischer Präsident ans Ruder kommen sollte.

"Die effektivste Antiterroroperation, die jemals von einer US-Regierung durchgeführt wurde"

Ein kleines transatlantisches Nachspiel hatten die Verschleppungen und Foltervorwürfe aber schon kurz davor, als das Thema vom Außenpolitischen Ausschuss des Repräsentantenhauses in einer Anhörung noch einmal aufkam. Den Vorsitz haben die oppositionellen Demokraten, anders wäre es nicht zustande gekommen, dass Mitglieder des Europaparlaments - Jonathan Evans, Claudio Fava und Baroness Sarah Ludford sowie Julianne Smith vom britischen Center for Strategic and International Studies – den vom EU-Parlament beauftragten Bericht (Mehrere EU-Länder haben CIA-Verschleppungen akzeptiert und verschleiert) noch einmal vorstellen und Kritik an der US-Regierung sowie an den eigenen Regierungen üben konnten. "Als Gesetzgeber", so Evans, "waren wir ausgeschlossen." Julianne Smith sprach davon, dass die Entführungen "einen dunklen Schatten auf unsere Beziehungen mit den europäischen Alliierten gelegt" haben.

Die Kritik am CIA-Entführungsprogramm wollte der jetzige CIA-Direktor aber nicht stehen lassen. Er verteidigte nicht nur das Programm, sondern schoss auch scharf zurück. Erstaunlich ist, dass die unverblümten Äußerungen Michael Haydens, der zuvor Direktor der NSA gewesen war, nicht einmal von den europäischen Medien zur Kenntnis genommen wurden. Immerhin hatte er in der Anhörung am 17. April nicht nur die Entführungen in höchsten Tönen gerechtfertigt ("die effektivste einzelne Antiterrorismusoperation, die jemals von den USA durchgeführt wurde"), sondern auch Europa vorgeworfen, ein "sicherer Hafen" für Terroristen zu sein, die hier in Ruhe ihre Terrorpläne schmieden könnten.

Hayden versuchte, die ganze Verantwortung der Regierung zuzuschieben und für die CIA eine Absolution zu erwirken. Interessant an seinen Ausführungen sind nicht nur manche Details, sondern auch die Einstellung dieses Geheimdienstmannes, der alles zu machen bereit ist und für den Menschenwürde und Menschenleben keinen besonderen Wert darstellen, wenn es um den Job geht. Nach Hayden habe Präsident Clinton 1995 das Entführungsprogramm angeordnet, das sich gegen al-Qaida und andere sunnitische Terroristen richtete. Ziel sei es gewesen, "Menschen auszuschalten, die Anschläge gegen die USA oder ihre Alliierten planen oder an Anschlägen beteiligt waren".

Ansonsten sei es bei deren Ergreifung nur darum gegangen, Dokumente oder Dateien zu erhalten, um an weitere Informationen heranzukommen. An Verhöre habe man unter Clinton nicht gedacht, weil diese ohne Anwesenheit von CIA-Agenten von ausländischen Geheimdiensten ausgeführt werden und möglicherweise die Gefangenen gefoltert werden. Aus beiden Gründen hätte man sich dann auf die so erhaltenen Informationen nicht verlassen können. Zudem sei das Programm sehr eingeschränkt gewesen, weil man nur Menschen ergreifen konnte, auf die von einem Land ein Haftbefehl vorlag, an das man die Gefangenen dann auslieferte, wenn die Regierung zudem versicherte, die Gefangenen nach ihren eigenen Gesetzen zu behandeln, was, so Hayden, natürlich "kein Problem" war. Wie die Gefangenen dann behandelt wurden, wisse er nicht, er würde sich aber nicht wundern, wenn dies nicht nach US-Maßstäben erfolgte:

Aber das ist keine keinerlei Problem, da es das Ziel des Rendition-Programms war, Amerika zu schützen und die den Regierungen im Mittleren Osten ausgelieferten Kämpfer jetzt entweder tot oder an Orten sind, von denen aus sie Amerika keinen Schaden zufügen können. Mission erfolgreich beendet, wie man sagt.

Michael Hayden

Aufgrund der Einschränkungen habe man aber viele gefährliche al-Qaida-Mitglieder vor dem 11.9. nicht fangen können.

Nach dem 11.9. seien die Ziele gleich geblieben, aber die CIA konnte nun selbst festlegen, welche Menschen als "al-Qaida-Führer" oder als gefährlich für die USA gelten, um sie dann festzunehmen, was das Programm "effektiver" gemacht habe. Zudem blieben die meisten Entführten im Gewahrsam der USA und konnten verhört werden – ganz nach den Richtlinien, die so Hayden, von Regierungsjuristen ausgearbeitet, von der Regierung gebilligt und mindesten vier Abgeordneten der beiden Geheimdienstauschüsse vorgelegt worden seien.

Hayden versicherte, dass nach seinem Wissen kein einziger Mensch jemals von CIA-Mitarbeitern entführt worden sei. Behauptungen wie die der italienischen Staatsanwaltschaft im Fall von Abu Omar seien Lügen oder falsch. Für jede "rendition" habe man ein Heer an Juristen der CIA, aber auch des National Security Council oder Justizministeriums hinzugezogen, die der schriftlichen Begründung und Darlegung der Informationen zustimmen mussten. Kein einziger der "al-Qaida-Führer" sei auf bloßen Mutmaßungen von CIA-Mitarbeitern festgenommen worden, wie Medien und "solche bedauernswerten Politiker wie die Senatoren McCain, Rockefeller, Graham und Levin" behauptet und damit CIA-Mitarbeiter angegriffen hätten, die "ihre Leben riskiert haben, um Amerika nach den direkten Anordnungen von zwei US-Präsidenten und unter vollem Wissen der Geheimdienstausschüsse des US-Kongresses zu schützen". Allerdings könne es immer Fehler geben, Geheimdienstinformationen würden nie gerichtsfest sein:

Wenn Fehler gemacht wurden, dann kann ich nur sagen, das ist hart, aber der Krieg ist ein hartes und verwirrendes Geschäft … Das Rendition-Programm einzustellen, weil ein oder zwei Fehler gemacht wurden, würde bedeuten, den Schutz der Amerikaner korrupten und preisgierigen Journalisten wie Frau Priest, effekthascherischen Politikern wie den zuvor erwähnten, und kraftlosen, scheinheiligen Europäern zu opfern, die noch den kleinsten Schutz nehmen, der ihnen von den Amerikanern angeboten wird, während sie in der Öffentlichkeit diejenigen verurteilen und mit Gefängnis bedrohen, die ihr Leben riskieren, um den Schutz zu gewährleisten.

Michael Hayden

Dana Priest hatte in der Washington Post im November 2005 erstmals auf mögliche CIA-Geheimgefängnisse in Europa hingewiesen (Geheimgefängnis der CIA in Polen oder Rumänien?) und damit der US-Regierung und ihren europäischen Verbündeten (Die CIA betreibt in über 20 Ländern geheime Operationszentren) erhebliche Probleme bereitet. Priest erhielt dafür 2006 einen Pulitzer-Preis. In typischer Geheimdienstmanier schätzt Hayden natürlich die Arbeit von investigativen Journalisten nicht, die aufdecken, was an fragwürdigen oder gesetzeswidrigen Aktivitäten hinter dem Rücken der Öffentlichkeit geschieht. Noch weniger mag der Geheimdienstchef allerdings offenbar die Europäer, vor allem wohl, nachdem italienische und deutsche Staatsanwaltschaften Haftbefehle für CIA-Agenten ausgeschrieben haben und die Praxis in dem Bericht des europäischen Parlaments gerügt wurde. Bei der Anhörung erklärte Hayden:

Es ist seltsam, dass europäische Politiker heute hier sind, um sich über erfolgreiche und die Sicherheit verbessernde Antiterrormaßnahmen der US-Regierung zu beklagen, während ihre EU dem weltweit größten sicheren Unterschlupf für Terroristen vorstehen und dies bereits seit einem Vierteljahrhundert. Die EU-Politik, nach der sich politisches Asyl einfach erhalten lässt, und das Verbot, gesuchte oder verurteilte Terroristen in ein Land mit Todesstrafe auszuliefern, haben Europa zu einer großen, konsistenten und unverletzlichen Quelle terroristischer Bedrohungen für die USA gemacht.

Michael Hayden