Somalia im Schatten der Aufmerksamkeit

Die nicht demokratisch legitimierte Regierung hat mit der Hilfe der USA und der äthiopischen Armee die Rebellen vorläufig besiegt, aber ein Ende des Konflikts ist nicht in Aussicht

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Nach neuntägigen Kämpfen herrschte am Freitag endlich wieder Ruhe in Somalias Hauptstadt Mogadischu Bereits am Donnerstag hatte der Premierminister der somalischen Interimsregierung, Ali Mohamed Gedi, den Sieg über die Rebellen der „Union Islamischer Gerichte“ (ICU) verkündet. An ein Ende des Widerstands der ICU gegen die Regierung, die von einer äthiopischen Invasionsarmee und den USA militärisch unterstützt wird, glaubt allerdings niemand.

Viele tausend Menschen sind vor den Kämpfen aus Mogadischu geflohen. Bild: UNHCR

Somalia brennt - aber wen interessiert das?, lautete vor wenigen Tagen die Überschrift eines Artikels der Nachrichtenagentur Reuters. Nicht treffender hätte man das Desinteresse der internationalen Medien und Politik am Konflikt am Horn von Afrika beschreiben können. Rund 1.300 Menschen wurden innerhalb eines Monats bei den schlimmsten Kampfhandlungen seit 16 Jahren in Somalia getötet. Etwa 400.000 Flüchtlinge mussten Mogadischu verlassen und hausen meist irgendwo im Freien unter katastrophalen Bedingungen. „Wenn man die Zeitspanne von Februar bis heute nimmt, sagte Stephanie Bunker, die Sprecherin des UN-Hilfswerks, „wurden in Somalia mehr Menschen vertrieben, als irgendwo sonst in der Welt.“ Die Flüchtlingszahlen in Somalia sind höher als die im Irak, Darfur und Sri Lanka.

Im Gegensatz zu anderen Krisengebieten der Welt gibt es keine Versuche der internationalen Staatengemeinschaft, die Kampfhandlungen zu stoppen oder durch koordinierte Hilfsaktionen das Flüchtlingselend zu lindern. Dieses Desinteresse scheint typisch für Afrika zu sein. Man wartet, bis der Konflikt zu Ende ist, und verwaltet danach das Elend. Beispiele gibt es dafür genug und die Namen sprechen für sich: Eritrea, Äthiopien, Ruanda, Darfur oder auch Nigeria. Der schwarze Kontinent ist offensichtlich eine der letzten Spielwiesen, auf der sich die ehemaligen Kolonialländer und neuen Supermächte, nahezu angeachtet der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, austoben können oder ihre jeweiligen lokalen Stellvertreter freizügig gewähren lassen. Somalia, das seit dem Fall des Diktators Mohamed Said Barre im Jahr 1991 keine funktionierende Zentralregierung mehr hat, ist dafür ein Musterbeispiel.

Ein Land ohne Regierung und Zentralgewalt

Fast 16 Jahre lang war das Land am Horn von Afrika ein einziges Desaster. Somalia lag in der Hand von so genannten „Warlords“, die unterschiedliche Gebiete kontrollierten und darin machen konnten, was sie wollten. Ein Land, in dem das Recht des Stärkeren galt, ein Horror für die Zivilbevölkerung, der an unzähligen Straßensperren „Wegzoll“ von oft minderjährigen und unberechenbaren Milizsoldaten abkassiert wurde.

Die USA versuchten im Rahmen der UN-Mission "Retore Hope" militärisch zu intervenieren, mussten aber 1994 erfolglos wieder abziehen. Im Oktober 1993 waren 18 Task Force Rangers getötet und 84 verletzt worden. Ein misslungener Spezialeinsatz, der unter dem Titel Black Hawk Down von Hollywood verfilmt wurde.

In den folgenden Jahren beschränkten sich die USA auf eine eher passive Rolle im Hintergrund. Um ihre Interessen im geostrategisch so wichtigen Land am Golf von Aden zu wahren, unterstützte man die „warlords“, von denen die eigenen Soldaten getötet worden waren. Laut John Prendergast, einem ehemaligen Mitarbeiter der Clinton-Administration, soll die CIA bis heute den „warlords“ Zahlungen bis zu 150.000 Dollar monatlich leisten.

Ein Paradoxon, das sich neben der geopolitischen Strategie durch die Rohstoffvorkommen in Somalia erklären lässt. Nachweisbar sind bisher nur etwa 200 Milliarden Kubikmeter Gasreserven, aber offensichtlich wird wesentlich mehr vermutet, gerade auch an Erdöl. Die US-Ölfirmen Concon, Amoco, Chevron und Phillips hatten sich noch unter dem Diktator Ali Mohamed Barre die Bohrrechte in großen Teilen Somalias gesichert Die aktuelle Interimsregierung Somalias unter Präsident Abdullahi Yusuf, die 2004 bei den Friedensverhandlungen in Kenia eingesetzt wurde, scheint die Rechte der US-Firmen aus dieser Zeit zu berücksichtigen. Man arbeitet mit Jay Park zusammen, ein bekannter kanadischer Anwalt, spezialisiert auf Gas und Öl, um die Rechtsverteilung zu klären. Laut Jay Park sitzt Somalia auf einem der größten Öl- und Gasschätze der Welt.

Karte: CIA

Die "Union der Islamischen Gerichte" gegen die von den USA unterstützten Warlords

Die „Union der Islamischen Gerichte“ (ICU) kam sehr ungelegen, als sie im Juni letzten Jahres die Kontrolle über die Hauptstadt Mogadischu übernahm. Eine islamische Gesinnung und ein anti-imperialistischer Habitus war das Gegenteil von dem, was die USA brauchen konnte. Dass mit der ICU erstmals das Chaos und die Willkür der „warlords“ endete und die Bevölkerung seit 16 Jahren so etwas wie Rechtssicherheit genoss, interessierte niemand. „Plötzlich gab es keine Straßensperren mehr, man konnte das Haus wieder verlassen, ohne Gefahr beraubt oder getötet zu werden“, erzählten Somalis. Der ICU eröffnete wieder Schulen und baute Krankenhäuser.

„Was relativ erfrischend an dieser Gruppe ist“, meint Abdi Samatar, der in Somalia geborene Professor an der Universität von Minnesota, „dass sie nicht interessiert daran sind, eine Regierung zu werden. Sie wollen nur Bedingungen für die Bevölkerung schaffen, die es ihr ermöglicht zu entscheiden, was sie will.“ Der ICU ist keine Partei, sondern eine vielschichtige Bewegung. Die ideologische Palette reicht von Radikalen, die den Dchihad beschwören, bis zu moderaten Führern wie Ibrahim Addow, der an der Amerikanischen Universität studierte und einen US-Pass besitzt.

„Islamische Gerichte“ gab es bereits seit den 1990er Jahren. Damals von den „warlords“ eingesetzt, um Rechtsstreitigkeiten zu schlichten. Polizei oder eine staatliche Justiz existierten zu dieser Zeit nicht. Mit den Jahren erarbeiteten sich diese Gerichte als unabhängige, neutrale Institutionen mehr und mehr Reputation bei der Bevölkerung. 2000 schlossen sich die dezentralen „Islamischen Gerichte“ zur „Union“ zusammen und übernahmen zunehmend öffentliche Dienstleistungen, was das tägliche Leben der Menschen spürbar erleichterte und der Union Zulauf und Unterstützung brachte. 2006 eroberte die ICU Somalia und beendete die Herrschaft der unbeliebten „warlords“, die sie einst ins Leben gerufen hatten (Die zweite Niederlage der USA).

Für die USA war und bleibt die ICU ein Verein von Terroristen. „Unsere Hauptsorge ist“, sagte US-Präsident George W. Bush, "dass Somalia ein sicherer Hafen für al-Qaida wird, wo Terroristen ihre Pläne schmieden.“ Hauptargument dafür sind drei al-Qaida-Mitglieder, die sich in Somalia verstecken sollen und an den Attentaten gegen die US-Botschaften 1998 in Kenia und Tansania beteiligt gewesen sein sollen. Sheik Sharif Ahmed vom ICU dementierte. „Es gibt keine Flüchtlinge von al-Qaida oder einer anderen Organisation, wie US- und äthiopische Geheimdienste behaupten.“

Flüchtlinge in Somalia. Bild: WorldWind

Invasion von Somalia durch äthiopische Truppen

Im Dezember begann die Invasion von Somalia durch Truppen Äthiopiens, das ein enger Verbündeter der USA im „Kampf gegen den Terror“ ist (Äthiopien marschiert in Somalia ein). Seit 2002 erhielt das Land 200 Millionen Dollar an Militärhilfe. „Wir haben eine enges Arbeitsverhältnis“, sagte der Sprecher des Pentagons Leutnant Joe Carpenter. Dazu gehören der Austausch von geheimen Informationen, Waffenhilfe und Ausbildung, die es den Äthiopiern ermögliche, ihre Grenzen zu verteidigen, sowie Terroristen und Massenvernichtungswaffen abzufangen.

Rund 200 CIA- und FBI- Beamte haben ihr Camp im Hotel Sheraton von Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, aufgeschlagen. Dort werden Gefangene verhört, die in Somalia aufgegriffen wurden. Wie viele andere Terrorverdächtige der USA sitzen sie ohne formale Anklage in geheimen Gefängnissen. Anfang Januar flog die US-Luftwaffe mehrere Bombenagriffe auf vermeintliche al-Qaida-Stützpunkte. 19 Menschen kamen dabei ums Leben. Von den anvisierten „Terroristen“ wurde allerdings niemand getroffen (Terror gegen mutmaßlichen Terrorismus). Man wollte deutlich machen, „dass es keinen sicheren Hafen für islamistische Militant gibt“, so der Sprecher des Weißen Hauses in Washington, Tony Snow.

Der Präsident der somalischen Interimsregierung, Abdullahi Yusuf, rechtfertigte die Einsätze der US-Luftwaffe. „Die USA hat das Recht, die Terroristen zu bombardieren, die ihre Botschaften in Kenia und Tansania angegriffen haben.“ Laut Augenzeugenberichten haben US-Truppen zusammen mit äthiopischen Truppen auch am Boden gekämpft. Dabei sollen 15 US-Soldaten von ICU-Milizen gefangen genommen worden und im Austausch gegen das ICU-Mitglied Sheik Sharif Ahmed, den man der Grenze zu Kenia verhaftet hatte, wieder freigekommen ein.

Die Invasion Somalias durch das Nachbarland Äthiopien, eigentlich ein Verstoß gegen das internationale Völkerrecht, brachte niemand auf die Barrikaden. Nicht die internationale Presse, noch den UN-Sicherheitsrat. Offiziell hat die somalische Interimsregierung die äthiopischen Truppen „eingeladen“, ihnen zu Hilfe zu kommen. Einer Regierung, die keinerlei demokratische Legitimation besitzt, 2004 von einer Kommission eingesetzt wurde und seitdem die meiste Zeit aus dem benachbarten Ausland, von Kenia aus, die Regierungsgeschäfte erledigte. Ohne Unterstützung Äthiopiens und der USA würde die Regierung, ohne große Massenbasis, einfach wieder verschwinden. Wie Mitte letzten Jahres, als die ICU ohne größere Probleme das ganze Land unter ihre Kontrolle brachte.

Kritik an den Ereignissen regte sich, als Italien, die ehemalige Kolonialmacht in Somalia, die US-Bombardierung verurteilte. „Wir sind gegen unilaterale Initiativen, die neue Spannungen auslösen“, erklärte Außenminister Massimo d’Alema in Rom. Aber über den Einsatz von US-Truppen am Boden wird kein Wort verloren.

Zurzeit sind in Somalia etwa 8.000 äthiopische Soldaten stationiert. Die Kämpfe in Mogadischu gegen die Milizen der ICU waren diesmal erfolgreich, aber ein Ende der Auseinadersetzungen ist noch lange nicht in Sicht. Der Führer der ICU, Sheik Daher Aweys, hat bereits angekündigt, dass die „Somalis ihren Dschihad gegen die äthiopischen Truppen, die das Land besetzen und unsere Menschenrechte verletzen, nicht beenden werden“. Er rief die Arabische Liga auf, eine Notstandsitzung abzuhalten und Äthiopien zum Truppenabzug zu zwingen.

Wie schon beim Einmarsch der äthiopischen Truppen im Dezember sind auch nach den letzen Kampfhandlungen in Mogadischu die Milizen der ICU einfach untergetaucht. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann und wo sie erneut zuschlagen. An einen Abzug Äthiopiens ist noch lange nicht zu denken. „Das ist wie mit den Amerikanern im Irak“, meinte Beyene Petros, ein äthiopischer Parlamentarier und Kritiker der Invasion. „Ich kann nach den Kämpfen letzter Woche keinen Sieg erkennen.“ In Mogadischu nennen die Bewohner, in Anlehnung an Bagdad, bereits den Norden der Hauptstadt „schiitisch“ und den Süden „sunnitisch“.

Gefahr einer Ausweitung zu einem regionalen Konflikt kann es bei einer stärkeren Einmischung Eritreas geben. Von 1998 bis 2000 lag es mit Äthiopien wegen Grenzstreitigkeiten im Krieg, der über 100.000 Menschen das Leben kostete. Eritrea, das im Norden von Äthiopien am Roten Meer liegt, unterstützt die ICU und soll an sie Waffen liefern.