Brüssels Sündenfall und der Datenschutz bei der modernen Kommunikation

Datenschutz auf der "schiefen Ebene" oder doch eher im freien Fall? Der Stand des Datenschutzes nach dem 21. Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten - Teil 2

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Die geplante und umstrittene Vorratsdatenspeicherung sowie die Änderung des Telemediengesetzes sind nur zwei Beispiele dafür, wie der Datenschutz bei der Kommunikation zwar immer wichtiger wird, andererseits aber auch gerade zur „Wahrung des geistigen Eigentumes“ weiter aufgeweicht wird.

Brüsseler Sündenfall

Schon die Überschrift des Teiles des Tätigkeitsberichtes, der sich mit der Vorratsdatenspeicherung befasst, zeigt deutlich, welche Ansicht Peter Schaar diesbezüglich vertritt. Das „schnellste Gesetzgebungsverfahren in der Geschichte der EU“ (wie der Abgeordnete des Europäischen Parlamentes, Alexander Alvaro, es nennt) und sein Resultat, nämlich die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, kann nach Meinung des Peter Schaar nur unter Berücksichtigung eines starken Datenschutzes überhaupt angegangen werden.

Unter anderem nennt Schaar hier die Zweckbindung der Daten (nur zur Bekämpfung von Terrorismus und schweren Straftaten), die kurze Frist (6 Monate) sowie den Richtervorbehalt. Dass diese Forderungen teilweise schon jetzt nicht mehr berücksichtigt werden zeigt sich am Beispiel der Zweckbindung. Während diese von der Richtlinie noch vorgegeben ist, hat Deutschland in den Umsetzungsbeschluss schon eine Klausel eingebaut, welche die Zweckbindung aufhebt und die Verbindung zur „Wahrung des geistigen Eigentums“ aufzeigt: die Daten sollen auch zur Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung mittels Telekommunikation begangener Straftaten dienen.

Im Zusammenhang mit dem neuen Telemediengesetz und der Richtlinie über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums wird hier deutlich, dass Terrorismus und Kinderpornographie die Türöffner waren für ein Gesetz, welches insbesondere der Musikindustrie ermöglichen soll, leichteren Zugriff auf Daten zu erhalten. Nonchalant wird schon jetzt gefordert, die Gerichte zu entlasten und den Richtervorbehalt bei der Durchsetzung des „geistigen Eigentumes“ zu streichen.

Auch die Forderung, die speziell für die Vorratsdatenspeicherung vorgehaltenen Daten getrennt zu speichern, wurde bisher nicht berücksichtigt. „Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.“ heißt es lakonisch im Tätigkeitsbericht. „Das Bundesverfassungsgericht wird sich voraussichtlich in wenigen Monaten mit der Frage der Vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherung mit dem Grundgesetz zu beschäftigen haben, da Bürgerrechtsorganisationen Verfassungsbeschwerde angekündigt haben.

Das Telemediengesetz – was lange währt...

Auch gegen das Telemediengesetz, zentraler Bestandteil des Elektronischen Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetzes (ElGVG), wurde bereits Verfassungsbeschwerde angekündigt. Die von den Beschwerdeführern insbesondere gegen den §14 gerichtete Kritik wird auch vom Datenschutzbeauftragten geteilt.

§ 14 Bestandsdaten

(1)Der Diensteanbieter darf personenbezogene Daten eines Nutzers nur erheben und verwenden, soweit sie für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung oder Änderung eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Diensteanbieter und dem Nutzer über die Nutzung von Telemedien erforderlich sind (Bestandsdaten).

(2)Auf Anordnung der zuständigen Stellen darf der Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen, soweit dies für Zwecke der Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr durch die Polizeibehörden der Länder, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes oder zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum erforderlich ist.

„Diese Aufweichung der Zweckbindung halte ich für sehr bedenklich“ schreibt Peter Schaar. „da zu befürchten ist, dass dies nur der Anfang einer Entwicklung ist, die immer mehr Begehrlichkeiten weckt und die Daten der Nutzer für immer weitere Dritte verfügbar macht.“

Was Bürgerrechtler schon zu Beginn der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung befürchteten, wofür sie jedoch lange Zeit über als paranoid oder schwarzmalerisch angesehen wurden, wird hier vom obersten Datenschützer noch einmal ganz klar formuliert und lässt insofern auch weitere Zusicherungen zur Zweckbindung bereits erhobener oder zukünftig zu erhebender Daten als wenig glaubhaft erscheinen. Der Mehrheitsführer der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), Herbert Reul, sagte nach dem „Ja“ zur Vorratsdatenspeicherung durch das Europäische Parlament, es sei "sichergestellt, dass nur Sicherheitsbehörden bei der Verfolgung 'schwerer Straftaten' Zugriff auf die Daten hätten". Schon Deutschlands Umsetzungsbeschluss strafte ihn Lügen.

Bei der Beurteilung der IPRED2 spricht Schaar die Verwendung der aus der Vorratsdatenspeicherung resultierenden Daten noch einmal an und betont, dass seiner Meinung nach eine Nutzung zu Zwecken der Durchsetzung des „geistigen Eigentums“ tabu sein solle. „Ich bedauere die Auffassung des federführenden Bundesjustizministeriums, die 'hoch brisante' Frage, ob und wie ein Zugriff auf diese Vorratsdaten erfolgen dürfe, erst bei der Umsetzung der Richtlinie zu entscheiden, und würde es begrüßen, wenn der Gesetzgeber bereits hier für Normenklarheit sorgen würde“, heißt es im Tätigkeitsbericht. Bisher kommt man diesem Ansinnen nicht nach.

Mit Digital Rights Management (DRM), dem Telemediengesetz und der Richtlinie über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums finden sich immer mehr Bestimmungen, Maßnahmen und Gesetze im Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten wieder, welche die Kollision zwischen den Grundrechten und den zur Wahrung „des geistigen Eigentums“ angedachten Rechten aufzeigen.

Das geistige Eigentum soll gestärkt werden. Doch zu welchem Preis? Die vorgesehene Verpflichtung von Internetprovidern zur Auskunftserteilung über Kundendaten lässt mit Blick auf die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten nichts Gutes erahnen.

21. Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten