Schottland hat gewählt

Sieg der Scottish National Party ebnet den Weg für ein Unabhängigkeitsreferendum

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach den Wahlen am Donnerstag erhält die Scottish National Party (SNP) 47 Sitze, die Labour Party 46, die Tories 17, die sozialliberale LDP 16 und die Grünen 2. Ein Sitz geht an einen unabhängigen Kandidaten. Bei den letzten Wahlen zum schottischen Parlament hatte Labour noch 34,6% der Stimmen erhalten, die SNP 23,8%, die Tories 16,6% und die LDP 15,3%. Jetzt wird erwartet, dass die SNP mit der LDP und den Grünen in Koalitionsverhandlungen tritt. Der LDP-Vorsitzende Nicol Stephen hatte sich vor der Wahl darauf festgelegt, nur mit der stärksten Partei zu koalieren. Eine zentrale Rolle in den Koalitionsverhandlungen wird die Forderung der SNP nach einen Unabhängigkeitsreferendum für Schottland spielen.

Die Bekanntgabe erster Ergebnisse, die eigentlich schon für Mitternacht erwartet wurden, verzögerte sich durch Probleme mit Zählmaschinen erheblich. Hinzu kamen Nebel, der den Transport der Stimmzettel von den Inseln per Hubschrauber unmöglich machte, und ausgefallene Transportboote. Die Zahl der ungültigen Stimmen lag teilweise bei 7%, was Beobachter auf die unübersichtlichen neuen Stimmzettel zurückführten, die für Parlaments- und Kommunalwahlen zugleich dienen sollten. Nun soll ein Ausschuss die das Stimmzettel- und Auszählfiasko untersuchen.

Unabhängigkeitsreferendum

Die 1934 gegründete SNP wurde mit den Ölfunden in den 1970ern zu einer relevanten politischen Kraft und konnte 1997 eine ihrer Hauptforderungen durchsetzen, ein Referendum über die Wiedereinsetzung eines schottischen Parlaments. Im Jahr darauf wurde der Scotland Act erlassen, der das 1707 aufgelöste "Pàrlamaid na h-Alba" wieder einsetzte - allerdings im großen und ganzen nur mit den Kompetenzen des alten britischen Schottlandministeriums.

Die andere wichtige Forderung der von Sean Connery unterstützten Partei, die Unabhängigkeit Schottlands, steht nach dem Wahlsieg vom Donnerstag an. Der SNP-Spitzenkandidat Alex Salmond hat jetzt die Chance den Labour-Regierungschef Jack McConnell abzulösen und ein Referendum auf den Weg bringen. Er hatte angekündigt, im Falle eines Wahlsieges innerhalb von 100 Tagen ein Gesetz mit einem Zeitplan für Verhandlungen mit London zu verabschieden - mit dem Ziel, den Vertrag von 1707 zu kündigen und 2010 ein Referendum über die Unabhängigkeit abzuhalten.

Eine wichtige Rolle im Wahlkampf spielte neben der Unabhängigkeitsfrage auch der Irakkrieg. Zwei Drittel aller Schotten sind für einen sofortigen Truppenabzug - die SNP ebenfalls. Daneben spricht sich die Partei für progressive Steuern zur Umverteilung von Reichen an Arme und gegen Studiengebühren aus, aber auch für den Beitritt Schottlands zur Euro-Zone. Letzteres wird angestrebt, um sich von Großbritannien und vom Pfund unabhängiger zu machen. Der Euro beinhaltet aber auch die Gefahr, dass die vermeintliche größere Unabhängigkeit neue Abhängigkeiten mit sich bringt, etwa in haushaltspolitischer Hinsicht. Die Pro-Euro-Haltung war auch im Wahlkampf die schärfste Waffe gegen die SNP.

Europapolitik

Andererseits brachte es der SNP auch Sympathien, dass sie sich nicht wie andere Parteien hinter Europa versteckten, sondern die Entscheidungen auf EU-Ebene offensiv thematisierten. Die SNP-Europaabgeordneten Neil MacCormick und Alyn Smith machten sich im Kampf gegen Softwarepatente einen Namen - vor allem gegen die exponierteste Softwarepatent-Befürworterin der Labour Party, Arlene McCarthy. Im Europaparlament schlossen sich die SNP-Abgeordneten der Fraktion der Grünen an.

Angeheizt wurde die Unabhängigkeitsstimmung in Schottland auch dadurch, dass ein geheimes Dossier der britischen Regierung an die Öffentlichkeit drang, das bestätigte, was viele Schotten lange vermuteten, aber die britischen Regierungen jahrzehntelang bestritten hatten: dass die Schotten bei den Einnahmen aus Gas und Erdöl aus der Nordsee nach Kräften übervorteilt wurden. Tatsächlich war der ökonomische Aufschwung, der häufig Thatcher und Blair als Erfolg zugute gehalten wird, weniger ein Ergebnis ihrer Politik als ein dem schottischen Öl und dem hohen Ölpreis geschuldeter Effekt.

Historische Schulden

Dieser Skandal verstärkte bei vielen Schotten den Eindruck, dass die schottischen Geldschulden aus einem Kolonialabenteuer, die am 1. Mai 1707 zum Unionsvertrag mit England geführt hatten, nun mehr als getilgt seien. Die Union war in Schottland von Anfang an nicht sonderlich beliebt. Daniel Defoe konstatierte 1726 als englischer Spion, dass das schottische Volk quer durch alle Schichten gegen die Zwangsvereinigung aufbegehre.

Der Groll wird verständlich, wenn man die Folgen berücksichtigt, die der Unionsvertrag für viele Einwohner Schottlands hatte. Während der Highland Clearances wurden Nominaltitel von Klanherrn in Eigentumstitel an Land umgewandelt. Um sich die nötigen Mittel für den angemessenen Umgang mit ihren neuen Peers zu verschaffen, vertrieben die Klanherrn die Gerste anbauenden Subsistenzlandwirte durch immer höhere Pachten von ihren Äckern und wandelten das Land erst in Schafweiden und später häufig in Jagdgebiete um. Die freigesetzte Bevölkerung musste auswandern oder sich in den Fabriken verdingen.

Der angebliche Geiz der Schotten geht auf die Reaktion des englischen Adels zurück, wenn die neuen schottischen Kollegen mit dem Protzen und Prunken nicht Schritt halten wollten. Zugleich wurden die Einwohner Schottlands von den Engländern als Primitive dargestellt, nahmen aber dieses Bild gerne als eigenes, identitätsstiftendes Merkmal an. Der Historiker Hugh Trevor-Roper belegte in den 1990ern in seinem Beitrag zu Eric Hobsbawms Klassiker "The Invention of Tradition", wie der Schottenrock und die Karomuster erst als romantische Zutat zur schottischen Geschichte erfunden wurden.

Anders als in anderen Gegenden Europas sind bei einer Unabhängigkeit Schottlands weder Sprach- noch Schulprobleme oder ethnische Säuberungen zu befürchten: Das keltische Gälisch ist nur noch Ziersprache, und die religiösen Gegensätze zwischen Katholiken und Protestanten werden in Schottland weit weniger scharf ausgetragen als in Irland. Ein letztes Refugium dieses Identitätszwists sind die Fußballvereine in Glasgow.