Das große Schweigen

Ob die beiden im Irak entführten deutschen Geiseln noch leben, ist unbekannt - aber es scheint auch niemanden in Deutschland zu interessieren

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Niemand weiß, ob Hannelore und Sinan Krause noch leben. Die 61jährige, jahrzehntelang im Irak lebende deutsche Staatsangehörige und ihr 20jähriger Sohn wurden am 6. Februar aus ihrem Haus in Bagdad von Unbekannten verschleppt. Erst am 10. März bekannte sich eine Gruppe, die sich „Brigade der Pfeile der Rechtschaffenheit“ nannte, zu der Entführung.

Am 14. März wandte sich Bundespräsident Köhler in einer kurzen Videobotschaft direkt an die Entführer und bat um die Freilassung der Geiseln. Die Kidnapper reagierten darauf allerdings nicht. Ein Anfang April veröffentlichtes Video ist das letzte Lebenszeichen der Entführten. In einer kurzen Erklärung der Entführer wurde mit der Hinrichtung von Hannelore Krause gedroht, wenn die deutschen Soldaten binnen 10 Tagen nicht aus Afghanistan abgezogen werden (Ist Deutschland im Krieg angekommen?). In der Botschaft der Entführer wird offen auf die Nationalität und den Arbeitsplatz von Hannelore Krause Bezug genommen.

Diese Frau war keine normale Frau. Sie gehört zu einem Staat, der mit dem Islam und den Muslimen in Feindschaft steht, und der Truppen hat, die unsere Frauen und Kinder töten. Diese Frau ist auch die führende der Arbeiten der österreichischen Botschaft. Und Österreich ist ein Staat, der mit dem Islam und den Muslimen in Feindschaft steht, denn sie besitzen auch Truppen, die unsere Frauen und Kinder in Afghanistan töten.

Auf dem Video sah man zwei verzweifelte Menschen, die um Hilfe baten. „Ich bitte euch, vielleicht könnt ihr zu den Zeitungen gehen, vielleicht könnt ihr einen Protestmarsch organisieren, vielleicht könnt ihr irgend etwas unternehmen, um uns in irgendeiner Weise zu helfen“, flehte Hannelore Krause (Neues Entführervideo fordert erneut Abzug der Truppen aus Afghanistan). Es ist auffällig, dass die relativ kurze Erklärung im Internet kaum zu finden ist. Schon kurz nach dem die Videobotschaften bekannt geworden sind, wurde darüber diskutiert, ob man in der Veröffentlichung nicht unfreiwillig das Spiel der Entführer betreibt. Besonders die Anklage gegen die deutsche Außenpolitik, die in der Bitte von Hannelore Krause enthalten war, wurde in den Medien geflissentlich ignoriert. Diese Worte seien von den Entführern diktiert worden, hieß es kurz und knapp. Im Subtext war zu lesen, dass man sich von den Entführern instrumentalisieren ließe, wenn man ernsthaft darüber diskutiert, ob die Entführung etwas mit der deutschen Außenpolitik zu tun haben könnte.

Von führenden Politikern der Bundesregierung und den Medien wurde immer wieder betont, dass sich der Staat nicht erpressen lassen dürfe. Das Preis, den die Geiseln dafür zahlen sollen, wurde kaum erwähnt. Weil in den seltensten Fällen Hannelore Krauses Erklärung im Wortlaut abgedruckt, sondern höchstens in Auszügen zitiert wurde, blieb auch die Betroffenheit weitgehend aus, die sich einstellt, wenn man den Text liest. Dabei ist es nicht so entscheidend, ob die Worte des Appells von den Entführern vorgegeben wurden. Die Angst und Verzweiflung der Krauses waren echt.

Knut statt Krauses

Der Appell war wenige Tage vor Ostern bekannt geworden. Über Ostern pilgerten in Berlin Tausende Menschen in den Zoo, um einen Blick auf Eisbärbaby Knut zu erhaschen, der damals am Höhepunkt seiner Medienpopularität stand. Dass in diesen Tagen in einer deutschen Stadt auch nur ein Dutzend Menschen auf die Straße gegangen sind, um sich für die Freilassung der Krauses einzusetzen, wurde nicht bekannt.

Als in den letzten Jahren italienische und französische Staatsbürger entführt worden waren, demonstrierten Zehntausende in ihren Ländern. Die Fotos der Geiseln waren bis zu ihrer Freilassung an prominenter Stelle in Zeitungen und dem Straßenbild der Städte zu sehen. In Deutschland hingegen war die Empathie mit Entführungsopfern im Ausland immer eher gering. Für die beiden Leipziger René Bräunlich und Thomas Nitzschke, die im letzten Jahr verschleppt worden waren (Moral oder Geschäft?), organisierte der Freundeskreis der beiden Mahnwachen, denen sich dann aber auch fremde Menschen angeschlossen hatten. Die Krauses haben aber nach so langem Irakaufenthalt in Deutschland keinen großen Freundeskreis, der die Solidarität organisieren könnte.

Für die Ignoranz und das Schweigen zum Schicksal der Krauses gibt es sicher sehr unterschiedliche Gründe. Der Gewöhnungseffekt könnte eine Rolle spielen. Schließlich hört man fast täglich von neuen Gewalttaten im Irak. Ohnmachtgefühle dürften ein weiterer Grund für die Apathie sein. Was kümmert es die Entführer im Irak, wenn hier jemand auf die Straße gehen? Doch den meisten dürfte das Schicksal der Gekidnappten schlicht und einfach völlig egal sein.

Im Internet wurde die Frage diskutiert, ob die Entführten an ihrer Lage nicht auch selber schuld seien? Warum müssen sie auch auf einen solch gefährlichen Flecken der Erde leben? Vergleiche mit Murat Kurnaz drängen sich auf. Die mehrjährige Inhaftierung des Bremer Türkin in Guantanamo löste über den kleinen Kreis von Menschenrechtlern sowie engagierten Journalisten und Juristen hinaus wenig Protest aus ("Der Bremer Türke ist für mein Leben nicht so wichtig"). Die Frage, ob deutsche Politiker zumindest indirekt an der Verlängerung seiner Haft beteiligt waren, ist mangels öffentlichem Interesse längst vom Tisch.

Auch die Debatte um die Entführung der Archäologin Susanne Osthoff im Dezember 2005 (Im Reich des Silbernen Löwen) schwankte zwischen Voyeurismus, Schadenfreude und offen artikuliertem Misstrauen gegenüber dem Opfer ("Verstehen Sie?"). Nur echte Anteilnahme an ihrem Schicksal war in der Öffentlichkeit kaum zu finden. Das bekam Susanne Osthoff direkt zu spüren. Wenn die Krauses die Entführung überleben und nach Deutschland zurückkommen sollten, dürfte sch diese Mischung aus Sensationslust der Medien und das Misstrauen wiederholen.