Unerwartete Kritik an US-Terrorlisten

Die ansonsten im konservativen Spektrum angesiedelte Waffenlobbygruppe NRA verteidigt das Verfassungsrecht der auf Terrorlisten stehenden Verdächtigen, weiterhin Waffen kaufen zu dürfen

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Die National Rifle Association ist eine starke Lobby-Gruppe in den USA, die sich für das vermeintliche Grundrecht auf Waffenbesitz einsetzt, allgemein die Interessen der Waffenindustrie und von Waffenbesitzern vertritt und gegen alle Versuche opponiert, die eine stärkere Kontrolle des Verkaufs und Besitzes von Waffen angesichts der hohen Zahl von Schusswaffenopfern fordern. Gegen Verbrechen und Gewalt, so die Logik der NRA beispielsweise nach Amokläufen, helfen nur Waffen, die man überall bei sich hat und gegebenenfalls auch gebraucht. Aus dieser Position kommt nun auch unerwartet scharfe Kritik an den Terrorlisten.

So sieht man es bei der NRA: "More semi-automatics and other firearms, less crime." Grafik: NRA

In einer neuen Kampagne will die NRA einen Gesetzesvorschlag verhindern, der vom Justizministerium unterstützt wird und vom demokratischen Senator Frank Lautenberg eingereicht wurde. Die Liebe zu ungehindertem Zugang zu Waffen geht hier soweit, dass die normalerweise konservative und rechtslastige Organisation sogar die Rechte von Menschen verteidigen will, die als gefährlich eingeschätzt oder gar des Terrorismus verdächtigt werden. Lautenberg will mit seinem Gesetzesvorschlag Denying Firearms and Explosives to Dangerous Terrorists Act of 2007 nämlich eine "Terrorismuslücke" schließen. Danach hätte das Justizministerium die Möglichkeit zu verhindern, dass Terrorverdächtige eine Waffe kaufen können.

Zugelassene Waffenhändler müssen, wenn sie eine Waffe verkaufen wollen, eine Überprüfung des Käufers veranlassen. Das geschieht durch das National Instant Criminal Background Check System (NICS) des FBI. Selbst wenn die Überprüfung, so Lautenberg, offenbaren würde, dass es sich um einen Terrorverdächtigen oder Terroristen handelt, gäbe es keine gesetzliche Grundlage dafür, ihm die Waffe nicht zu verkaufen, wenn er nicht andere Vergehen begangen hat. Nach dem Gesetzesvorschlag dürfte an Menschen legal keine Waffen verkauft werden, "die bekannt (oder hinreichend verdächtig) dafür sind, Taten zu begehen oder begangen zu haben, die Terrorismus darstellen, diesen vorbereiten, ihn unterstützen oder mit ihm verbunden sind oder materielle Unterstützung oder Ressourcen dafür bereitstellen".

Eine Empfehlung des Justizministeriums an den Vizepräsidenten Cheney macht deutlich, dass als verdächtig jeder gelten soll, der sich auf einer der Terrorlisten befindet. Insgesamt sollen sich in der Stammdatenbank der Terrorlisten etwa 300.000 Personen befinden (Die Mutter aller Terror-Datenbanken quillt über). Nach welchen Kriterien Personen auf die Liste gesetzt werden, ist nicht bekannt, allerdings ist bekannt, dass es nicht wenige Fehlentscheidungen und Irrtümer gibt (Von der Fehlerverlässlichkeit von Antiterrorlisten. Das Justizministerium will aber auch, dass es die Entscheidung darüber behält, ob ein Verdächtiger nicht doch eine Waffe erwerben kann, wenn dies für Ermittlungen sinnvoll ist.

In einem offenen Brief an Justizminister Gonzales moniert NRA-Direktor Chris Cox die vage Bestimmung von Terrorverdächtigen, mit der diesen aber "willkürlich" Verfassungsrechte verweigert werden, in dem Fall der zweite Zusatzartikel zur Verfassung, der für die NRA das Grundrecht auf Waffen beinhaltet, was freilich umstritten ist (Waffenbesitz ist ein von der Verfassung geschütztes Recht). Das Wort "Verdächtiger" habe keine gesetzliche Bedeutung, wenn es um die Verweigerung von Freiheiten gehe, die von der Verfassung garantiert werden. Natürlich wird in dem Brief versichert, dass die NRA und ihre Mitglieder hinter dem "Kampf gegen den Terror" stünden und Terroristen verurteilten. Man würde aber gleichermaßen die Freiheit in den USA verteidigen. Die aber würde eingeschränkt, wenn dieses Gesetz dem Justizminister ermöglichte, auf puren Verdacht hin, dessen Begründung geheim bleibt, den Kauf von Waffen zu verbieten.

Tatsächlich heißt verdächtig nicht, dass gerichtsfeste Beweise für die Unterstützung, Planung oder Ausführung von terroristischen Aktionen vorliegen. Die Ausweitung der Präventivmaßnahmen u.a. mit den Terrorlisten und dem Ausbau der allgemeinen Überwachung, durch die jeder Bürger zum potenziell Verdächtigen wird, untergräbt den Rechtsstaat. Dass Terrorlisten nur verdächtige, aber keineswegs überführte "Terroristen" aufführen und oft genug "sicherheitshalber" Personen in sie geraten, die gar nichts damit zu tun haben, blenden nun wieder diejenigen aus, die den Gesetzesvorschlag begrüßen, weil er den Zugang zu Waffen beschränkt: "Wenn ich anderen erzähle, dass man sich auf einer Terrorliste befinden und trotzdem so viele Gewehre, wie man will, kaufen kann, sind sie geschockt", meint so etwa entrüstet Paul Helmke, der Präsident des Brady Center to Prevent Gun Violence