Liberalisierung der Kreativität

Wie das Thema Creative Industries von der FDP vereinnahmt wird

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Kreativität war das Thema von zwei Veranstaltungen in Berlin innerhalb der ersten Maiwoche, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Zu der Podiumsdiskussion Es lebe die Bohème? - Neue Arbeit und kreatives Leben hatte die grüne Heinrich-Böll-Stiftung in die von kreativer Schmuddeligkeit durchdrungenen Sophiensäle eingeladen, während die 4. Jahrestagung Kulturwirtschaft von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in der Dresdner Bank am Pariser Platz veranstaltet wurde. Auch das Publikum der beiden Events unterschied sich deutlich voneinander: Während in den Sophiensälen das kreative Prekariat selbst im Auditorium Platz nahm, waren es bei der FDP vor allem Politiker, Kulturmanager und andere Vertreter des gehobenen Bildungsbürgertums.

Beim Vergleich der Teilnehmerlisten wurde dann endgültig deutlich, wie unterschiedlich Grüne und FDP den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellenwert der Kreativität einschätzen. Die Bohème-Diskussion wurde von den üblichen Verdächtigen geführt: dem Mitbegründer der Zentralen Intelligenz-Agentur Holm Friebe, der ehemaligen Berliner Übergangs-Senatorin für Kultur und Wissenschaft Adrienne Goehler und der Soziologin Christiane Schnell von der Universität Bremen. Um der Diskussion ein wenig Würze zu verleihen, war außerdem Melissa Logan des anarchischen Künstlerkollektivs Chicks on Speed eingeladen worden.

Auf der Rednertribüne der Dresdner Bank hingegen gaben sich MdBs, Vertreter der EU-Kommission und der UNESCO sowie namhafte Wissenschaftler das Mikrofon in die Hand. Unterstützt wurden diese Redner von einer illustren Schar von Regierungsvertretern, Unternehmensberatern und Kulturschaffenden. Um deutlich zu machen, dass die Tagung den Segen der Bundesregierung hatte, wurde allerlei Tand mit dem Logo der deutschen EU-Ratspräsidentschaft verteilt – vom obligatorischen Schlüsselband bis hin zu einem ominösen Gummiball, der wohl kreativitätssteigernd wirken sollte. Die intendierte Botschaft war klar: wenn sich die FDP um die Kreativwirtschaft kümmert, dann macht sie es richtig.

Liberalisierung durch Entsubventionierung des Kultursektors

Zwar herrschte auf beiden Seiten eine gewisse Konzeptlosigkeit, was den Umgang mit der Kreativität angeht, aber während man in den Sophiensälen noch darüber nachgrübelte, wie man die Kreativarbeiter dazu überreden könnte, in eine Gewerkschaft einzutreten und sich politisch zu organisieren, wurde am folgenden Tag am Pariser Platz gleich Tacheles geredet: Gefordert wurde eine kohärente europäische Politik, die sicherstellt, dass es am Schwarzen Meer genauso kreativ zugeht wie in London, Paris und Berlin. Dies soll dadurch erreicht werden, dass der kulturelle Sektor nicht mehr wie bisher subventioniert, sondern mit Investitionsgeldern ausgestattet in die lange ersehnte Freiheit entlassen wird.

Nach Telekommunikation, Energie und Verkehrswesen soll nun also auch der Kultursektor „liberalisiert“ werden. Das hört sich viel versprechend an, entpuppt sich aber bei näherem Hinsehen als Milchmädchenrechnung. Denn diejenigen Sparten der „Kulturwirtschaft“, die das meiste zu den viel zitierten 2,6% Wirtschaftswachstum in der EU beitragen (und damit deutlich über dem Niveau von Sektoren wie Immobilien-, Nahrungsmittel- und Textilwirtschaft liegen), sind nicht die traditionellen Künste wie Theater, bildende Kunst und Tanz, sondern vor allem die so genannten „Kulturbranchen“ Film und Fernsehen, Musik und Verlagswesen sowie „kreative Branchen“ wie Design, Architektur und Werbung.

Die Förderung der Kulturwirtschaft soll künftig in der EU über einen zentralen Fonds erfolgen. Zudem ist geplant, bei der Europäischen Investitionsbank EIB ein spezielles Kreditprogramm für Kulturprojekte zu schaffen. Bei der Vergabe dieser Kredite wird jedoch sicherlich nicht die „Förderungswürdigkeit“ der eingereichten Projekte im Vordergrund stehen, sondern der „Return on Investment“ – und dabei haben kommerzielle Projekte wesentlich bessere Chancen als unkommerzielle. Zwar entstehen durch die Neuorientierung der Politik auch neue Möglichkeiten für schwächelnde Sparten wie das Theater– denn Kultur wird ja nun explizit als Standortfaktor verstanden –, aber wenn die Kreativindustrien alle in einen Topf geworfen werden, droht ein ungleicher Kampf um Fördermittel.

Das eigentliche Problem jedoch besteht darin, dass die politische Diskussion der Kultur in einem immer stärkeren Maße ökonomisiert wird. Nach dem Vorbild der Creative Industries in Großbritannien – einer Erfindung der neoliberalen Blair-Regierung – sollen auch im Rest Europas Effizienz, Profitabilität und Kundenorientierung in den Kultursektor Einzug halten. Und die durch Subventionsentzug willfährig gemachte Kulturbranche lässt es nur allzu gerne geschehen. Die zu der Kulturwirtschaftstagung geladenen Kreativunternehmer, darunter X-Filme-Geschäftsführer Stefan Arndt und Filmmusikkomponist Gilles Tinayre, fanden jedenfalls nur lobende Worte für die angekündigte Liberalisierung der Kreativität.

Verschleiß an „Humankapital“ ist in der Kreativwirtschaft überdurchschnittlich hoch

Es ist schlimm genug, dass ausgerechnet die FDP nun das Kompetenzmonopol für Kulturpolitik inne zu haben scheint, noch schlimmer ist es allerdings, dass sich dagegen weder in der Politik noch bei den Kulturschaffenden selbst Widerstand regt. Bei den Parteien scheint der Zug schon längst abgefahren zu sein – das beweist die Interesselosigkeit der SPD und die Konzeptlosigkeit der Grünen. Die einzige Hoffnung besteht also scheinbar darin, dass unter den Kulturschaffenden innerhalb und außerhalb der Institutionen eine Debatte darüber geführt wird, wie man sich gegenüber dieser Politik positionieren will. Denn eines ist klar: Ohne Kreative gibt es keine Kreativwirtschaft.

Die zentralen Themen, um die es bei dieser Debatte gehen sollte, sind offensichtlich: zum einen die immer weiter zunehmende Prekarisierung der Beschäftigten der Creative Industries – egal ob im Theater, beim Fernsehen oder in einer Werbeagentur –, die durch die geplante Politik und ihr Ineinandergreifen mit der Agenda 2010 weiter zunehmen wird. Zum anderen die Frage nach der Nachhaltigkeit des Creative-Industries-Modells. Zwar scheint es so, als ob sich diese Frage noch gar nicht beantworten lässt, denn die entsprechenden Programme laufen ja selbst in Großbritannien erst ein paar Jahre. Aber es zeichnet sich bereits ab, dass Kreativität möglicherweise doch keine unerschöpfliche Ressource ist.

Dazu ist zunächst festzustellen, dass der Verschleiß an „Humankapital“ in der Kreativwirtschaft überdurchschnittlich hoch ist. Das hat mit der Prekarität der Arbeitsverhältnisse, aber auch mit langen Arbeitszeiten und hohen Stress-Niveaus zu tun. Diese Faktoren führen über kurz oder lang bei Vielen zum Burnout. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Erzeugnisse der Creative Industries Recyclingprodukte sind: Kultur entsteht nun einmal aus Kultur. Doch je enger Input und Output aneinander gekoppelt werden, desto selbstreferenzieller wird das Produktionssystem. Schon jetzt sind Songs im Radio und Fernsehshows immer schwerer voneinander zu unterscheiden. Auf lange Sicht droht also der Kollaps der Kultur. Um dies zu verhindern, sollte der Liberalisierung der Kultur und der Kreativität entgegengewirkt werden.