Googlefight um Geist

Das Magazin Cicero hat eine Liste der 500 "wirkmächtigsten" und "präsentesten" Intellektuellen Deutschlands zusammengestellt

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Ermittelt wurde das Cicero-Ranking über eine Art von begrenztem Googlefight: der Referenzhäufigkeit in 160 deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften.

Was ist ein Intellektueller? Die Bedeutung des Wortes ist je nach geschichtlichen Standpunkt, sozialer und geographischer Herkunft sowie sozialphilosophischer Perspektive verschieden. Der Begriff hatte in der Weimarer Republik eine andere Bedeutung als unter dem Hitlerfaschismus, der Terminus besitzt bei der Mittelschicht einen anderen erstrebenswerten Glanz als bei Bauarbeitern - und in Amerika schwingt bei dem Wort eher die Idee des abstrakt schwadronierenden "Egghead" mit als z. B. in Frankreich, wo damit seit der Dreyfus-Affäre immer noch der akademisch gebildete meinungsbildende Gesellschaftskritiker gemeint wird.

Im Nationalsozialismus wurde damit das Feindbild des jüdischen Zersetzers von gesund-völkischem Gedankengut beschworen, während im Marxismus in der Tradition von Gramsci Intellektuelle als Produzenten und Kritiker von Ideologien verstanden werden, welche die Interessen von Schichten und Klassen formulieren und im Kampf um die ideologische Hegemonie im öffentlichen Bewusstsein bekämpfen und propagieren.

Das politische Magazin "Cicero" hingegen greift bei seiner Veröffentlichung der Intellektuellen-Liste Cicero-Ranking 2007 auf rein quantitative und statistisch erfassbare Maßstäbe zurück:

"Die Cicero-Intellektuellenliste spiegelt Wirkmacht und Präsenz der Akteure wider; sie bildet öffentliche Deutungsmacht ab, misst aber keine inhaltliche Qualität. Die Erhebung basiert auf der Präsenz in den 160 wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften. Diese werden über elektronische Datenbanken nach Referenzhäufigkeit durchkämmt. Zudem werden Zitationen im Internet und Querverweise im Munzinger-Referenzarchiv ermittelt."

Die Intellektuellen-Liste gibt also nicht die originäre Hegemonie-Fähigkeit der verschiedenen Gestalten wieder, sondern bildet gewissermaßen den Verlauf ihrer aufmerksamkeitsökonomischen Börsenkurse im medialen Mainstream ab.

Meinte noch vor 36 Jahren Jean Paul-Sartre nicht gänzlich unnaiv, dass kein Intellektueller existiere, der nicht links und also ein Gegenspieler der Mächtigen sei, so geht der moderne Dienstleistungs-Intellektuelle von heute ganz und gar in seiner Warenförmigkeit auf. Da, wo andere ein Gehirn haben, hat der geistige Hochkaräter von heute seine Fahne im Wind. Bis auf ganz wenige Ausnahmen wie Peter Handke, Gerhard Polt, Franz Xaver Kroetz, Wiglaf Droste, Feridan Zaimoglu, Dietmar Dath, Hermann Kant und Elmar Altvater singen hier allesamt auf ihre Weise das Kýrie eléison der Berliner Republik.

Pappa Ratzi als Klassenbester

Nicht unbezeichnend für das Ranking ist, dass Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI die Liste anführt. Dieser hatte zwar in seiner Regensburger Vorlesung in polemischer Absetzung zum Islam die Vereinigung von Vernunft und Glauben im Christentum unhistorisch harmonisiert und letzteres als Erbe des antiken logos propagiert, ohne allerdings den allgemeinen Unterschied von Philosophie und Religion kenntlich zu machen. Den Unterschied zwischen einer immer wieder sich selbst in Zweifel ziehenden und korrigierenden Vernunft, die letztendlich auf die rationale Begründung und Entwicklung ihrer Prämissen abzielt und dem Glauben, der gerade das Gegenteil bezweckt: die sich dem Verstand entziehende Ergebenheit an einen Weltenschöpfer oder ein Prinzip, das gerade nicht logifizier- und kommunizierbar, dafür aber unerschütterlich sein soll.

Hier wird also einer zum ersten Intellektuellen stilisiert, der unter dem Signum der Vernunft mehr denn je Anti-Aufklärung betreibt und mit seinem Vortrag nichts zur Entschärfung des Konflikts zwischen Christentum und Islam beigetragen, sondern mit seiner simplen Schwarzweißmalerei seine Schäfchen ideologisch klar hinter George W. Bush jr. positioniert hat.

Weiter fällt auf, dass sich unter den ersten zwanzig Intellektuellen Gestalten tummeln, deren geistiges Format für den Falle, sie wären in Südamerika geboren und würden in ein kolumbianisches Irrenhaus gesperrt, wohl kaum dafür hinreichend wäre, um in der westlichen Hemisphäre einen Proteststurm wegen Menschenrechtsverletzung auszulösen. Der intelligenteste Aspekt, dem man z. B. einer Figur wie Wolf Biermann abgewinnen kann, ist der, dass seine ehemalige Frau Eva Maria Hagen angeblich mit Peter Hacks gebumst hat.

Erst auf Platz 46 treffen wir Guido Knopp, der mutig mit SAT1, RTL, Sabine Christiansen, Johannes B. Kerner und Reinhold Beckmann jene Reformen im deutschen Fernsehen umgesetzt hat, deren politisches Pendant die Hartz-IV-Gesetzgebung ist (weswegen auch nicht klar wird, warum die drei letztgenannten bei der Aufzählung fehlen).

Der über alle Maßen belanglose Maxim Biller, der weniger durch sein nicht vorhandenes Talent als durch seine Rechtsstreitigkeiten von sich reden macht (und dem man seiner ehemaligen Freundin gefesselt in einem dunklen Zimmer mitsamt einer Käsereibe wünscht), belegt Platz 95. Damit liegt er aus unerfindlichen Gründen sechs Plätze vor dem auch nicht langweiligere und dämlichere Bücher schreibenden Schnösel Christian Kracht.

Weitere geistige Höhenflieger sind die ZEIT-Literatur-Tante Iris Radisch (173), von der man vor allem lernen kann, dass es Menschen gibt, die jegliche Art von Literatur lesen können, ohne auch nur einen Hauch davon zu kapieren, der Historiker und neokonservative Oberschleimer Paul Nolte, der sich bislang vor allem mit Schlängelbewegungen im Rektalbereich des neoliberalen Mainstreams ausgezeichnet hat (181), der optische wie geistige Wiedergänger von Markus Söder, Ulf Poschardt (232), und der anscheinend adelstypisch durch generationenübergreifende Gen-Experimente herausgezüchtete Ausnahme-Journalist und -Schriftsteller Moritz von Uslar (308).

Weiter vertreten sind das Gesellschafts- und Medienkritikergenie Norbert Bolz (345) und der künstlerisch wie politisch besonders unbedarfte Thomas Meinecke (498), der immer noch meint, um die Erwartungshaltung des Publikums produktiv zu erschüttern, sei bereits ein sich clever gebender Dilletantismus ausreichend, und der uns dementsprechend seine geschriebenen Fettwannen als subversive künstlerische Aktion anpreist. Schade eigentlich, dass Fürstin Gloria von Thurn und Taxis nicht Soziologie studiert hat und keine Gedichte, Romane und Theaterstücke schreibt, denn deren Nennung wäre das I-Tüpfelchen auf der Liste gewesen.