Das Spiel mit der Gewalt

Vor den Protesten gegen den G8-Gipfel wird aus unterschiedlichen Gründen Gewalt erwartet bzw. nicht ausgeschlossen; nach dem Verfassungsbericht 2006 ist die Zahl politisch motivierter Gewalt, vor allem von Rechts, stark gewachsen

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Passend zu den bevorstehenden Protesten im Kontext des G8-Gipfels und den bereits durchgeführten oder geplanten Präventivmaßnahmen wird am Dienstag der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2006 veröffentlicht. Dort heißt es, wie die Welt erfahren haben will, dass die Zahl der politisch motivierten Straftaten gegenüber dem Vorjahr um 10 Prozent gestiegen ist. Angeblich, so meldet die Bild, würde in dem Bericht auch gewarnt, dass linke Extremisten auch wieder Anschläge auf Personen planen könnten.

Nach Informationen der Welt ist nach dem Bundesverfassungsschutzbericht die Zahl der politisch motivierten Straftaten von 26.401 im Jahr 2005 auf 29.050 im Jahr 2006 angestiegen. Auch die Zahl von Gewalttaten wie Brandanschläge oder Körperverletzungen hat danach um 3 Prozent von 2.448 auf 2.522 zugenommen. Mit 14 Prozent sind die Straftaten, die von der rechtsextremen Seite begangen wurden, nicht nur wieder stärker als die links motivierten Straftaten angewachsen, auch in absoluten Zahlen ist die rechte Kriminalität mit insgesamt 18.142 Straftaten, vorwiegend allerdings meist "Propagandadelikte", deutlicher höher als die linke mit 5.363.

Die Verfassungsschützer scheinen den Anstieg der linken Kriminalität vorwiegend als Reaktion auf die von Rechtsextremen begangenen Aktionen und deren politische Präsenz zu sehen. Auf der anderen Seite hätten die Wahlerfolge rechter Parteien in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin die rechte Szene bestärken können, aggressiver zu werden. Möglicherweise habe aber auch die Diskussion über Gewalt von Rechts vor der Fußballweltmeisterschaft zu erhöhter Aufmerksamkeit und in der Folge zu mehr Anzeigen geführt.

Dieses Phänomen fürchten die Sicherheitsexperten der Republik auch für das größte sicherpolitische Ereignis des Jahres 2007: den Weltwirtschaftgipfel Anfang Juni in Heiligendamm. Mit Blick auf das Treffen der acht führenden Industrienationen (G8) in seinem Bundesland warnte Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU): "Gefahren aus der linksextremistischen Szene gibt es genauso wie von der rechtsextremistischen Szene."

Während der großen Auftaktdemonstration gegen den G8-Gipfel am 2. Juni in Rostock wird auch eine von der NPD organisierte Protestveranstaltung in Schwerin stattfinden. Man hörte in rechten Publikationen, dass sich durchaus manche Rechte auch unter die Demonstranten in Rostock mischen könnten. Die NPD meint: " Selbstverständlich ist es nicht ausgeschlossen, daß sich vereinzelt auch Nationalisten an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Rostock beteiligen werden. Es ist jedoch absurd, diese bereits im Vorfeld für Randale und Sachbeschädigungen an Privateigentum verantwortlich machen zu wollen."

Caffier fürchtet, dass es zwischen linken und rechten Demonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen könne. Die "Antifaschistische Linke Berlin" erklärte, man konzentriere sich zwar auf die Teilnahme an der Demonstration in Rostock, aber es gebe "auch ein breites Bündnis aus antifaschistischen und globalisierungskritischen Gruppen gegen den Naziaufmarsch in Schwerin". Caffier beklagte, dass die Sicherheitspartnerschaft mit den Protestorganisationen noch nicht wirklich gut funktioniere und fordert die friedlichen Demonstranten auf, sich deutlicher von Gewalt zu distanzieren.

Ein Interview mit Werner Rätz, der für Attac die Protestaktionen organisiert, betont zwar in einem Interview mit dem Tagesspiegel, dass es "bei allen Aktionen, an denen Attac beteiligt ist, Übereinstimmung über den friedlichen Charakter" gebe, fügt aber hinzu: "Sollten Aktivisten Angriffe auf die rote Zone planen: Letztlich kann man bei den Zigtausenden von Menschen, die anreisen werden, nicht für jeden die Hand ins Feuer legen." Für Rätz ist der Sicherheitszaun um Heiligendamm illegitim, da das Bundesverfassungsgericht entschieden habe, dass es den Adressaten der Proteste zuzumuten sei, diese auch zu sehen und zu hören . Attac habe zwar keine Pläne, den Zaun zu überwinden, aber er würde wohl auch niemanden zurückhalten:

In der Friedensbewegung hat es aber auch immer wieder Menschen gegeben, die solche Zäune überwunden haben. Um der symbolischen Wirkung der Tat willen haben sie in Kauf genommen, wegen Sachbeschädigung und anderer Verstöße belangt zu werden. Würde das in solch einer Weise getan, fände ich das in Ordnung.

Werner Rätz

Das Bündnis Block G8 hat gestern in Hannover erneut angekündigt, auf friedliche Weise die Zufahrtsstraßen zum G8-Treffen rund um die Uhr zu blockieren. Sprecherin Lea Voigt sagte, das Bündnis rechne mit etwa 20.000 Teilnehmern an den Blockaden. Diese würden durch Kurse vorbereitet, mit Entschlossenheit aufzutreten, aber Eskalation zu verhindern.

Für die konservative Welt, die sich mittlerweile an die Spitze der Warner und Befürworter für scharfe Sicherheitsmaßnahmen stellt, gebe es hingegen bereits "handfeste Hinweise auf geplante Ausschreitungen". Dazu verweist sie auf die Materialien, die während der Razzien gefunden wurden. Der Focus hatte berichtet, es seien in Berlin "Wecker, Drähte, Uhren und größere China-Böller", aus denen man Brandsätze mit Zeitzünder herstellen könne, sowie in Brandenburg Bauanleitungen für unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen gefunden worden. Das sind freilich bislang sehr vage Hinweise, die man vermutlich auch mit der Gefährlichkeit einiger der Verdächtigen verbinden muss, die die Durchsuchungen rechtfertigen sollten. Einige der 21 Verdächtigen sind wohl bereits im rüstigen Rentenalter, so dass nicht einmal die Bundesanwaltschaft sich so weit aus dem Fenster lehnen wollte, diese zu beschuldigen, an Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. Im Durchsuchungsbeschluss heißt es, aufgrund des "recht vorgerückten Lebensalters dieser Beschuldigten ist davon auszugehen, dass die Anschläge zur Umsetzung der Kampagne nicht von diesen Beschuldigten selbst" ausgeführt worden seien.

Welt und Bild wollen aber offenbar auf Angstmache und Eskalation nicht verzichten. So verweist die Welt auf Informationen der Bild-Zeitung, dass im Verfassungsschutzbericht auch vor "über Sachbeschädigungen hinausreichenden Aktionsformen" militanter Gruppen gewarnt werde. Es gebe in der linksextremistischen Szene mehr "terroristische Ansätze":

Der Geheimdienst schließe Anschläge auf Personen durch die linksextremistische Szene nicht mehr aus. Mögliche Aktionen richteten sich nicht mehr wie bisher gegen Objekte, sondern auch gegen "Handlanger" und "Profiteure" des "Systems". Der Verfassungsschutz beziffert die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten auf rund 6000 Personen.

Davon seien 5.500 "Autonome". Die Bild schreibt, allerdings unter dem Titel "Verfassungsschutzbericht warnt vor Anschlägen auf Politiker!" immerhin auch, dass die Zahl der Gewalttaten gegen Ausländer 2006 um 37 Prozent auf 511 Fälle angestiegen ist. Das aber ist tatsächlich begangene Gewalt. Wichtiger aber scheint doch die Möglichkeit zu sein. So schreibt Bild:

Im Klartext: Der Verfassungsschutz schließt Anschläge auf Politiker und Manager nicht mehr aus! In der Szene würden bereits Aktionen gegen "Handlanger und Profiteure des Systems" diskutiert ("Knieschüsse", "Exekutionen").