Streit zwischen Bolivien und Brasilien über Verstaatlichung von Ölraffinerien beigelegt

Die Regierung Boliviens überführt zwei Raffinerien der brasilianischen Petrobras in Staatsbesitz und zahlt dafür 112 Millionen US-Dollar

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Nach der Übernahme von zwei Raffinerien der brasilianischen Petrobras richtet sich der Blick der bolivianischen Regierung auf Anlagen der Ölmultis Shell, BP oder Repsol-YPF. Mit einem Dekret hatte Präsident Evo Morales Druck auf Petrobras gemacht, damit die Firma einen angemessenen Kaufpreis akzeptiert. Zunächst reagierte die halbstaatliche Firma und forderte ultimativ die Rücknahme des Dekrets. Sie drohte mit einem Rückzug aus Bolivien. Der Streit zwischen Brasilien und Bolivien, der über den Konflikt ernsthaft zu eskalieren drohte, wurde mit dem Verkauf der Raffinerien für 112 Millionen US-Dollar (82,8 Millionen Euro) nun beigelegt und nun muss das ölreiche Bolivien Diesel und Benzin nicht mehr teuer importieren.

Der bolivianaische Präsident Evo Morales und Ölminister Carlos Villegas (rechts). Bild: presidencia.gov.bo

In den letzten Wochen kochte der Konflikt zwischen Bolivien und Brasilien um die Einrichtungen von Petrobras hoch. Vor einem Jahr hatte die bolivianische Regierung unter Evo Morales die Nationalisierungen der natürlichen Ressourcen angekündigt, doch gelang es bisher in den Verhandlungen nicht, einen Preis für die Anlagen des brasilianischen Konzerns auszuhandeln. Da die brasilianische Regierung mit 55 % an Petrobras beteiligt ist, ist ein Konflikt mit dem Energiemulti, drittgrößtes Unternehmen in Lateinamerika, auch stets ein Konflikt mit der brasilianischen Regierung.

Am 6. Mai unterzeichnete Präsident Evo Morales schließlich das Dekret 29122, das dem Staatskonzern "Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos" (YPFB) eine Monopolstellung bescherte. Im Dekret heißt es: "Nach der Veröffentlichung dieses Höchsten Dekrets, wird YPFB zum einzigen Exporteur von veredeltem Rohöl oder Treibstoffen." Morales erklärte dazu: "Der Staatsbetrieb muss nach der Konsolidierung der Nationalisierung in die Produktionskette eintreten."

Mit dem Dekret wurde nur noch YPFB befugt, Erdöl und Derivate zu exportieren. Die Regierung wollte damit Schluss machen, dass Petrobras Öl zu sehr niedrigen Preisen erhält und die daraus gewonnenen Produkte dann zu hohen internationalen Preisen auch an Bolivien, verkauft. Das Dekret spüle Bolivien täglich 200.000 US-Dollar in die Staatskassen, die zuvor bei Petrobras gelandet seien, rechnet die Regierung vor.

Das Dekret war ein Kompromiss. Denn für Nationalisierungen sind in Bolivien keine Enteignungen vorgesehen. Petrobras hätte zwar Eigentümer der Raffinerien bleiben können, jedoch die Produktion nicht selbst verkaufen und die Gewinne allein einstreichen können. Dies gefiel den Brasilianern natürlich nicht, was leicht zu verstehen ist. Deshalb drückte auch die brasilianische Regierung in einem Schreiben ihre "Unzufriedenheit" über das Dekret aus, das "einen Verhandlungsweg unmöglich machen" könne.

Petrobras forderte von Bolivien ultimativ, das Dekret innerhalb von 48 Stunden zurückzunehmen. Gedroht wurde nicht nur mit nationalen und internationalen Klagen, um seine "Rechte zu schützen". Der größte Investor in Bolivien drohte auch, seine Investitionen im Land zu stoppen und seine Besitztümer zu verkaufen. Allerdings dürfte den Verantwortlichen in der Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva und bei Petrobras schnell klar geworden sein, dass dieses Säbelrasseln wenig Aussicht auf Erfolg hat. Denn Brasilien ist nicht nur von Gaslieferungen aus Bolivien abhängig, mit der Drohung verschlechterte man sogar die Verhandlungsposition. Wer außer der bolivianischen Regierung sollte angesichts der Nationalisierungen die Aktiva von Petrobras in Bolivien erstehen?

So verhinderte das Dekret nicht den Verhandlungsweg, sondern schuf den entsprechenden Druck für eine Einigung. Mit der sind nun offensichtlich alle Seiten zufrieden. Nach zähen Verhandlungen wurden ein Kaufpreis 112 Millionen US-Dollar (82,8 Millionen Euro) für die beiden wichtigsten Raffinerien des Landes festgelegt. Zunächst hatte Bolivien 60 Millionen Dollar geboten, während Brasilien 200 Millionen forderte und erklärte, die Anlagen seien sogar noch viel mehr Wert. Allerdings hatte Petrobras nur 104 Millionen Dollar bezahlt, als die Raffinerien "Guillermo Elder Bell" im Departement Santa Cruz und "Gualberto Villaroel" in Cochabamba im Rahmen der Privatisierungen 1999 für 104 Millionen an die Brasilianer verscherbelt wurden.

So ist nicht verwunderlich, wenn sich nun auch der Petrobras-Chef José Sergio Gabrielli mehr als zufrieden mit dem Abschluss zeigt: "Es war ein exzellentes Geschäft", sagte er. Ohnehin liege Brasilien mehr am Gasgeschäft. Brasilien importiert aus Bolivien täglich 26 Millionen Kubikmeter Gas, das ist die Hälfte des gesamten Verbrauchs.

Auch die bolivianische Regierung feierte den Abschluss mit einer symbolischen Besetzung der Raffinerie Guillermo Elder Bell, bei der Morales das Oberste Dekret 29128 unterzeichnete, das die staatliche (YPFB) zum Eigentümer der beiden Anlagen machte. Morales sprach vor tausenden Anhängern von einem "historischen Tag", an dem das Land seine "Raffinerien vollständig zurückerhalten hat". Für Bolivien gab es auch zu feiern, dass in dieser Frage eine einvernehmliche Lösung mit Brasilien gefunden und eine weitere Zuspitzung des Streits mit dem einflussreichen Nachbarn vermieden wurde.

Präsident Evo Morales kündigt die Kooperation mit Venezuela bei der Ausbeutung des Erdölressourcen an. Bild: presidencia.gov.bo

"Dritte Etappe der Nationalisierung"

An einem harten Konflikt mit Brasilien hat Bolivien kein Interesse. Der würde den großen Nachbarn noch stärker unter den Einfluss der USA bringen. Brasilien kämpft mit dem US-Erzfeind Venezuela um die Vormachtstellung in der Region (Lula oder Chávez?), doch mit Venezuela ist Bolivien eng verbündet. Es ist für Venezuela und Bolivien schon schlimm genug, dass sich der Sozialist Lula auf die Strategie der neuen US-Energiepolitik einlässt, mit der auch der Einfluss von Venezuela und Bolivien eingeschränkt werden soll (Biosprit und die Angst vor steigenden Bierpreisen). Hugo Chávez und Evo Morales würden es viel lieber sehen, wenn sich Lula ihrer Alternative anschließen würde, die auch eine Distanzierung von den Institutionen wie dem Internationalen Währungsfond und der Weltbank vorsieht, die von der USA dominiert werden (Rückzug nach vorne).

Doch Bolivien will für strategische kontinentale Überlegungen seine nationalen Interessen nicht zurückstellen. Deshalb hatte der Rückkauf der Raffinerien für das Land eine sehr große Bedeutung. Nun kann das arme Land Diesel und Benzin wieder selbst produzieren, denn die Treibstoffe mussten trotz des Ölreichtums im Land teuer importiert werden. Der Staat wird den Export von Rohöl um fünf Millionen Barrel täglich senken, um damit die Produktion von Diesel und Benzin in den beiden Anlagen zu erhöhen. Insgesamt sollen zehn Millionen US-Dollar investiert werden, kündigte Morales an, um die Produktion dort auszuweiten. Bolivien spart damit Devisen, die bisher für den Import der Kraftstoffe ausgegeben wurden, zudem fallen Subventionen weg, mit denen bisher ihr niedriger Preis gewährleistet wurde.

Für den Ölminister Carlos Villegas hat mit dem Rückkauf der Raffinerien "die dritte Etappe der Nationalisierung begonnen". Er möchte den gesamten Prozess der Kommerzialisierung von Erdölprodukten kontrollieren. Jetzt kämen dem Land die Gewinne zugute, die in den Raffinerien geschaffen werden. Bei den Privatisierungen in den 1990er Jahren unter neoliberalen Regierungen sei die paradoxe Situation entstanden, dass YPFB aus der Produktion herausgedrängt wurde: "Sie wurde in eine Nebenrolle gedrängt, während eine staatliche brasilianische Firma die Produktionskette bildete, indem sie sich die diversen Produktionsphasen aneignete."

Sowohl Villegas als auch Morales hatten in den letzten Tagen weitere "Überraschungen" angekündigt. "Wir werden alles zurückgewinnen was Bolivien und den Bolivianern gehört", sagte Morales. Sein Ölminister Villegas wurde konkreter und kündigte nach dem Erfolg mit Petrobras für die nächsten Tage Verhandlungen mit Oil Tanking an, hinter der die deutsche Firma Marquard & Bahls AG steht, und der peruanischen Graña Montero. Sie kontrollieren die Logistikfirma CLHB. Mit dem Rückkauf will Bolivien auch die Lagerung und den Transport von Ölprodukten unter seine Kontrolle bringen.

Als Frist wurde ein halbes Jahr genannt, um mit weiteren Firmen zu Übereinkünften zu kommen. Betroffen werden die einst privatisierte Staatsbetriebe Chaco, Andina, Transredes und Transierra sein, hinter denen die großen Ölmultis, BP, Panamerican Energy, Repsol-YPF, sowie Shell und Prisma stehen. Angestrebt wird jeweils eine Aktienmehrheit oder deren vollständige Übernahme wie im Fall der Raffinerien.