Exzellenz auf niedrigem Niveau?

An der Berliner Humboldt-Universität nimmt eine studentische Umfrage die Studienbedingungen unter die Lupe und stellt damit die Erfolgsrhetorik der europaweiten Studienreformen in Frage

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Noch feiert sich die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) als beste Hochschule Ostdeutschlands, die ihre innerstädtische Konkurrentin im Kampf um Exzellenz und Drittmittel, die Freie Universität Berlin, überrundet glaubt. Denn so legen es die Ergebnisse der jüngsten Umfrage des Nachrichtenmagazins „Focus“ nahe, auf der die HU mit Platz sechs als einzige ostdeutsche Universität auf der TopTen-Liste vertreten ist. Gestern präsentierte jedoch eine studentische Initiative die Ergebnisse einer eigenen Umfrage unter den Studierenden der HU, deren Noten weitaus schlechter ausfallen und die den Erfolg der Studienreformen des Bologna-Prozesses insgesamt in Frage stellen. Exzellenz auf niedrigem Niveau?

Der Raum 3092 ist nicht gerade eine Perle unter den Hörsälen im Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin. Die hölzernen Bänke mit ihren Klappstühlen und Hängetischen stehen in engen Reihen. An vielen Stellen finden sich eingeritzte Botschaften in den teilweise splittrigen Spanplatten der Tische – wie Hilferufe eines gelangweilten Auditoriums. Hier und da fehlen die Stühle völlig oder ist der Mechanismus der Klapptische defekt, so dass sie nur quietschend herunterhängen.

Zu ihrer Pressekonferenz hätten die Initiatorinnen und Initatoren der „Projektgruppe Studierbarkeit“ kaum eine eindrucksvollere Kulisse finden können. Über ein Jahr lang haben sie die im Sommersemester 2006 unter den Studierenden der HU durchgeführte umfangreiche Umfrage in akribischer, ehrenamtlicher Arbeit ausgewertet. Insgesamt 2.873 Studierende aller Fachrichtungen und Semester, in alten und neuen Studiengängen nahmen daran teil. „Wie läuft das Experiment Studienreform?“ war die Umfrage überschrieben und sollte neben Fragen zu den Studienbedingungen an der HU auch die sozialen Hintergründe der Studierenden beleuchten. Als die Projektgruppe am Montag ihren Abschlussbericht von 320 Seiten vorlegte, streikte die Mikrofonanlage.

[Titelbild - Studiebarkeitsumfrage]

„Studierbarkeit“

Schon die Überschrift der Umfrage weckt Befürchtungen vor grausamen Sprachverzerrungen, wie sie in Seminaren besonders in Form substantivierter Adjektive üblich sind. Tatsächlich aber handelt es sich bei dem Begriff „Studierbarkeit“ keineswegs um studentische Einfallslosigkeit, sondern um einen Terminus technicus der Bildungsbürokratie. Seit den 80er Jahren bezeichnet die Kultusministerkonferenz (KMK) damit den Rahmen der Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um ein Studium innerhalb der Regelstudienzeit erfolgreich abschließen zu können. Die Initiatoren der Umfrage gehen noch ein Schritt weiter:

Sie wollen die Studierbarkeit der Studiengänge an der HU „nicht nur im Hinblick auf theoretisch zu erbringende, in den Studienordnungen festgeschriebene Leistungsanforderungen betrachten, sondern auch die Lebensrealitäten der Studierenden mit berücksichtigen. Es studiert schließlich niemand im luftleeren Raum.

Ergebnisbericht

Und weiter:

Daher kommt es darauf an, dass sich die satzungsrechtlichen Vorgaben möglichst an den Realitäten des Studienalltags orientieren und auch außeruniversitäre Belastungen des Studiums bei der Planung mitbedacht werden. Bei der Einschätzung der Studierbarkeit in dieser Studie wurden folgende Aspekte berücksichtigt: Zeitaufwand im Studium, Kombinierbarkeit von Studienfächern, Leistungsanforderungen im Studium, Zugang zu Lehrveranstaltungen, Qualität der Lehre, Infrastruktur und soziale Rahmenbedingungen.

Ergebnisbericht

Bologna – Visionen und Realitäten auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Hochschulraum

Noch älter als der Begriff selbst sind die Bemühungen oder zumindest Forderungen, die Studiengänge so zu reformieren, dass sie für die Studierenden mit ihren jeweiligen sozialen und bildungsbiographischen Hintergründen auch „studierbar“ sind. Seit der Bologna-Erklärung der Europäischen Bildungsminister zur Schaffung eines gemeinsamen Europäischen Hochschulraums vom 19. Juni 1999 haben sich die Rahmenvorgaben dieser Studienreform deutlich geändert.

Durch freiwillige Selbstverpflichtung haben sich mittlerweile 45 Staaten darauf festgelegt, bis zum Jahr 2010 die Studienabschlüsse an allen europäischen Hochschulen auf ein gestuftes Studiensystem nach dem Vorbild von Bachelor und Master umzustellen. Die bisherigen Magister- und Diplomstudiengänge laufen aus. Unterstützt durch ein einheitliches Leistungspunktesystem (ECTS) soll so die internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse erhöht werden. Den Studierenden soll damit der internationale Austausch erleichtert werden: Nach einem höchstens dreijährigen Bachelor-Studium, das bereits für einen Beruf qualifizieren soll, können sie überall in Europa ohne umständliche Anerkennungsverfahren ein Masterstudium aufnehmen. Eine schöne Idee.

Doch in der Realität sind die Ordnungen, Studiensysteme und Berechnungsgrundlagen für die Leistungspunkte nicht nur zwischen den Ländern sehr verschieden, sondern differieren auch zwischen den deutschen Universitäten erheblich. Die Umstellung auf Bachelor und Master stellt die Hochschulen vor große Herausforderungen, denn sie läuft nicht nur auf eine Änderung von Studien- und Prüfungsordnungen hinaus. Seit 1999 sind mittlerweile 48% der Studiengänge an deutschen Hochschulen auf Bachelor und Master umgestellt worden. Der am letzten Freitag im Plenum des Bundestags vorgestellte Zweite Bericht der Bundesregierung zur Realisierung der Ziele des Bologna-Prozesses weist über 5.660 neue Studiengänge (3.377 BA/2.283 MA) an den 338 deutschen Hochschulen aus.

Je nach Hochschule mussten teilweise Hunderte von Studiengängen neu konzipiert werden. Schließlich soll, was in den Diplom- und Magisterstudiengängen vier bis fünf Jahre in Anspruch nahm, nunmehr in höchstens drei Jahren studiert werden. Eine inhaltliche Reduzierung des Stoffumfangs und eine Neuausrichtung der Ausbildungsziele wären nötig gewesen. Nicht selten jedoch wurden die Inhalte im gewohnten Umfang auf die neuen Studienstrukturen übertragen – wo keine Zeit bleibt, müssen die Studierenden zu Hause nacharbeiten. Auch ist der Wechsel vom Bachelor zum Master keineswegs ein Automatismus, sondern soll lediglich den besten Bachelor-Absolventen möglich sein. Von einem einheitlichen deutschen Hochschulraum kann daher nicht die Rede sein – von einem europäischen schon gar nicht.

Viel Arbeit für die europäischen Bildungsminister/innen

Die von den Initiator/innen der Projektgruppe präsentierten Ergebnisse zur Umsetzung der Studienreformen an der Berliner Humboldt-Universität bestätigen diesen Trend facettenreich. Sie weisen daher durchaus über den Untersuchungsrahmen der HU hinaus und auf generelle Probleme der neuen Studienabschlüsse hin. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), wäre daher gut beraten, ein Exemplar der umfangreichen Auswertung mit nach London zu nehmen, wo die europäischen Bildungsminister am Donnerstag über den Stand der Umsetzung der Bologna-Reform und über weitere Maßnahmen zur deren Realisierung beraten wollen.

Nach der Lesart der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) verfolgt der Bologna-Prozess vor allem die folgenden Ziele:

  1. Internationalisierung des Hochschulstudiums;
  2. Flexibilisierung der Ausbildungswege durch die Einführung des Bachelorabschlusses als einen ersten berufsbefähigenden Abschluss, der kompakter und in geringerer Zeit einen Einstieg in das Berufsleben, aber auch ein vertiefendes oder spezialisierendes wissenschaftliches Weiterstudium im In- und Ausland ermöglicht;
  3. Erhöhung der Transparenz der Hochschulstrukturen;
  4. Förderung der Mobilität – national und international;
  5. Verringerung der Studiendauer und der Abbrecherquoten;
  6. Profilbildung der Hochschulen entlang ihrer Stärken auch mit Blick auf die Gestaltung der Studienangebote.

Allein die Ergebnisse der Umfrage an der HU lassen daran zweifeln, ob diese Ziele in absehbarer Zeit erreicht werden können. Denn offensichtlich liegen die diagnostizierten Probleme bereits in den Strukturen der neuen Abschlüsse begründet, weswegen sich nach der gegenwärtigen Lesart die Reformziele gegenseitig ausschließen.

Hoher Leistungsdruck

Wie die Ergebnisse der Umfrage zeigen, ist der Leistungsdruck in den Bachelor-Studiengängen deutlich angestiegen. Das zeigt sich einerseits in der Zunahme der Präsenzzeiten im Studium um durchschnittlich zwei bis drei Semesterwochenstunden und in der höheren Gesamtarbeitszeit, die Studierende in der Vorlesungszeit für ihr Studium aufbringen.

79% der Befragten in den neuen Studiengängen gaben an, wöchentlich mehr als 38 Stunden für ihr Studium aufzuwenden (9% mehr als 50 Stunden). In den alten Studiengängen liegen die Ergebnisse durchschnittlich um 6 Prozentpunkte niedriger. Zum anderen erklärt sich die Zunahme des Leistungsdrucks aus der Zunahme veranstaltungsbegleitender Klein- und Kleinstarbeiten wie Hausaufgaben, Arbeitsblätter, Zusammenfassungen, Protokolle, Essays usw., die selbst nicht in die Notengebung einfließen, aber als Voraussetzung für die Teilnahme an der Prüfung verlangt werden, mit der die Veranstaltung abgeschlossen wird.

Diese Formen „aktiver Teilnahme“ sind ein neues Phänomen mit bekannten Folgen. In ihrer Vielfalt behindern sie die Studierenden bei der Erfüllung ihrer Lernziele, schließen ein tiefergehendes Selbststudium aus und bürden den Lehrenden Kontrollpflichten auf, die nicht selten vernachlässigt werden. Anschaulicher als in Michael Lohmanns Beitrag Universitäre Lehre als Tragödie in Telepolis ist dies kaum analysiert worden. Die Zahlen im Ergebnisbericht der Projektgruppe (Seiten 79 ff.) machen deutlich, dass es sich bei den beschriebenen Problemen keinesfalls nur um Einzelfälle handelt.

Darüber hinaus ist mit der Modularisierung der Studiengänge die Anzahl der Prüfungen insgesamt gestiegen und sind Lehrveranstaltungen, Hausarbeiten, Referate, Leistungskontrollen und Abschlussprüfungen parallel in der Vorlesungszeit zu absolvieren, anstatt sie gleichmäßig über das Studienjahr abzuarbeiten. Dass ein Drittel der Studierenden an der HU nebenbei berufstätig ist, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, kommt noch hinzu. Das erhöht den Druck auf die Studierenden erheblich, so das Ergebnis der Studie. Auch komme es nicht selten zu temporären Überlastungen, die hohe Abbrecherquoten zur Folge haben, wie interne Statistiken der Hochschulen zeigen, die Grundlage der in den Hochschulverträgen mit dem Land Berlin festgelegten leistungsbezogenen Mittelzuweisung sind.

Schlechte Kombinierbarkeit, hohe Regelstudienzeitüberschreitung

Unter den beschriebenen Problemen leidet nicht nur die Wissenschaftlichkeit des Studiums, auch die Rahmenbedingungen für die Wahrnehmung der Lehrveranstaltungen werden davon negativ beeinflusst. Es nimmt daher nicht Wunder, dass die Qualität der Veranstaltungen und der Lehrenden von den Studierenden nur mit durchschnittlichen Noten bewertet werden. Vor allem aber dokumentiert die Umfrage deutliche Probleme bei der Kombinierbarkeit von Studiengängen an der HU:

Mehr als die Hälfte der Befragten hat in diesem Bereich Schwierigkeiten, neue Kombi-Bachelor-Studiengänge schneiden noch schlechter ab. Schwierigkeiten bei der Kombinierbarkeit entstehen durch Überschneidungen von Veranstaltungen (90%), verschiedene Studienstandorte (38%) oder das Studium an verschiedenen Hochschulen (22%). Außerdem ergeben sich Probleme dadurch, dass manche Lehrveranstaltungen nur einmal im Jahr oder nur von Dienstag bis Donnerstag angeboten und oftmals zeitlich überzogen werden, Zugangsbeschränkungen die Semesterplanung erschweren oder Job und Studium nur schwer in Einklang zu bringen sind.

Erschwert wird das Studium zudem durch Teilnahmebeschränkungen in überfüllten Seminaren, die bisher über 70% der Befragten erlebt haben. 50% gehen daher davon aus, dass dadurch die Einhaltung ihrer Regelstudienzeit insgesamt gefährdet ist. Allerdings halten es 69% der Studierenden auch nicht für vertretbar, wenn zur Vermeidung überfüllter Lehrveranstaltungen deutlich weniger Bewerber zum Studium an der HU zugelassen würden.

Geringe Transparenz in den Studienstrukturen

Auch die Transparenz der Studien- und Prüfungsordnungen ist durch die Einführung der Studienverlaufspläne nicht gestiegen. 40% der Befragten wissen nicht einmal, ob die von ihnen verlangten Leistungsanforderungen mit der jeweiligen Studien- und Prüfungsordnung übereinstimmen. Vor allem aber bei der Festlegung von Kriterien für die „Aktiven Teilnahme“ und für die Auswahl bei Teilnahmebeschränkungen in Seminaren ist den Studierenden oft unklar, wer die Entscheidung trägt oder wie die Kriterien im einzelnen aussehen.

Perspektivlosigkeit des Bachelorstudiums

Ein wirklich beunruhigendes Ergebnis der Umfrage ist die Einschätzung des Bachelors hinsichtlich seiner Qualifizierung für den Arbeitsmarkt. 78% der Befragten Bachelor-Studierenden halten den Bachelor kaum oder gar nicht für arbeitsmarktqualifizierend. Unter den Befragten in den alten Studiengängen ist diese Ansicht zu 83% vertreten.

Trotz aller Pressekampagnen werden die Vorbehalte gegenüber dem Bachelor auch in der Wirtschaft geteilt. So sahen sich der Bund der Arbeitgeber (BDA), der Stifterverband, die Bahn AG und das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) von Bertelsmann 2006 genötigt, unter den deutschen Unternehmen mit einer Kampange Bachelor welcome! für die neuen Abschlüsse zu werben, und im Bologna-Bericht der Bundesregierung heißt es hierzu:

Die Akzeptanz der Bachelor- und Masterstudienabschlüsse in Wirtschaft und Gesellschaft nimmt zwar zu, ist aber noch nicht ausreichend.

Angesichts dessen verwundert es nicht, dass bundesweit knapp 80% der Bachelorabsolvent von Universitäten ein weiteres Studium anschließen. An der HU streben durchschnittlich 65% der Bachelor-Studierenden ein Master-Studium an, in den Bachelor-Studiengängen mit Lehramtsoption sind dies sogar 87%. Hier wird die Dramatik der Zugangshürden zum Master-Studium besonders deutlich. Denn ohne den erfolgreichen Abschluss des Masterstudiums können die Studierenden nicht als Lehrer tätig werden. Entsprechend hoch ist der Druck. Die Befragten sprechen in der Umfrage von Angstzuständen und Perspektivlosigkeit, es gelte „besser zu sein, als die anderen 10.000“.

Mangelnde Internationalisierung

In der Auswertung der Umfrage wird das Leistungspunktesystem als zu starr und unflexibel beurteilt. Darunter leidet auch die Internationalisierung. Der durch Studienleistungen nachzuweisende Zeitaufwand von 1800 Stunden jährlich sei zu hoch, eine Reduzierung um 300 Stunden würde Zeit für individuelle Vertiefung, aber auch für Auslandsaufenthalte innerhalb des Studiums ermöglichen. Als Perspektivwunsch für die Zeit nach dem Studium werden Auslandsaufenthalte fast gar nicht benannt.

Blindheit gegenüber den sozialen Hintergründen von Studierenden

Generell wird den Studien- und Prüfungsordnungen Blindheit gegenüber den sozialen Umständen der Studierenden bescheinigt. Dabei ist die Gruppe derjenigen, die studienbelastende Kriterien außerhalb der Universität benennen, sehr groß:

Zwei Drittel der befragten Studierenden finanzieren ihr Studium durch Erwerbsarbeit. Dies lässt sich je nach Umfang der Erwerbstätigkeit mehr oder weniger gut mit dem Studiumvereinbaren. Im Ergebnis können weniger Lehrveranstaltungen besucht oder aber weniger (intensiv) Studienarbeiten erledigt werden – ein Faktor, der nicht selten zu einer Verlängerung des Studiums beiträgt [...] und gerade die Erwerbsarbeit ein wesentlicher Grund für Studienverzögerungen ist. Doch auch andere Lebensumstände können das Studium beeinträchtigen: Jeweils 8% der befragten Studierenden gaben an, unter einer chronischen Krankheit zu leiden, als Eltern neben dem Studium ihre Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen.

Keine Einzelfälle

„Viele der beschriebenen Probleme gibt es natürlich auch in den alten Studiengängen“, stellt Debora Gärtner von der Projektgruppe Studierbarkeit gegenüber Telepolis klar.

Die Humboldt-Universität verstand sich als Vorreiterin bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses. Alles ging sehr schnell, unsere Bedenken wurden nur selten zur Kenntnis genommen. Hinterher hieß es dann immer, die aufgezeigten Probleme seien Einzelfälle oder gingen auf individuelles Versagen zurück. Das vorliegende Ergebnis stellt eine Problembeschreibung dar, die nicht mehr nur auf Einzelfällen beruht.

Dementsprechend verstehen die Initiatorinnen und Initiatoren, zwei studentische Listen der akademischen Selbstverwaltung, den Bericht als Grundlage für ein Nachholen der zum Zeitpunkt ihrer Einführung unterbliebenen Diskussionen über die neuen Bachelor- und Master-Studiengänge.

Nicht ohne Wirkung. Mit einem siegessicheren Lächeln präsentierten sie eine Forderungsliste notwendiger Maßnahmen und Prof. Uwe Jens Nagel, der amtierende Vizepräsident für Studium und Internationales, der zur Pressekonferenz eigens seinen Mitarbeiterstab geladen hat, bemühte sich um Integration. Die Ergebnisse würden sehr ernst genommen, man müsse sie eingehend auswerten und sich dann baldmöglichst zusammensetzen, um ein gemeinsames Maßnahmepaket zu schnüren. Er gehe davon aus, dass die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master noch mindestens drei Jahre beanspruchen werde.

Auch anderswo werden die Ergebnisse der Umfrage bestätigt. So traten bei einer von der Hochschulleitung der FU in Auftrag gegebenen Umfrage unter den Bachelorstudierenden der FU ähnliche Probleme zu Tage. Allerdings wurden die Ergebnisse erst unter massivem Druck der Studierendenvertretung veröffentlicht.

Auch von Seiten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gibt es Kritik am Umsetzungsstand der Bologna-Reform. Peter Zervakis, Projektleiter der Service-Stelle Bologna bei der HRK, sagte, die Studie offenbare Probleme, wie sie auch an anderen Hochschulen zu beobachten seien. Hauptsächliche Ursache sei Geldmangel. Die Landesvorsitzende der GEW, Rose-Marie Seggelke, zweifelt daran, dass es ohne zusätzliche Mittel in absehbarer Zeit zu einer besseren Betreuung der Studierenden und eine sinnvolle Umsetzung der Bologna-Reformen kommt:

Das setzt voraus, dass ausreichend qualifiziertes Lehrpersonal vorhanden ist. Die vom Land Berlin bis 2009 beschlossene Kürzung der Zuschüsse an die Hochschulen hat mit dazu beigetragen, dass es hier erhebliche Defizite gibt. Mit sinkenden Finanzmitteln ist diese Aufgabe nicht zu stemmen.

Derweil fragt der bildungspolitische Sprecher der Linkspartei in Berlin, Tobias Schulz, in einer kleinen Anfrage an den Senat von Berlin, wie dieser mit den Ergebnissen der Umfragen an FU und HU umzugehen gedenke und welche Maßnahmen seit der im letzten Jahr unternommenen „Qualitätsoffensive“ zur Verbesserung der Lehre an den Berliner Hochschulen ergriffen wurden.

Elitediskurs

Wie also kann es sein, dass die Humboldt-Universität in der Umfrage des Nachrichtenmagazins Focus zur besten Ostdeutschen Hochschule gekürt wurde?

Zunächst fällt auf, dass bei der Focus-Befragung nicht Studierende, sondern 1000 Dekane und 2500 Wissenschaftler und 5000 Personalverantwortliche in Unternehmen und Großkanzleien über den Ruf von Forschung und Lehre der Fachbereiche befragt wurden. Zum anderen stützt sich das Ranking je Fach auf bis zu neun Indikatoren, darunter Betreuungsverhältnis, Studiendauer, Drittmittelquote, Promotionsquote, Publikationserfolg und Patentaktivität. Alles quantifizierbare Indikatoren, die sich gut abrechnen lassen.

Das ist auch ein Kritikpunkt der studentischen Umfrage, die bewusst auf solche Indikatoren verzichten und statt dessen die Betroffenen selbst zu Worte kommen lassen wollte. Wie in den Schlussbemerkungen der Studie unterstrichen wird, werde durch Hochschulrankings ein neues Bild von Wissenschaft geprägt, in dem es stets auf den messbaren „Output“ von verwertbaren Ergebnissen ankomme.

Tendenziell wirkt dieses System immer nur einseitig zugunsten finanz- und leistungsstarker Einrichtungen. Auch Studierende werden von diesem rein output-orientierten Bewertungssystem nicht ausgenommen. Die Tendenz, Studierende nicht als gestaltende und teilnehmendeMitglieder der Hochschule, sondern als Kundinnen und Kunden derWare Ausbildung zu begreifen, richtet Studien- und Hochschulreformeher am unterstellten Bedarf ökonomischer Prosperität aus, denn an den Erfordernissen gesellschaftlicher und individueller Entwicklung. Der Abstimmung in den Gremien folgt dann die Abstimmung mit den Füßen derjenigen, die deswegen noch da sind, weil sie es sich leisten können.

Am Ende steht daher die Mahnung an die Hochschulleitung, die Politik und die Lehrenden, Studierende als erwachsene Menschen zu behandeln, ihnen auch die Möglichkeit für Fehler und deren Korrekturen zu geben und echte Mitbestimmungsmöglichkeiten einzuräumen. Vor allem aber sollten die Adressaten der Umfrage „nicht immerfort glauben, besser zu wissen, was für uns Studierende am besten ist. Manchmal hilft schon nachfragen.“