Vorsicht bei der Internetrecherche?

Die Hausdurchsuchungen bei Kritikern des G8-Gipfels wurden unter anderem mit Suchbegriffen bei der Internetrecherche begründet.

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Heute schon nach „Dussmann“ gegoogelt? Nach „Heiligendamm“? Nach „Irak“? Oder nach „Hitler“ ohne „Guido Knopp?“ Wie jetzt ans Licht kam, reicht so etwas potentiell für eine Hausdurchsuchung. Bisher muss noch eine „Internetüberwachung“ angeordnet werden, damit Behörden wissen, wer was googelt. Aber nach der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung droht die Begründung für eine Hausdurchsuchung bei jedem Bürger mit Internetanschluss zur reinen Formalie zu werden.

Rückblick 2005: Labournet und Paul Lafargue

Im Juli 2005 kam es zu Hausdurchsuchungen beim Labournet, genauer: bei Mag Wompel (verantwortliche Chefredakteurin), Wolfgang Schaumberg (Vorstandsvorsitzender des Trägervereins) und Ralf Pandorf (Redaktion und Vorstand). Konfisziert wurden hier Computer (Laptops, Server, Ersatzgeräte), viele CD-ROMs, Disketten und Teile des archivierten Schriftverkehrs. Die Begründung für diese Hausdurchsuchungen mutete absurd an.

Ein Flugblatt, aufgemacht, als sei es von der Bundesagentur für Arbeit kommend, war verteilt worden. Im darauf folgenden Bekennerschreiben hatte sich das "Kommando Paul Lafargue" für das Flugblatt verantwortlich gezeichnet und ferner auf Labournet hingewiesen.

Damit ist genau das eingetreten, was wir befürchtet hatten: Auf dem eigentlichen Flugblatt steht nichts vom Labournet, von ursächlicher 'Urkundenfälschung' kann also keine Rede sein. Und ein nachfolgendes Bekennerschreiben eines 'Kommandos Paul Lafargue' mit dem Hinweis auf unsere Homepage und die Aktion Agenturschluß reicht aus, um die Wohnungen von drei Menschen zu durchsuchen. Es gibt also tatsächlich mindestens einen Staatsanwalt und mindestens einen Richter, der dies für so schwerwiegend hält, dafür das Prozedere einer Hausdurchsuchung in Gang zu setzen.

Ralf Pandorf von Labournet

2007: Dussmann, Anschläge und Flugblätter

Die jüngsten Hausdurchsuchungen (Erinnerung an Genua) erinnern angesichts der Begründungen an eben diese Hausdurchsuchungen sowie an die Cicero-Affäre. Die Pannen, die bei diesen Durchsuchungen vorkamen, sind vielfältig – Adressen wurden nicht überprüft, im Vorfeld einer der Durchsuchten benachrichtigt usw. Besonders seltsam jedoch mutet der Fall eines Mitgliedes der Initiative Fels an.

Fels beschäftigt sich unter anderem mit den Themen Rassismus und Migration. Nun gibt es sicherlich eine Vielzahl von Initiativen, welche sich mit diesen Themen beschäftigen, bei dem jungen Fels-Mitglied muss jedoch ein Vorverdacht, welcher derzeit unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungsverfahren seitens des BKA nicht weiter erklärt werden kann, vorgelegen haben, so dass eine „Internetüberwachung“ stattfand. Bislang wurde nicht weiter erläutert, wie diese Überwachung stattfand.

Das BKA hält sich derzeit bedeckt, weist auf die jüngsten Stellungnahmen des Generalbundesanwaltes hin, welcher die Rechtmäßigkeit der Hausdurchsuchungen betont. Was jedoch über den Fall bekannt ist, wirft mehr Fragen auf, als Antworten gegeben werden. So soll der junge Mann im Internet über die Firma Dussmann recherchiert haben. Auf ein Gebäude eben dieser Firma war im März ein Brandanschlag verübt worden. Im Bekennerschreiben tauchten, so die momentanen Informationen, auch die Schlagworte auf, die zur Initiative Fels führen: Rassismus und Migration. Bei dem jungen Mann wurde dann neben den „üblichen Gegenständen“ wie PC, CDs etc. auch ein Bewerbungsschreiben konfisziert. Dieses Bewerbungsschreiben war an die Firma Tchibo gerichtet. Da auch auf den Wagen des Tchibo-Vorstandes Thomas Vollmoeller ein Brandanschlag verübt worden war (Dezember 2005), fand man anscheinend das Bewerbungsschreiben interessant.

Die Mitgliedschaft bei Fels sowie die Internetrecherche führten letztendlich zur Hausdurchsuchung. Dem jungen Mann wurde noch eine DNS-Probe entnommen und dann wieder auf freien Fuß gesetzt. Ein Haftbefehl lag nicht vor.

Da das BKA derzeit keinerlei Informationen herausgibt und sich auf den Generalbundesanwalt beruft, kann nur spekuliert werden, wie diese dürftigen Einzelinformationen so zusammengesetzt wurden, dass sie als Begründung für eine Hausdurchsuchung reichten. Das BKA beeilt sich jedoch zu sagen, dass es hier keineswegs darum ging, friedliche G8-Kritiker einzuschüchtern oder gar von der Teilnahme an Demonstrationen abzuhalten. „Wir leben in einer Demokratie und wir schützen die gewaltfreien Demonstranten“, heißt es. Dass die Demonstrationen zum G8-Gipfel nun immer weiter von denen, die sie ja registrieren sollten, abrücken müssen, da die Bannmeilen erweitert wurde (Die "internationalen Interessen" Deutschlands gegen die der Demonstranten), sei nur auf die gewaltbereiten und militanten Demonstranten zurückzuführen. Hier verweist man auf die 21 Brandanschläge, die in Zusammenhang mit der Kritik am G8-Gipfel gebracht werden, und darauf, dass man die Pflicht habe, friedliche Demonstranten zu schützen. Die Schuld an der Erweiterung der Bannmeile sei die Schuld derer, die sich militant geben, die zur Erstürmung des Zaunes aufgerufen haben etc.

Unabhängig davon, ob man nun den Zaun oder die Reaktion auf den Zaun als Auslöser sieht, bleibt hinsichtlich der Hausdurchsuchungen die Frage offen, inwiefern hier Verdachtsmomente zusammengestrickt wurden. Zu schnell kann an Hand von wenigen Informationen ein Verdacht aufkommen, zu schnell werden heutzutage daraufhin – so hat es den Anschein – auch Hausdurchsuchungen initiiert. Wenn aber die wenigen Informationen über das Fels-Mitglied für eine Hausdurchsuchung und zum Eintrag in die DNA-Datenbank ausreichen, so stellt sich die Frage, welche Folgen die Vorratsdatenspeicherung haben wird, wenn sie tatsächlich in Deutschland eingeführt wird.

Informationspuzzle

Werden tatsächlich demnächst Verbindungsdaten von Handy, Telefon und Internet sechs Monate lang oder sogar länger aufbewahrt, so ist jetzt schon abzusehen, dass diese Daten nicht nur zur Verhinderung und Aufklärung von Terrorismus genutzt werden. Bereits jetzt wurde im deutschen Umsetzungsbeschluss zur Vorratsdatenspeicherung die Ergänzung eingefügt (2006 - da sind wir völlig machtlos), dass die Daten zur Aufklärung „mittels Telekommunikation begangener Straftaten“ dienen sollen. Bedenkt man die neuen Urheberrechtsregelungen, so ist davon auszugehen, dass hier der direkte Auskunftsanspruch gegenüber den Providern ansteht, auch wenn dieser von Bürgerrechtlern, Providern und Datenschützern gleichermaßen kritisiert wird.

Die Verbindungsdaten jedoch sagen an sich nicht unbedingt viel aus – einerseits ist natürlich nicht zwangsläufig der Nutzer auch derjenige, der den Vertrag mit dem Provider abgeschlossen hat, andererseits sind gerade Verbindungsdaten nur dann aussagekräftig, wenn sie mit Inhalten verknüpft werden können. Ohne diese Inhalte können sie bestenfalls Anhaltspunkte sein, denn ein Anruf bei einer Telefonseelsorge kann vom Wählen der falschen Nummer über Hilfe für sich oder andere bis hin zur Recherche alles bedeuten. So wie auch im Falle der Hausdurchsuchung beim Fels-Mitglied die Recherche zur Firma Dussmann viele Gründe haben kann.

Umso wichtiger ist, dass die Daten mit der erforderlichen Sorgfalt behandelt werden und nicht vorschnell Verdachtsmomente konstruiert werden (können). Zur Zeit ist jedoch eher das Gegenteil zu befürchten, so dass es demnächst vielleicht sinnvoll sein könnte, ein Tagebuch zu führen, um in bester Krimimanier zu erläutern, mit wem man wann warum was besprochen hat.

Eigentore

Beim Russland-EU-Gipfel in Samara ist zudem das eingetreten, was Bürgerrechtler schon seit langem als problematisch ansehen und wovor sie warnten. Die Bundesregierung, die zunehmend mit eher fadenscheinig erscheinenden Begründungen Rechte wie die Meinungs-, Informations- oder Versammlungsfreiheit beschneidet, verliert zeitgleich auch ihre Legitimation, andere Länder für deren Verhalten Kritikern, Demonstranten und Journalisten gegenüber zu tadeln oder die Beachtung der Menschenrechte anzumahnen.

Als Kanzlerin Merkel Präsident Putin für die Behandlung Gary Kasparows und anderer Bürgerrechtler kritisierte, konnte Putin kontern und auf die Razzien bei G8-Kritikern hinweisen. In Deutschland, so der Präsident, würde man doch die gleichen Maßnahmen anwenden (Russische Verhältnisse in Heiligendamm?).