Umpflügen statt Gen-Mais ernten?

Das Bundesamt für Verbraucherschutz verbietet den Verkauf von MON 810-Saatgut kurz nach der Aussaat

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Ein Bescheid des Bundesamtes für Verbraucherschutz (BVL) sorgt derzeit für Verwirrung unter Landwirten. Die amtliche Anweisung verbietet nämlich die Abgabe des genveränderten Mais-Saatguts der Linie MON 810 von Monsanto, solange der Konzern keinen umfassenderen Plan zur Beobachtung der Umweltauswirkungen vorlegt. Begründet wird das Verkaufsverbot mit neuen Informationen über mögliche Risiken, etwa für Nichtzielorganismen. Doch dieses Jahr wurde bereits ausgesät. Nach Auffassung des Berliner Rechtsanwalts Achim Willand müssten jetzt die Landesbehörden Konsequenzen ziehen. Sie könnten Landwirte beispielsweise anweisen, ihre Felder umzupflügen.

Etwa 0,2 Prozent der gesamten Mais-Anbaufläche in Deutschland wurden dieses Jahr mit gentechnisch verändertem Mais bestellt. Die überwiegend verwendete Monsanto-Linie MON 810 ist insektenresistent und soll vor dem Maiszünsler schützen. Die Aussaat ist unter anderem in Frankreich und Deutschland genehmigt. In Österreich, Ungarn, Polen und Griechenland wurde MON 810 schon verboten. Ob die fünf durch das deutsche Bundessortenamt zugelassenen MON 810-Sorten auch über eine gentechnikrechtliche Zulassung verfügen, ist seit längerem strittig. Nach Auffassung des Berliner Anwaltsbüros Gaßner, Groth, Siederer & Coll (GGSC) „ergibt sich aus der maßgeblichen französischen Zulassung“, dass „lediglich die in Frankreich verwendeten Saatgutsorten, nicht aber die hierzulande angebauten Sorten der Linie MON 810 zugelassen wurden“. Darüber hinaus hat MON 810 nach Europäischem Recht eigentlich nur eine Genehmigung für eine bestimmte Übergangszeit. Nach den neuen, strengeren Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit wurde er nämlich bis dato noch nicht abschließend geprüft.

Wie auch immer, in Deutschland ist MON 810 derzeit die einzige in größerem Maßstab kommerziell angebaute GV-Pflanze. Der Bescheid (Anm. er liegt der Redaktion vor) aus dem Bundesminister Horst Seehofer unterstelltem Amt sorgte deshalb für einige Aufregung. Das Schreiben selbst hat es nämlich durchaus in sich. Denn es rückt den GV-Mais, den die Abnehmer in der Landwirtschaft bisher als ausreichend geprüft einschätzten, in die Nähe einer Risikokultur. So heißt es darin etwa im Hinblick auf mögliche Gefahren für Nichtzielorganismen, wie Schmetterlinge oder andere Insekten:

Erst mit jüngeren Untersuchungen wurde deutlich, dass und in welchem Ausmaß das Bt-Toxin über die Pflanze in höhere Nahrungskettenglieder gelangt. (...) Diese neuen und zusätzlichen Informationen (...) geben berechtigten Grund zu der Annahme, dass der Anbau von MON 810 eine Gefahr für die Umwelt darstellt.

Das Unternehmen wird deshalb aufgefordert, einen Plan für eine „eingehendere Überwachung als es bisher der Fall ist“, vorzulegen. Darunter fallen u.a. die Erhebung von Daten zur „Exposition des Bt-Toxins in der Umwelt (z.B. über Pollen, Silage, Pflanzenreste im Boden)“ oder auch die Prüfung der „Entwicklung von Sekundärschädlingen“. Die Risikomomente wurden als so schwerwiegend eingeordnet, dass die unmittelbare Vollziehung des Bescheids angeordnet wurde.

Wegen der unmittelbar bevorstehenden Aussaat war eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse aus Zeitgründen erforderlich, vgl. § 28. Abs. 2 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes.

Der mit 27. April 2007 datierte Bescheid kam dennoch zu spät. Denn es wurde bereits gesät. Der Zeitpunkt der Aussendung sorgt für einige Spekulationen in Fachkreisen. War es ein Versehen oder wurde die Aussendung bewusst hinausgezögert? Christoph Then von Greenpeace meint dazu gegenüber Telepolis:

Der Zeitpunkt ist unbegreiflich. Die Landwirte werden allein gelassen mit der Feststellung, dass sie ein Produkt anbauen, das Risiken für die Umwelt bergen könnte. Aber weder der Staat noch die Firma übernehmen die Verantwortung und entsorgen das Saatgut. Seehofer hätte den Erlass im Februar oder März rausgeben müssen. So kann man nur sagen: Diese politischen Handlungen entbehren der notwendigen Glaubwürdigkeit und Sinnhaftigkeit.

Eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums verweist allerdings gegenüber Telepolis darauf, dass „aufgrund der Witterungslage heuer bereits sehr früh ausgesät wurde“. Allerdings stammen die in dem Bescheid angeführten neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu möglichen Risiken bereits aus den Jahren 2005 und 2006. Warum nicht bereits im Januar oder Februar, also rechtzeitig vor der diesjährigen Aussaat, reagiert wurde, ist deshalb nicht ganz nachvollziehbar.

Müssen Landesbehörden vorsorglich handeln?

Die entscheidende Frage lautet nun, was passiert mit der diesjährigen Saat? Monsanto könnte gegen den Bescheid Einspruch erheben und einen Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung stellen. Nach Einschätzung des Rechtsanwalts Dr. Achim Willand von der Kanzlei GGSC, die erst kürzlich für Imker Schutzmaßnahmen vor GV-Mais am Verwaltungsgericht Augsburg durchsetzen konnte, haben aber vor allem die zuständigen Landesbehörden jetzt dringenden Handlungsbedarf. „Der Bescheid zeigt ja eine klare Verdachtslage auf. Und da muss die Frage nach der Vorsorgepflicht gestellt werden“, so Willand im Telepolis-Gespräch. Die Landesbehörden könnten etwa ein Umpflügen der bereits bestellten Felder anordnen.

Anders sieht man das im Seehofer-Ministerium. Pressesprecherin, Dr. Ursula Huber, stellt gegenüber Telepolis klar:

Unser Ministerium hat einen Erlass an das BVL geschickt, das BVL hat einen Bescheid an Monsanto geschickt. Unser Erlass erfolgte aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse, die ein besseres Monitoring angeraten erschienen ließen. - Der Bescheid der BVL an die Firma Monsanto betrifft Saatgut, das ab dem Zeitpunkt des Zugangs des Bescheides an Monsanto verkauft wurde/wird. Das bedeutet: Saatgut, das bereits bei den Landwirten ist oder bereits im Boden ist, ist nicht mehr betroffen.

Monsanto wiederum behauptet, dass bereits jetzt ein Monitoring-Programm betrieben werde, „das den zukünftig geforderten Auflagen voll und ganz entspricht.“ Dem widerspricht, und auch im Landwirtschaftsministerium kennt man bis dato nur die diesbezügliche Erklärung der Monsanto-Presseaussendung.

Ob die Landwirte mit MON 810 ein wirklich „sicheres Produkt“ (Monsanto) erworben haben, könnte erst die Auswertung eines umfassenden Monitorings beweisen. Indes mehren sich aber die Hinweise, dass es Risiken gibt. Erst unlängst machte Greenpeace auf starke Schwankungen des Bt-Toxins bei MON 810 aufmerksam. Das hätten eigene Untersuchungen ergeben, aber auch eine Studie des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum, Rheinpfalz. "Zwischen den Pflanzen konnten Schwankungen im Giftgehalt bis zum Hundertfachen gemessen werden. Es zeigt sich wieder einmal, wie unberechenbar diese Technologie in Wahrheit ist“, erklärt Christoph Then von Greenpeace zu den eigenen Untersuchungen.

Die Ursachen für diese Effekte sind nicht geklärt. Möglicherweise reagieren die Pflanzen auf Umwelteinflüsse, eventuell ist das eingebaute Gen auch nicht stabil. Bezüglich des MON 810-Anbaus in Deutschland der Saison 2007 fordert Then: „Unterpflügen und Entschädigung an die Landwirte zahlen!“