Molli, Macht und Meer

Der G8-Gipfel als Höhepunkt von Politik-Inszenierung

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„Münster, Molli, Moor & Meer“, so lautet der touristische Slogan des Seebads Heiligendamm. Mit „Molli“ ist allerdings nicht der bekannte Molotow-Cocktail gemeint, sondern eine dampfbetriebene Schmalspurbahn. Für sie gibt es auch ein Loch im 15 Kilometer langen Sicherheitszaun, der die G8-Gipfelteilnehmer vor ihren Bürgern schützt. Und der Metallzaun ist wohl auch der Grund, warum das Treffen der Regierungschefs nicht im Veranstaltungskalender des Seebades unter der Rubrik „Höhepunkte“ eingetragen ist - dort steht nur ein Hinweis auf das am 2. Juni beginnende „Aqua Nostra“ - das „Wasserfest“ (was im übrigen nichts mit dem Einsatz von Wasserwerfern zu tun hat). Dabei ließe sich „G8“ - sprachlich dem einst von dem deutschen Gynäkologen Ernst Grafenberg entdeckt „G-Punkt“ der Sexualität ähnelnd - durchaus als Höhepunkt deuten: Dem der Bedeutungsaufladung der beteiligten Politiker und der ökonomischen Mobilisierung von Politik als Event.

„Narzissmus ist eine Charaktereigenschaft, die sich durch ein geringes Selbstwertgefühl bei gleichzeitig übertriebener Einschätzung der eigenen Wichtigkeit und dem großen Wunsch nach Bewunderung auszeichnet“, sagt uns Wikipedia. Über den Zusammenhang von Politik und Narzissmus geben Studien wie die des Psychotherapeuten Hans-Jürgen Wirth („Narzißmus und Macht“) Auskunft. Über den Zusammenhang von Macht und einem Aufwand, der in bislang unbekannte Dimensionen vorstößt, scheint uns der G8-Gipfel zu lehren. Man muss sich das so vorstellen: Es treffen sich acht Regierungschefs eineinhalb Tage zu Besprechungen. Wenn sie auf das Meer hinaussehen, sehen sie amerikanische Kriegsschiffe. Wenn sie in das Landesinnere sehen, sehen sie einen Metallzaun (Kosten: rund 12 Millionen Euro).

Für ihr 36-stündiges Treffen sind 16.000 Polizisten im bis dahin größten Einsatz der Landespolizei unterwegs. „Im Frühjahr 2005 erfuhr ich in meiner dienstlichen Verwendung als 1. Sachbearbeiter/EE der Polizeiinspektion Rostock während einer Dienstbesprechung...“(vom Einsatz). „Diese Nachricht hatte ich dann über Ostern zu verdauen, immerhin hingen an dieser Entscheidung viele persönliche, vor allem familiäre Probleme“, berichtet dazu etwa Polizeibeamter Stefan Damrath, „Stabsbereich 1“ (Kosten des „Sicherheitspakets“ für das Land Mecklenburg-Vorpommern: 70 Millionen Euro).

Für ihr 36-stündiges Treffen stehen zudem die GSG9-Kampfgruppe, 1.100 Mitglieder der Bundeswehr (Kosten: 10 Millionen Euro), Beamte der Bundespolizei, des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamtes, Einheiten der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes, Rettungskräfte, Phantom-Abfangjäger und AWACS-Aufklärungsflugzeuge sowie Tillmann Hahn, der Meisterkoch vom „Friedrich Franz“ im Kempinski Heiligendamm zur Verfügung.

Für das 36-stündige Treffen werden 5.000 Journalisten aus aller Welt anreisen, das neu errichtete Pressezentrum in Kühlungsborn (Kosten: 15,4 Millionen Euro) bietet auf einer Fläche von 7.800 Quadratmetern rund 3.500 Arbeitsmöglichkeiten. Hinzu kommen 100.000 Gipfelkritiker. „Das ist eine teure Machtdemonstration, wahrscheinlich der kostspieligste Unsinn in der Geschichte der Bundesrepublik", sagt Lotta Kemper von der Gipfel-Gegner-Pressegruppe Campinski.

Doch dieser enorme Aufwand an Lebenszeit und Geld für Verhandlungen, die ja längst auf politischer Verwaltungsebene unterschriftsreif gemacht wurden, lässt sich auch unter dem Aspekt einer Event-Kultur betrachten. Der G8-Gipfel, dessen inhaltlicher Kern nicht nur angesichts des Aufwandes massiver Kritik ausgesetzt ist (attac: „keine demokratische Kontrolle“), wird seinerseits zum Kern einer Sinn-Inszenierung. Rund um Heiligendamm entfaltet sich neben dem Aufmarsch der Ordnungshüter ein bunter Reigen an ökonomischen, kulturellen und politischen Manifestationen.

Harald Ringstorff (SPD), Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, sieht in dem G8-Gipfel eine „Riesenchance“, das Medieninteresse biete eine hervorragende Gelegenheit, für den Nordosten zu werben. Das meint auch der Tourismusverband, der zum Gipfel eine eigene Broschüre herausgibt (darin Themen wie: „Einschränkungen der Verkehrsverbindungen“, „Notdienste“). Von den 60.000 Heften sollen alleine 5.000 an die Globalisierungsgegner von attac gehen. Die Hotels an der Küste sind mittlerweile ausgebucht, die Zimmerpreise haben sich für die beiden ersten Juni-Wochen verdoppelt.

Wird der Tourismusverband publizistisch aktiv, bleibt auch die Polizei nicht faul. Die „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) mit dem Namen „Kavala“ (steht für eine nordgriechische Stadt, weil dort die Häuser auch so „weiß sind wie in Heiligendamm“) gibt für die eingesetzten Polizisten ein eigenes Hochglanzmagazin namens - wen wundert’s - „Kavala-Report“ heraus. Auflage: 10.000 Stück. Dort ist zum Beispiel ein Interview mit einem „Herrn Powrie“ zu lesen, vormals Einsatzleiter beim G8-Gipfel 2005 in Gleneagles/Schottland. Von ihm erfahren wir nicht nur, dass er die Gegend „sehr schön“ findet, sondern auch, dass es eine bislang kaum in der Öffentlichkeit aufgetauchtes „Internationales Programm zur permanenten Begleitung von Großereignissen“ (IPO) der UNO gibt. Deren Berater beraten Regierungen in Sicherheitsfragen bei Großveranstaltungen („So war ich z.B. im November in Peking als Berater tätig“). Gipfelgegner werden allerdings nicht beraten, da die IPO-Berater nur auf „gouvermentale „Anfragen tätig werden.

Nicht unerwähnt bleiben sollen rund um den G8-Sinnkern die kulturellen Aktivitäten. So wird sich wenige Tage vor dem Gipfel die Seebrücke Heringsdorf in eine „Bridge of Fashion“ verwandeln (50 Models zeigen aktuelle Kollektionen von 15 Designern). Für das Rockkonzert, auf dem unter anderen Herbert Grönemeyer auftritt, wurden bereits 20.000 Eintrittkarten verkauft. Für das Kunstprojekt „Art goes Heiligendamm“ werden „internationale Künstler und Künstlerinnen in Rostock erwartet“, um den „Blick auf brennende Fragen der Globalisierung“ zu lenken, so Kuratorin Adrienne Goehler. Die evangelische Kirche plant eine Gebetskette in der Rostocker Marienkirche und das ZDF dreht schon seit Monaten mit zwei Kamerateams die Vorbereitungen zum Gipfel. Titel der Dokumentation: „Hinter verschlossenen Türen“. Und auch die Bauern der Region sollen nach dem Rat eines CDU-Politikers mit dem irgendwie zum Lande Mecklenburg-Vorpommern passenden Namen Henning von Storch zur Kamera greifen und dokumentieren. Ihre Wiesen und Äcker, um später im Fall von Schäden durch Demonstrationen oder Polizeieinsätzen Entschädigung anzumelden.