Frontex als Schrittmacher der EU-Innenpolitik

Die Grenzschutztruppe mit den Soforteinsatzteams entzieht sich weitgehend der Kontrolle des EU-Parlaments

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Am 26.4.2007 nahm das Europäische Parlament die Verordnung “über die Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke” an.1 Sie geht im wesentlichen auf einen Entwurf des Rates der Innen- und Justizminister der EU zurück, wurde aber vom EP um Floskeln hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Mittel und des Schutzes der Menschenrechte sowie Schutzbedürftiger ergänzt. Die Vorlage wiederum entstand aufgrund einer gemeinsamen Initiative des deutschen Innenministeriums und des EU-Kommissars für Justiz, Freiheit und Sicherheit, Franco Frattini. Beide machen sich schon lange für die Bildung einer gesamteuropäischen Grenzschutztruppe stark und drängen die Mitgliedsstaaten seit Beginn des Jahres, der Grenzschutzagentur Frontex Ausrüstung und Personal zur Verfügung zu stellen (Frontex mit neuen Zielen). Erklärtes Ziel des deutschen Innenministeriums war es, noch während der deutschen Ratspräsidentschaft die gesetzliche Grundlage für so genannte Schnelle Einsatzkräfte für den Grenzschutz (Rapid Border Intervention Teams, RABITs) unter der Kontrolle von Frontex zu schaffen, was mit der legislativen Entschließung des EP nun geschehen ist.

Damit hat das Parlament erneut dem Ausbau einer Behörde zugestimmt, die sich ihrer Kontrolle weitgehend entzieht. Ohne über deren Tätigkeiten informiert zu sein, hatte es im vergangenen Jahr bereits das Budget von Frontex auf 35 Mio. Euro erhöht und damit gegenüber 2005 mehr als verfünffacht. Dieses Budget ist jedoch nur für die laufenden Kosten der Warschauer Agentur vorgesehen, da die in Einsätzen verwandten Beamten und Gerätschaften zusätzlich von den Mitgliedsstaaten finanziert werden.

Neben dem Einfluss auf das Budget kann das Parlament lediglich Berichte von FRONTEX einfordern, von denen jedoch im vornherein feststeht, dass sie oberflächlich bleiben und keinen Einblick in die operative Tätigkeit der Behörde ermöglichen werden, da dies nach Angaben ihres Exekutivdirektors Ilkka Laitinen den Erfolg der Missionen gefährden würde. Dieser umgibt Frontex ohnehin gerne mit der Aura einer Geheimbehörde, bezeichnet seine Mitarbeiter als Agenten und gibt keine aussagekräftigen Informationen an die Presse weiter. Der Frontex-Jahresbericht für 2006 umfasst gerade 35 Seiten, wobei die ersten operativen Einsätze Hera I und Hera II vor den Kanaren gerade auf einer Seite abgehandelt werden. Immerhin wird berichtet, wie viele Schiffe und Flugzeuge aus welchen Mitgliedsstaaten beteiligt waren. 5.000 Menschen seien bereits in Afrika von einer Überfahrt abgehalten worden, 3.887 Migranten in 57 Booten seien nahe der afrikanischen Küsten gestoppt und umgeleitet worden. Wohin, mit welchen Mitteln und auf Grundlage welcher internationaler Abkommen dies geschah, wird im Bericht nicht angegeben.

Im April stellte der kanarische Europaabgeordnete eine offizielle Anfrage über Dauer und Ausstattung der aktuellen Frontex-Mission vor der spanischen Inselgruppe. Laitinen blieb eine Antwort schuldig, deutete aber an, der Einsatz sei unbefristet. Im jüngsten Beschluss zu den Soforteinsatzteams des EP wird jedoch festgelegt, dass „[d]ie Entsendung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke, die für einen begrenzten Zeitraum Unterstützung leisten sollen, ... in Ausnahme- und Notsituationen [erfolgt]. Derartige Situationen würden entstehen, wenn ein Mitgliedstaat sich einem massiven Zustrom von Drittstaatenangehörigen gegenübersieht, die illegal in sein Hoheitsgebiet einzureisen versuchen, was unverzügliches Handeln erfordert und wobei die Entsendung des Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke zu einer angemessenen Reaktion beitragen würde. Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke sollen nicht über lange Zeit Unterstützung leisten."2

Wann ein solcher „massiver Zustrom“ vorliegt, wird freilich nicht definiert, wodurch es nahezu allen Mitgliedsstaaten – bzw. den jeweiligen Innenministerien - ermöglicht wird, die entsprechende „Ausnahme- oder Notsituation“ bei Belieben festzustellen. Nur am Rande sei hier erwähnt, dass es dieselben Ministerien sind, die durch Verwaltungsvorschriften und Gesetzesvorlagen die stattfindenden Immigrationen zunächst illegalisieren und damit die Voraussetzungen für die „Ausnahmesituationen“ schaffen. Von der Verordnung über die Soforteinsatzteams bleiben Missionen wie die bisherigen ohnehin unberührt. Sie wurden auf multilateraler Ebene und freiwilliger Basis von den Mitgliedsstaaten unterstützt, hierzu bedarf es keiner europäischen rechtlichen Grundlage. Auf Hoher See mussten nicht einmal auf nationaler Ebene entsprechende Gesetze existieren, da der Einsatz internationaler Einsatzkräften hier keine Hoheitsrechte oder allenfalls die von Drittstaaten berührt. Ob die Ausübung von Zwangsmaßnahmen hier überhaupt legal ist, hängt von der Interpretation völkerrechtlicher Verträge ab. Insgesamt hat die EU (mit Unterstützung der NATO, z.B. durch deren Operation Active Endeavour) in den letzten Jahren aber auf den angrenzenden Meeren das Recht des Stärkeren ausgerufen und sich die Kontrolle des Mittelmeers so angeeignet.3

Auf dem Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten hingegen stellt sich der Einsatz ausländischer Polizei- und Gendarmerie-Angehöriger unter Wahrnehmung exekutiver Befugnisse rechtlich jedoch ungleich komplizierter dar, denn hier verletzt er grundlegende Souveränitäts- und Legitimationskonzepte. hierin ist ein weiterer Grund für die Legalisierung durch die Verordnung zu den Soforteinsatzteams auf europäischer Ebene zu sehen. Sowohl Frontex als auch das deutsche Innenministerium drängen bereits länger darauf, dass Polizisten eines Mitgliedsstaates in bestimmten Situationen auch in anderen EU-Ländern eingesetzt werden dürfen. Eine rechtliche Grundlage besteht hierfür jedoch bislang nur in Deutschland. Nun wollen einige Innenminister auf europäischer Ebene rechtlich bindende Verordnungen durchsetzen, welche die Mitgliedsstaaten zwingen, entsprechende Regelungen auch auf nationaler Ebene einzuführen.

Ungeachtet dessen fanden bislang bereits mindestens zwei Missionen unter der Kontrolle von Frontex statt, bei denen Beamte mehrerer EU-Länder in ihren jeweiligen Uniformen im Einsatzland exekutive Funktionen wahrnahmen: Die erste solche Operation, "Amazon II", fand an den internationalen Flughäfen Frankfurt, Amsterdam, Barcelona, Lissabon, Mailand, Madrid, Paris und Rom statt und richtete sich gegen Reisende aus Lateinamerika. Auch wer mit korrekten Papieren angekommen war, musste sich einem Verhör durch die internationalen Polizisten unterziehen und wurde bei Unstimmigkeiten festgesetzt oder zurückbefördert. Dies widerfuhr während der 17-tägigen Aktion insgesamt 2.161 Menschen.4

Zu einer weiteren Mission an der deutsch-polnischen Grenze gibt es keinerlei Informationen von Frontex, allerdings berichtete August Hanning, Staatssekretär im deutschen Innenministerium, anlässlich einer Pressekonferenz an der Europauniversität in Frankfurt(Oder), dass unter Koordination von Frontex seit Ende April für zwei Wochen Beamte aus mindestens sechs EU-Mitgliedsstaaten an zwei deutsch-polnischen Grenzübergängen exekutive Befugnisse erhalten hätten. Die Aktion hätte sich auch auf die polnisch-ukrainische Grenze erstreckt, ukrainische Grenzbeamte hätten jedoch nur Beobachterstatus gehabt. Als Gründe nannte Hanning eine zunehmende illegale Migration im Rahmen des LKW-Transits, die baldige Öffnung der EU-Grenzen zu Polen sowie Befürchtungen der Bevölkerung vor erhöhter Kriminalität (sic!).

Bekämpfung der illegalen Einwanderung ist Hebel für die Durchsetzung von Maßnahmen zur inneren Sicherheit

Bei der Ausgestaltung einer EU-Innenpolitik, euphemistisch bezeichnet als die Schaffung eines „Raums der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts“, arbeitet die deutsche Regierung seit langem und während ihrer Ratspräsidentschaft äußerst erfolgreich erneut an einem Kerneuropa-Modell, in dessen Zentrum das deutsche Innenministerium steht. Die Wahl des Hardliners Nicolas Sarkozy zum französischen Präsidenten dürften diesen Prozess weiter beschleunigen. Mit ihm hatte der deutsche Innenminister Schäuble bereits im Oktober 2006 beim Treffen der sechs größten EU-Staaten ein Papier zur gemeinsamen EU-Migrationspolitik vorgelegt, das beim Folgetreffen Anfang Mai 2007 in Venedig erneut propagiert wurde. Es sieht einerseits eine verschärfte Bekämpfung der illegalen Migration vor, andererseits – und als Teil dieses Kampfes – die Schaffung legaler Wege für zeitlich befristete Arbeitsmigrationen.

Ebenso auf Betreiben des deutschen Innenministeriums ging die „hochrangige beratende Gruppe zur Zukunft der europäischen Innenpolitik (Zukunftsgruppe)“ hervor, die sich am 20. und 21. Mai erstmals im hessischen Eltville. Sie soll „Vorschläge für die zukünftige Gestaltung der europäischen Innenpolitik ab 2010, also nach Auslaufen des Haager Programms“, erarbeiten. Die Zukunftsgruppe besteht jedoch nicht aus gewählten Vertretern und setzt sich auch nicht aus allen Mitgliedsstaaten zusammen. Neben den Innenministern der sechs nächsten EU-Ratspräsidentschaften (Deutschland, Portugal, Slowenien, Frankreich, Tschechische Republik und Schweden) setzt sich die hochrangige Gruppe aus Franco Frattini und einem Vertreter der übernächsten Triopräsidentschaft zusammen, anlassbezogen werden nicht näher benannte „Experten“ hinzugezogen.

Bereits im Haager Programm dominierten Fragen der Vereinheitlichung des Asyl- und Migrationsrechts sowie die Zusammenarbeit von Polizei-, Justiz- und nachrichtendienstlichen Behörden. Daneben stehen die Themen (grenzüberschreitende) Organisierte Kriminalität, Terrorismus und internationaler Drogenhandel auf der Agenda, die Minister durften aber bereits im Laufe des Haager Programms, das seit 2005 umgesetzt wird, die Erfahrung machen, dass sich die Bekämpfung illegaler Migration als effektivster Schrittmacher bei der Integration der Inneren Sicherheit erwies, während es in den anderen Bereichen – sofern sie nicht mit dem Thema der Migration verknüpft wurden – wenig Fortschritte gab. Thema der nächsten Sitzung dieser informellen und ohne Rechtsgrundlage agierenden „Zukunftsgruppe“ wird die „Verschmelzung von innerer und äußerer Sicherheit“ (Pressemitteilung des BMI) sein. Dabei soll es um die „bessere Koordinierung des Einsatzes von Militär-, Polizei- und Zivilschutzkräften“ gehen. Eben diese ist im Bereich der Bekämpfung illegaler Migration, zusätzlich unter Einbezug der nationalen Geheimdienste, bereits umgesetzt und soll, u.a. durch Frontex, ausgebaut werden.

Einen bedeutenden oder nachweisbaren Rückgang der klandestinen Migration in die EU hat dies allerdings freilich nicht bewirkt. Zwar sind manche Routen weitgehend unterbrochen und andere gefährlicher geworden, doch selbst die neuen Gastarbeiterprogramme, die als legale Wege der Arbeitsmigration propagiert werden, münden überwiegend wenn in illegalen, zumindest aber prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen, auf die es die Protagonisten der EU-Innenpolitik durchaus abgesehen haben. Sie bilden nicht nur die Grundlage einer Dienstleistungsökonomie mit Niedrigstlöhnen, sondern auch den Hintergrund für die Schaffung eines permanenten Ausnahmezustands der Illegalität, vor dem sich die Exekutive ausufernde Kompetenzen aneignet – und die Mittel und Regeln der äußeren Sicherheit, den Krieg und das Kriegsrecht, mit der Politik der inneren Sicherheit der EU verbindet.